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Ausgleichsregelung Bremer Krankenkassen erhöhen Zusatzbeitrag

In Bremen sind die Beiträge zur Krankenkasse für viele Versicherte zum 1. Januar gestiegen. Die Kassen machen dafür unterschiedliche Faktoren verantwortlich, die AOK stellt Forderungen an die Politik.
04.01.2022, 19:59 Uhr
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Bremer Krankenkassen erhöhen Zusatzbeitrag
Von Jürgen Theiner

Viele Bremer Arbeitnehmer werden es auf ihrer Gehaltsabrechnung am Ende des Monats bemerken: Der Kassenbeitrag steigt. Der Marktführer AOK beispielsweise, der in Bremen und Bremerhaven über 270.000 Menschen versichert, erhöht den sogenannten Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung um 0,3 Punkte auf 1,6 Prozent. Für Durchschnittsverdiener macht das etwa drei bis fünf Euro pro Monat aus, heißt es bei der AOK. Auch die HKK hat den Beitrag angehoben.

Was sind die Gründe?

Dass die Kosten für das Gesundheitswesen steigen, ist an sich nichts Neues. Der medizinische Fortschritt und die allgemeinen Kostensteigerungen bringen das mit sich, zuletzt verursachte auch die Corona-Pandemie zusätzlichen finanziellen Aufwand. Die aktuelle Erhöhung der Beiträge für die Bremer Versicherten und ihre Arbeitgeber hätte nach den Worten des AOK-Vorstandsvorsitzenden Olaf Woggan jedoch vermieden werden können. Sie sei direkte Folge politischer Eingriffe ins System, die sich insbesondere für das kleinste Bundesland negativ auswirkten.

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Zum einen geht es dabei um Abführungen der Krankenkassen an den Gesundheitsfonds. Aus diesem bundesweiten Sammeltopf bekommen die Kassen das Geld, mit dem sie ambulante und stationäre Behandlungen bezahlen. Der Gesetzgeber hatte die Kassen vor zwei Jahren verpflichtet, ihre jeweiligen Rücklagen zugunsten des Fonds stark abzuschmelzen – sofern sie denn über solche Rücklagen verfügten. Bei der AOK Bremen/Bremerhaven war das der Fall. 2021 flossen so 32 Millionen Euro an Reserven ab, bereits zum 1. Januar 2021 war deshalb eine Anhebung des Zusatzbeitrags auf 1,3 Prozent erforderlich.

Noch ärgerlicher, weil vom System her ungerecht, findet man bei der Bremer AOK einen weiteren Faktor, der sie bares Geld kostet: der bundesweite Risikostrukturausgleich der Kassen. Um einen einigermaßen fairen Wettbewerb zwischen den Kassen zu gewährleisten, gibt es zwischen ihnen eine Art Finanzausgleich, der vom Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach reformiert wurde. Neben Alter, Geschlecht und möglicher Erwerbsminderung spielt dabei auch die durchschnittliche Krankheitshäufigkeit der Versicherten eine Rolle.

Umstrittene Regionalkomponente

2020 wurde in diesen Ausgleich zusätzlich eine Regionalkomponente eingebaut. Sie führt dazu, dass die Bremer AOK Geld in Regionen abführen muss, "in denen es im Gesundheitssektor eine Überversorgung gibt", wie der AOK-Chef meint. Hamburg sei so ein Beispiel. Auch einige wohlhabende Landkreise im südlichen Bayern und bestimmte Metropolregionen profitierten. "Dieser Mechanismus ist absurd", urteilt Olaf Woggan und nennt ein Beispiel für die Faktoren, die zur Berechnung des Regionalausgleichs herangezogen werden. "Eine dieser Größen ist die Zahl der klein- und mittelgroßen Betriebe mit 30 bis 500 Mitarbeitern im jeweiligen Gebiet." In Bremen sei es zufällig so, dass die Stadt viele große und viele kleine Firmen hat, aber eher wenige in der genannten Kategorie. Woggan: "Das geht dann zu unseren Lasten, ist aber doch völlig willkürlich."

Der Appell des AOK-Vorsitzenden an die Politik ist deshalb deutlich: "Dieser Mechanismus muss weg oder zumindest stark reformiert werden." Gefragt sei ein Finanzausgleich, der stärker als bisher die Frage in den Blick nimmt, ob eine Kasse viele Menschen versichert, die nicht auf Rosen gebettet sind. Dies sei bei der AOK Bremen nun einmal der Fall.

Kassen uneins

Auch die Bremer HKK-Krankenkasse hat ihren Zusatzbeitrag zum Jahresbeginn um 0,3 Prozentpunkt erhöht, allerdings von einem niedrigeren Niveau aus. Er liegt jetzt bei 0,69 Prozent. Im Zusammenhang mit dem erzwungenen Abschmelzen der Rücklagen beklagt man bei der HKK sogar eine "Teilenteignung der Finanzreserven". Über die Regionalkomponente wollen die HKK-Verantwortlichen jedoch nicht den Stab brechen. Obwohl man selbst "leicht negativ betroffen" sei, werde kein politischer Handlungsbedarf gesehen, sagt Sprecher Holm Ay. Die zurückliegenden Reformen des Risikostrukturausgleichs hätten durchaus für mehr Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Kassen gesorgt. Für die Bremer Techniker Krankenkasse ist die Regionalkomponente sogar "ein wichtiger Schritt für mehr Fairness im Wettbewerb", der zuvor verzerrt gewesen sei. Der seit 2021 praktizierte Regionalausgleich sei "keinesfalls überzogen, sondern vielmehr das Minimum dessen, was für einen ausgewogenen Ausgleich auch in regionaler Hinsicht notwendig ist", so TK-Sprecher Olaf Brockmann.

Die Kassen ziehen in der Frage der Beitragsbemessung also nicht an einem Strang. Können sich die AOK und ihre Bremer Versicherten dennoch Hoffnungen auf eine Neujustierung zu ihren Gunsten machen? Vor 2023 sicher nicht. Gegenüber dem WESER-KURIER kündigte das Bundesgesundheitsministerium für das kommende Jahr eine wissenschaftliche Bewertung des aktuell geltenden Finanzmechanismus an.

Zur Sache

Zusatzbeitrag

Den Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung gibt es seit 2015. Er wird auf den allgemeinen, für alle Kassen gültigen Beitragssatz von 14,6 Prozent draufgesattelt und fällt je nach Kasse unterschiedlich aus. Wenn Krankenkassen finanzielle Engpässe ausgleichen müssen, weil mit den zugewiesenen Mitteln aus dem Gesundheitsfonds nicht über die Runden kommen, können sie dies über eine Erhöhung ihres Zusatzbeitrags tun. Das schwächt allerdings die Position im Wettbewerb um Versicherte, den der Gesetzgeber mit diesem Instrument verstärken wollte. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag aller Krankenkassen lag im vergangenen Jahr bei 1,3 Prozent.

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