Es ist ein Moment, den Jacques Chirac wohl zu gerne erlebt hätte. Der damalige Bürgermeister von Paris und spätere Präsident Frankreichs hatte schon 1988 versprochen, dass er bald „vor Zeugen“ in der Seine schwimmen werde. Ihm selbst, der 2019 starb, wurde das Vergnügen nicht mehr zuteil und aus dem „bald“ wurden 37 Jahre; doch seine Nach-Nachfolgerin Anne Hidalgo hat den lange gehegten Plan nun umgesetzt. Am 5. Juli, genau zum Abklingen einer heftigen Hitzewelle mit Temperaturen jenseits der 40-Grad-Marke, öffnen in Paris drei neue Badestellen. Bis einschließlich 31. August, dem letzten Ferientag, werden diese unter Überwachung und kostenlos zugänglich sein, solange die Plätze reichen. Fast zur gleichen Zeit findet an einem längeren Abschnitt der unteren Seine-Ufer „Paris-Plages“ statt, eine Sommerveranstaltung, in der Strandatmosphäre inklusive Sand, Liegestühlen und Cocktailbars geschaffen wird.
Hidalgo selbst, die sich Chiracs Versprechen zu eigen gemacht hatte, sprang bereits vor einem Jahr in einem Neopren-Ganzkörperanzug in den Hauptstadtfluss, machte ein paar Armbewegungen und rief in die Kameras, das Wasser sei herrlich. Kurz danach wurde die Seine bei den Olympischen Sommerspielen Austragungsort für mehrere Schwimmwettbewerbe. Unumstritten war dies nicht, da mehrere Testveranstaltungen und Trainings wegen erhöhter Bakterienwerte im Fluss verschoben oder abgesagt wurden, starke Regenfälle die Wasserqualität beeinträchtigten und einige Athletinnen und Athleten nach dem Schwimmen in der Seine erkrankten. Doch die strahlenden Bilder von den Wettbewerben mitten in Paris bleiben unvergesslich.

Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo in der Seine - eine gelungene PR-Aktion vor dem Start der Olympischen Spiele im Sommer 2024.
Reinigung von Seine und Marne kostete 1,4 Milliarden Euro
Olympia galt als Beschleuniger für das ehrgeizige Ziel, die Seine wie auch den Nebenfluss Marne im Südosten der Hauptstadt für Badeliebhaber wieder zugänglich zu machen. Die Kosten für die umfassende Reinigung beider Flüsse beliefen sich auf 1,4 Milliarden Euro. Dazu gehörten die Sanierung von 23.000 Abwasserzuflüssen, der Bau neuer Kläranlagen und eines riesigen Regenwasser-Speicherbeckens in Paris.
Die neuen Badestellen in Paris befinden sich am Fuß der Brücke Pont de Sully gegenüber der Insel Saint-Louis, unterhalb des Wirtschaftsministeriums Bercy im Südosten sowie im Südwesten in der Nähe des Eiffelturms. Zwischen 150 und 300 Menschen haben jeweils gleichzeitig Platz im Schwimmbereich, eine Anmeldung gibt es nicht. Außenduschen, Schließfächer und Umkleidekabinen werden aufgestellt. Das Rathaus verspricht durch die Verwendung leichter Materialien und einer modularen Bauweise eine „Herangehensweise, die so natürlich wie möglich ist“. Freibäder in Paris und Umfeld sind eher selten, eine Ausnahme ist das allerdings nur kleine Schwimmbad-Boot „Josephine Baker“.

Eine der neuen Badestellen bietet auch eine Art Mini-Pool.
Zwar verziehen einige Pariserinnen und Pariser weiterhin das Gesicht bei der Vorstellung, ihren Körper in den Fluss der Stadt zu tauchen, in deren Geschichte ist dies aber keineswegs eine Neuheit. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts begannen die Menschen zunehmend, zunächst nackt, aber nach Geschlechtern getrennt zu baden. Ab dem 18. Jahrhundert galten offizielle Regeln hinsichtlich der erlaubten Orte, bis 1783 ein Verbot aufgrund der damaligen Anstandsregeln erfolgte, welches in der Folge wieder aufgeweicht wurde. "Es handelte sich mehr um den Wunsch nach sozialer Kontrolle als um eine Frage der Gesundheit", sagt Agathe Euzen, Wissenschaftlerin am nationalen Forschungszentrum CNRS.
Forscher nannten Seine-Wasser "Brühe"
Sorgen um die hohe Verschmutzung kamen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. In einem damaligen Interview rieten Forscher dazu, „beim Schwimmen den Mund zu schließen, um so wenig wie möglich von der Brühe zu schlucken“. Auch empfahlen sie eine Typhus-Impfung. Trotzdem wurden 1900 einige der Wettbewerbe der damaligen Olympischen Spiele in der Seine veranstaltet.

Das Seine-Ufer ist längst zur Flanier- und Verweilmeile der Pariser und für Touristen geworden. An vielen Stellen sind die Uferbereiche verkehrsberuhigt.
Ein offizielles Badeverbot erfolgte 1923 aufgrund der Verschmutzung des Wassers und der Gefahren durch die Schifffahrt, auch wenn sich Agathe Euzen zufolge noch jahrzehntelang Menschen in die Seine und die Marne hüpften. Das endete mit der zunehmenden Industrialisierung der Ufer und dem dortigen Bau von Schnellstraßen ab den 1960er-Jahren. Längst ist eine Gegenbewegung eingetreten: Die Seine-Quais wurden teils wieder verkehrsberuhigt, für Flaneure geöffnet, die Flüsse wieder den Menschen zugänglich gemacht – und das nun bis zur letzten Konsequenz.