Verden. Carmen Witte ist eine burschikose Frau und immer im Laufschritt unterwegs. Kaum zu glauben, dass sie in ihrer Kindheit eine hingebungsvolle Puppenmutter war. Sechs Stück hatte sie davon, sie schlummern gut eingepackt auf dem Dachboden. Doch in vier Jahren werden sie ihr Comeback haben: Sie bekommen einen Ehrenplatz im Schaufenster. Dann wird das Kinderparadies Witte 125 Jahre alt und Carmen Witte seit vier Jahren die Chefin sein. Am 1. Dezember übernimmt sie – in vierter Generation – das Geschäft von ihrer Mutter Freya.
1891 beschloss ein Handelsreisender aus Peine, in Verden ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Wo sich heute das Restaurant Portofino befindet, bot Hermann Witte Haushaltswaren aller Art feil. Zunächst nur zu Weihnachten richtete er eine Ecke mit Spielwaren ein. Das kam so gut an, dass es sie irgendwann das ganze Jahr über gab. "Stationäres Sortiment", nennt Urenkelin Carmen das 121 Jahre später.
Getrennte Wege
In den 1920er Jahren trat Hermann Witte das Geschäft an seinen Sohn Arthur ab, der es einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg wiederum an seine Söhne Horst und Bodo weitergab. 1957 trennten sich die geschäftlichen Wege der Brüder: Bodo konzentrierte sich auf Porzellan und Haushaltswaren, Horst eröffnete schräg gegenüber das Kinderparadies in einem neu erbauten Haus. Freya Witte, die 1958 mit ihm vor den Standesbeamten trat: "Das ist in ungefähr sieben Monaten hochgezogen worden."
Wie das vor sich ging, ist auf einem Film dokumentiert, den die Brüder Witte drehten. "Unglaublich, wie die Arbeiter damals geastet haben. Das war alles Handarbeit, so was gibt’s heute gar nicht mehr", sagt Freya Witte. In der Häuserlücke hatte vorher ein anderes Geschäft gestanden, eine Grünwarenhandlung.
Die Wittes hatten zwei Kinder: Der Sohne wurde Zahnarzt, die Tochter – Carmen – Krankengymnastin. 1994 aber stieg sie in das elterliche Geschäft ein. Der Vater war krank geworden, zwei Jahre später starb er. Chefin war nun seine Witwe Freya, und sie arbeitete Hand in Hand mit ihrer Tochter, die sich zur Handelsfachwirtin ausbilden ließ. "Ich wollte unbedingt, dass das Geschäft in der Familie bleibt", sagt sie. Ab dem 1. Dezember wird es auf ihren Namen laufen – was aber nicht heißt, dass Freya Witte künftig die Hände in den Schoß legt. Mit ihren 76 Jahren ist sie immer noch fit genug, ganze Tage im Geschäft zu arbeiten.
"Mein Großvater würde den Laden nicht mehr wiedererkennen", sagt Carmen Witte. Früher bekamen die Mädchen zu Weihnachten eine Puppe, die Jungen eine Eisenbahn oder einen Modellbaukasten. Längst wechseln die Moden so rasch, dass auf den Messen im Februar nicht abzusehen ist, was Monate später angesagt ist. "Da muss man ständig auf dem Laufenden bleiben", so Carmen Witte. Was sie freut: "Baby born ist out." Zum Glück gehe der Trend jetzt wieder zu individuellen Puppen. Ebenso schön sei, dass sich ständig erweiterbares Systemspielzeug über Generationen behaupte. Lego Star Wars oder die Brio-Holzbahn werden auch in diesem Jahr auf vielen Gabentischen liegen.
Im Kinderparadies Witte ist jetzt der vor einer Geschäftsübergabe übliche Räumungsverkauf angelaufen mit 20 Prozent Rabatt auf alle Waren außer Büchern. Nach der Aktion werden Sortiment und die Präsentation der Waren nur leicht verändert sein. Gar keine Veränderungen gibt es beim Personal: Die sieben Mitarbeiterinnen sind teils schon seit Jahrzehnten im Kinderparadies.