„Früher hatten fast alle älteren Menschen in einer Pflegeeinrichtung ein Gebiss zum Rausnehmen. Das war für die Pflege viel einfacher als heute, wo immer mehr Senioren noch über die eigene Zähne und festen Zahnersatz verfügen“, sagt Jörg Hendriks, Zahnarzt in Aurich. Dies ist nach seiner Erfahrung besonders bei Senioren ein Problem, die auf tägliche Hilfe bei der Mundhygiene angewiesen seien – wofür den Pflegekräften aber nicht selten Zeit und auch entsprechende Kenntnisse fehlten.
„Bei unzureichender Pflege steigt das Risiko für Entzündungen, Schmerzen und Zahnverlust“, so Hendriks. Die Folge: Zahnärztinnen und Zahnärzte beobachten bei Menschen, die in einer stationären Einrichtung leben, nach einiger Zeit oft eine deutliche Verschlechterung beim Zustand der Zähne. „Je älter die Menschen werden, umso mehr Plaque-Ablagerungen finden wir. Es wird mit zunehmendem Alter alles anstrengender: das Putzen, das Herausnehmen der Prothese und ihre Pflege“, betont die Bremer Zahnärztin Britta Förner-Ullrich. „Von gesunden Zähnen hängt jedoch auch die Allgemeingesundheit ab.“
Der Zustand des Gebisses entscheide darüber, ob man richtig sprechen und kauen kann, ob man Mundgeruch hat, ob man gut aussieht oder sich wegen eines lückenhaften Gebisses aus Scham zurückzieht. Förner-Ullrich hat ihre Praxis so eingerichtet, dass auch Rollstuhlfahrer problemlos in die Praxis und Behandlungsstuhl gelangen.
Außerdem behandelt sie Menschen zu Hause, die nicht mehr so gut mobil sind. Viermal im Jahr besucht sie Patienten in einem Bremer Pflegeheim, in dem Menschen mit Demenz leben. Sie seien oft sehr ängstlich und je nach Stadium ihrer Demenzerkrankung würden sie nicht mehr verstehen, warum sie den Mund öffnen sollen.
„Eine reguläre Behandlung ist bei ihnen nicht möglich. Wenn ich mir alle Zähne anschauen, einen Abdruck machen oder Zahnstein entfernen kann, dann ist das schon ein Erfolg. Neue Füllungen oder einen Zahn zu ziehen ist nur unter Vollnarkose möglich. Man muss jede Behandlung abwägen, denn die Patienten sind danach möglicherweise noch verwirrter. Außerdem kann es auch ein medizinisches Risiko sein“, sagt die Zahnärztin.
Von den Krankenkassen besser honoriert
Vor allem muss sie auch mehr Zeit für demente Patienten aufwenden: „Man muss Blickkontakt aufnehmen, lächeln, die Hand zur Begrüßung geben, in kurzen und leichten Sätzen sprechen, auf den Mundschutz verzichten, am besten auf Augenhöhe arbeiten. Dann kann es klappen, dass man Vertrauen aufbauen kann.“ Seit Kurzem werden solche zeitintensiven Behandlungen von den Krankenkassen besser honoriert – verändert hat sich dadurch noch nicht viel.
Viele Pflegekräfte klagen darüber, dass in ihrer Region kein Zahnarzt bereit sei, zur regelmäßigen Zahnkontrolle in die Pflegeeinrichtung zu kommen. Und wenn doch ein Arzt den Weg ins Altenheim finde, dann verhalte er sich nicht selten so, dass Patienten kein Wort verstünden und Pflegekräfte eingeschüchtert würden. „Die Ausbildung muss verbessert werden. Alterszahnmedizin ist in der Schweiz verpflichtender Teil des Studiums, in Deutschland gibt es sie dagegen nur an drei Universitäten als freiwilliges Angebot“, kritisiert Ina Nitschke, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin.
Die Berliner Zahnärztin unterrichtet an der Universität Leipzig Studierende der Zahnmedizin und erlebt dabei nicht selten, dass junge Leute zusammenzucken, wenn sie bei der Behandlung im Pflegeheim von Menschen mit Demenz berührt werden. Sie empfiehlt auch für betagte Menschen zweimal im Jahr eine Kontrolle durch den Zahnarzt.
„Noch wichtiger ist aber eine regelmäßige professionelle Zahnreinigung, die jedoch aus eigener Tasche bezahlt werden muss. Wer in Berlin im Grunewald wohnt, hat kein Problem damit, in Neukölln können sich dies viele alte Menschen dagegen nicht leisten“, sagt Nitschke und ergänzt: „Manche Angehörige sagen selbst vor dringend notwendigen Behandlungen: Das lohne in dem Alter doch nicht mehr.“ Nitschke entgegnet, dass gute Zähne das Risiko für Lungenentzündungen und Gewichtsverlust senke. Zudem gehe es um Würde und Ethik.
Besonders wichtig sei bei einer beginnenden Demenz, sich Gedanken über die Zähne zu machen, da ab einem gewissen Stadium dieser Krankheit Menschen nicht mehr mitarbeiten können und eine Zahnbehandlung schwierig werde. Das Ziehen von weiter hinten liegenden Zähnen, die nicht mehr geputzt werden können, sei dann eine Option. Generell erlebe sie bei alten Menschen viel Dankbarkeit, wenn durch ihre Hilfe etwa Druckstellen beseitigt, abgebrochene oder verfaulte Zähne ersetzt und instabil gewordene Zahnkonstruktionen wieder passend gemacht werden. Nitschke: „Die Nachkriegsgeneration hat viel erlebt und ist hart im Nehmen, sie hat keine große Angst vor dem Zahnarzt. Das wird bei jüngeren Generationen später vielleicht einmal anders sein.“
Angehörige und Pflegebedürftige sollten bei der Auswahl einer stationären Pflegeeinrichtung darauf zu achten, dass eine Kooperationsvereinbarung mit einem niedergelassenen Zahnarzt besteht – das empfiehlt die Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN). "Das Personal sollte außerdem regelmäßig in altersgerechter Zahnpflege geschult werden", betont ZKN-Expertin Gisela Gode-Troch. Die Zahnärztekammer informiert auf ihrer Internetseite außerdem über die neuen gesetzlichen Vorgaben, die ab kommendem Jahr in Kraft treten (www.zkn.de).