Wer an diesem Dienstag im Gerichtssaal von Paris eine Entschuldigung von Gérard Depardieu erwartet hat, wird nicht enttäuscht. „Wirklich, ich wollte dieser Frau nicht weh tun“, sagt der französische Schauspieler, der in seinen langen Ausführungen bisweilen den Faden verliert. Er habe die Dekorateurin beim Dreh von „Les volets verts“ („Die grünen Fensterläden“) im Jahr 2021 zurechtgewiesen, weil das Zimmer für die nächste Szene nicht bereit gewesen sei. Er verstehe, dass sie das schockiert habe. „Aber warum sollte ich sie betatschen, ich mit meinen 150 Kilo? Betatschen, so etwas machen Kinder.“ Ja, er habe sie beim Sprechen an der Hüfte gepackt, um sich festzuhalten, aber ohne jede sexuelle Absicht.
Die Betroffene, eine von zwei Klägerinnen im laufenden Prozess gegen Depardieu, erklärt daraufhin, diese „neue Version“ sei „völlig falsch“. Sie bleibe bei der ihren: Der 76-Jährige habe sie bei den Dreharbeiten „brutal gepackt“, mit den Beinen fixiert, an Taille, Bauch und Brust begrapscht, „wie ein Verrückter mit roten Augen“ angestarrt und ihr Obszönitäten gesagt. Eine weitere Klägerin, eine 34-jährige Regieassistentin, wirft ihm ebenfalls vor, er habe ihr auf der Straße nachgestellt, sie an den Brüsten und am Hintern berührt. Dem Angeklagten drohen bis zu fünf Jahre Haft und eine Geldbuße von 75.000 Euro.
Die französischen Medien nennen den Prozess historisch: Erstmals muss sich Depardieu, diese lange so verehrte Film-Ikone, wegen dem Vorwurf der sexuellen Übergriffe vor Gericht verantworten. Vor dem Gebäude protestieren Feministinnen gegen ein System, das ihn gewähren ließ. Im Inneren bedauert Depardieu das Bild, das von ihm entstanden sei. „Was ich alles über mich lese seit drei Jahren. Man sagt, ich sei ein großer Widerling. Ich schäme mich.“ Zugleich weist er die Anschuldigungen zurück.
Depardieu-Verteidiger wirft Ermittlern Einseitigkeit vor
Eigentlich war der Prozess für Oktober 2024 geplant, wurde aber aus gesundheitlichen Gründen verschoben. Weil Depardieu an Diabetes leidet und einen vierfachen Bypass hat, darf höchstens sechs Stunden pro Tag verhandelt werden. Wann das Urteil fällt, ist noch unklar. So bemüht der Angeklagte auf die Fragen des Richters antwortet, so aggressiv tritt sein Verteidiger Jérémie Assous auf. Er wirft den Ermittlern Einseitigkeit, sogar „stalinistische Methoden“ und den Klägerinnen Lügen vor. Dahinter stehe die „Mission, Depardieu zu Fall zu bringen“. Entlastende Aussagen von Zeugen, die nichts mitbekommen haben, wollte man nicht einmal anhören. Von beiden Seiten sind Unterstützer zugegen. Hinter Depardieu sitzen alte Schauspieler-Kollegen wie Vincent Perez und Fanny Ardant, die ihren Freund stets verteidigt hat. Das tut sich auch jetzt, als Zeugin. Denn sie war bei den Dreharbeiten 2021 zugegen.
Das gilt auch für die Schauspielerin Anouk Grinberg, eine frühere Vertraute Depardieus, die zu einer seiner schärfsten Anklägerinnen geworden ist. Am ersten Prozesstag musste sie wegen Störung den Verhandlungssaal verlassen. Depardieu belästige seit 50 Jahren in völliger Straffreiheit Frauen, sagt die 62-Jährige daraufhin erzürnt. „Die Gesellschaft und das Filmgeschäft erlauben es ihm, die Frauen müssen schweigen, sonst werden sie hinausgeworfen, aus ihrem Beruf, dem Milieu oder einem Gerichtsraum.“ Wer das Verhalten des Schauspielers nicht anklage, mache sich mit zum Komplizen.
Auch Charlotte Arnould ist unter den Anwesenden, aus Solidarität mit den Klägerinnen. Die 29-jährige Schauspielerin hat 2018 Klage gegen Depardieu wegen zweimaliger Vergewaltigung in seinem Pariser Stadtpalais eingereicht. Ein erstes Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt, ein zweites wieder aufgenommen. Noch ist nicht entschieden, ob es zu einem Prozess kommt. Derweil laufen auch Ermittlungen wegen des Verdachts des schweren Steuerbetrugs und der Geldwäsche: Depardieu soll möglicherweise nie in der Villa in Belgien gewohnt haben, die er bei den Steuerbehörden als Wohnsitz angab.
Depardieu bedrängte offenbar gezielt Frauen ohne Macht
Zwar hatte er auch schon früher mit der Justiz zu tun, etwa weil er betrunken einen Unfall auf seinem Motorroller gebaut hat. Aber berichtet wurde doch immer über eine Art „enfant terrible“, dem jede Dummheit verziehen wird. Schließlich repräsentiert „Gégé“, wie ihn seine Freunde nennen, das französische Kino wie kaum ein anderer. In rund 250 Filmen spielte er mit, drehte mit den größten Regisseuren von François Truffaut bis Jean-Luc Godard, trat an der Seite von Leindwandstars wie Catherine Deneuve, Jeanne Moreau oder Brigitte Bardot auf, verkörperte auf packende Weise den romantisch-liebenden Cyrano de Bergerac im gleichnamigen Film und später in mehreren Asterix-Streifen den liebenswert tolpatschigen Obelix. In den USA schoss er sich mit einem Interview ins Aus, in dem er behauptete, als Kind an Vergewaltigungen beteiligt gewesen zu sein. Später verteidigte er sich, es habe sich um einen Übersetzungsfehler gehandelt. Der Verdacht, er habe schon früh Frauen sexuelle Gewalt angetan, störte in Frankreich hingegen niemanden. Im Gegenteil: Dass ihm aufgrund seiner Skandal-Aussagen 1991 ein Oscar entging, bezeichnete der damalige französische Kulturminister Jack Lang empört als „Schlag unter die Gürtellinie“.
In seinem Heimatland kannte Depardieu keine Grenzen. Er, der in einem lieblosen und bildungsfernen Umfeld aufwuchs, setzte sich diese auch selbst nicht. Er war ausschweifend in allem, trank und aß viel zu viel, wie seine Wegbegleiter berichteten, rülpste und furzte hemmungslos an Filmsets. „Das ist eben Gégé“, verteidigten ihn diejenigen lachend, die mit ihm arbeiteten, ihn mochten oder auch von ihm, seinem Ruhm und seiner Großzügigkeit profitierten. Das galt auch, wenn er Frauen respektlos behandelte und bedrängte. Und Depardieu wählte aus, bei wem er sich dies herausnahm, nämlich nicht bei den großen Stars; einer Deneuve fasste er nicht unter den Rock. Sondern es waren eher die anonymen Maskenbildnerinnen, Assistentinnen, Jungschauspielerinnen – Frauen ohne Macht und Stimme.
So scheint es in den Reportagen durch, die das französische Online-Investigativ-Magazin „Mediapart“ in den vergangenen zwei Jahren veröffentlicht hat, die letzte erst vor wenigen Tagen. Mehr als 20 Frauen berichteten darin von dem Gefühl der absoluten Erniedrigung durch das Verhalten von Depardieu, der laut ihren Schilderungen ungefragt seine Hände über ihre Körper bis in ihre Slips wandern ließ, sich mit seinem vollen Gewicht auf sie legte, anzügliche Bemerkungen machte, während alle anderen nur zusahen und lachten.
Pelicot-Prozess rüttelte Frankreich wach
Dass ein Teil des Systems ihn aktiv schützte, erschien spätestens Ende 2023 klar, als zunehmend Anschuldigungen gegen ihn öffentlich wurden und mehrere offene Briefe erschienen, von Anklägerinnen wie von Unterstützerinnen. Schließlich hob sogar Präsident Emmanuel Macron zu seiner Verteidigung an. In einem Fernsehinterview sagte er, Depardieu sei „ein sehr großer Schauspieler“, der Frankreich stolz mache und er selbst, Macron, halte nichts von „Menschenjagd“. Der Betroffene selbst wies in einem öffentlichen Schreiben alle Vorwürfe zurück. „Nie, niemals habe ich einer Frau etwas angetan“ versicherte er, so wie auch jetzt vor Gericht wieder.
Für viele Feministinnen gilt die Aufarbeitung seines Falls jedoch als wichtige Echo auf die „#MeToo“-Bewegung, die 2017 mit der Anklage des früheren Filmproduzenten Harvey Weinstein in den USA ihren Anfang nahm. Seitdem werden auf sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Kinobranche und darüber hinaus aufmerksam gemacht.
Als ein Baustein davon gilt auch der Aufsehen erregende Prozess in Avignon um Gisèle Pelicot Ende 2024. Er stärkte die Erkenntnis, dass sexuelle Gewalt nicht nur im Milieu der Mächtigen, Reichen und Schönen gedeckt wird. Die 72-Jährige war über Jahre hinweg von ihrem eigenen Mann Dominique Pelicot betäubt worden, der über eine Internetseite fremde Männer zu Vergewaltigungsorgien seiner bewusstlosen Frau einlud. Die Verhandlung gegen insgesamt 51 Angeklagte, die auf den ausdrücklichen Wunsch Gisèle Pelicots hin öffentlich stattfand, wirkte wie ein Elektroschock in der französischen Gesellschaft. Denn bei den Tätern handelte es sich eben nicht um abgehobene Kinostars, sondern oftmals um Väter, die als Soldat, Elektriker oder Journalist arbeiteten.

Sie wurde in Frankreich zum Symbol im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen: Gisèle Pelicot.
Der Pelicot-Prozess stellte in Frankreich eine Wende dar, sagte die französische Soziologin Irène Théry. Der Blick auf die Angeklagten zeige, wie wenig sich Vergewaltiger ihrer Schuld bewusst seien, Ausreden suchten und wie sehr machistische Denkstrukturen überwogen – immer noch. In den seltensten Fällen seien die Täter „Fremde in einem Wald“, sondern befänden sich meist im Umfeld der Opfer. „Sie hatten nicht die Absicht zu vergewaltigen, sie hatten ihr Verbrechen nicht geplant, aber gut, die Gelegenheit hat sich geboten“, so Théry.
Hier ergibt sich eine Parallele zu Depardieu, der möglicherweise ebenfalls „Gelegenheiten“ ergriff, um seine Triebe zu befriedigen und das Gefühl der Straffreiheit erlebte – er konnte sich alles erlauben. Man ließ ihn gewähren. Doch diese Zeiten dürften vorbei sein.