Herr Rosar, haben es schöne Menschen leichter im Leben?
Ulrich Rosar: Wir neigen dazu, attraktiven Menschen positive Eigenschaften zuzuschreiben, unabhängig davon, wie ihre Persönlichkeit tatsächlich ist. Man schenkt ihnen mehr Beachtung und verzeiht schneller Fehler. Damit haben sie in fast allen Lebensbereichen klare Vorteile. Das beginnt schon in der Wiege. Studien zeigen, Mütter behandeln ihre Babys etwas unterschiedlich, je nachdem wie schön sie sind. Wir haben ähnliche Untersuchungen für etliche Personengruppen durchgespielt: Schüler, Politiker - selbst bei Nobelpreisträgern spielt das Aussehen eine Rolle. In einigen Bereichen kann Attraktivität aber auch von Nachteil sein.
In welchen?
Je schöner ein Mensch ist, desto stärker werden ihm Geschlechterstereotype zugeschrieben. So gelten attraktive Frauen etwa als emotionaler und irrationaler, was in einem männlich geprägten Arbeitsumfeld wie in der Wirtschaft oder der Wissenschaft ein Nachteil sein kann.
Verändert sich durch Schönheitsoperationen der Blick auf unser Aussehen?
Der Begriff Schönheitsoperation ist nicht klar definiert. Sind das schon Zahnkorrekturen oder das Anlegen von abstehenden Ohren? Fakt ist, Menschen können heute ihr Aussehen viel besser als früher an ihre Wunschvorstellungen anpassen. Das kann dem allgemein geltenden Schönheitsideal oder den eigenen Vorlieben entsprechen. Im Extremfall kann das aber auch mit einer Körperbildstörung einhergehen.
Halten Sie diese Entwicklung für gefährlich?
Ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Schönheitsoperationen. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir mehr Aufklärung betreiben. In bestimmten Ländern können Sie ohne Weiteres jeden Eingriff vornehmen lassen. Das ist sehr gefährlich, gerade wenn Minderjährige involviert sind.

Soziologe Ulrich Rosar von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Schönheit.
Schon früher gab es hübsche Models in der Werbung. Trotzdem nimmt die Zahl der Schönheitseingriffe erst seit einigen Jahren zu. Woran liegt das? Haben Faktoren wie Social Media einen Einfluss darauf?
Derartige Eingriffe werden immer erschwinglicher und der Zugang dazu ist vereinfacht. Über die Sozialen Netzwerke findet zudem eine Eskalation unserer visuellen Gesellschaft statt, die uns permanent umgibt und uns etwas suggeriert, das nicht mehr der Realität entspricht. Selbst wenn ich weiß, dass viele Influencer Filter benutzen oder sich inszenieren, ist es schwer, sich dem zu entziehen. Es macht auf subtile Art etwas mit unseren Vorstellungen. Das, was eigentlich normal ist, erscheint uns fast als das Unnormale und weckt Sehnsüchte, die ansonsten vielleicht gar nicht entstanden wären.
Gleichzeitig gibt es den Trend zu mehr Selbstliebe. Wie passt das zusammen?
Die Apotheose des Schönen ist noch nie so wichtig gewesen wie in unserer Zeit. Gewisse Trends versuchen, das einzudämmen. Unsere Grundtendenz, das Schöne auf den Sockel zu stellen, lässt sich damit jedoch nicht abwenden. Trotzdem sind solche Bewegungen wichtig, weil sie Vielfalt sichtbarer machen und mit unrealistischen Schönheitsbildern aufräumen. Es herrscht unter Frauen noch immer ein falsches Verständnis davon, was Männer als allgemein attraktiv empfinden. Das liegt meist etwa fünf bis acht Kilo über dem, was Frauen denken.
Je nach Kultur wird Schönheit anders definiert. Gibt es etwas, was alle Menschen als gemeinhin attraktiv empfinden?
Kulturelle und historische Unterschiede kratzen eher an der Oberfläche. Die Grundkonstanten sind ethnienübergreifend. Menschen neigen dazu, Faktoren zu präferieren, die für Jugendlichkeit, Fitness und reproduktive Qualitäten stehen. Dazu zählen glatte Haut und symmetrische Körper und Gesichter. Bestimmte Merkmale betreffen das Geschlecht: Bei Frauen ist es eine hohe Fruchtbarkeit und bei Männern gute Versorgerqualitäten. Wir werden von Kindesbeinen darauf getrimmt, diese Merkmale toll zu finden.
Wie äußert sich das?
Schon in Märchen sind die Guten immer die Schönen und die Hässlichen die Bösen. Das vermitteln wir auch sprachlich. Wenn wir sagen wollen, dass jemand etwas gut gemacht hat, sagen wir stattdessen oft „schön“. Oder das war „hässlich“, wenn etwas schlecht war.
Trotzdem gibt es Leute, deren Gesicht nicht als klassisch symmetrisch gilt, sie aber als schön empfunden werden. Ein Beispiel dafür ist Schauspielerin Julia Roberts und ihr breiter Mund. Wie lässt sich das erklären?
In diesen Fällen ist es die Abweichung von der Regel, die Individualität suggeriert. Die Schauspielerin Jamie Lee Curtis hat eigentlich das perfekt symmetrische Gesicht. Sie ist zwar attraktiv, aber ihr fehlt das Alleinstellungsmerkmal. Das wiederum hat Julia Roberts. Oder denken Sie an Marylin Monroe und ihren Schönheitsfleck. Den malen sich manche Menschen heute noch auf, um hervorzustechen.