"Man muss Gefühle auch mal aushalten können": Stefanie Stappenbeck ist ein Gemütsmensch durch und durch. Schon ihre Eltern rieten ihr, bei der Berufswahl auf ihr Herz zu hören. Trotzdem fielen der Schauspielerin Bauchentscheidungen nicht immer leicht.
Stefanie Stappenbeck ist kaum wiederzuerkennen: In der Rolle der ehrgeizigen Juristin Maria Schwadorf kommt der 37-Jährigen nur selten ein Lächeln über die dezent geschminkten Lippen. Sie trägt ein perfekt sitzendes Kostüm, im Gerichtssaal eine Autorität ausstrahlende Anwaltsrobe und stets eine strenge Frisur. "Jeden Morgen saß ich eine Dreiviertelstunde lang in der Maske und ließ mir die Haare glätten", erinnert sie sich an den Dreh des SAT.1-Dramas "Im Alleingang - Die Stunde der Krähen", das am 21. Februar, 20.15 Uhr, zu sehen ist. Die lebenslustige Berlinerin, die sich als sehr offene und reflektierte Gesprächspartnerin entpuppt, ist auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Wahl für die Rolle der kühlen Anwältin, die nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Und auf den zweiten eine ungewöhnlich gute: Stefanie Stappenbeck, deren jüngere Schwester mit Down-Syndrom geboren wurde, hat mehr mit ihrer Figur gemeinsam, als gedacht.
teleschau: Frau Stappenbeck, Maria ist sehr streng mit sich - das scheint so gar nicht Ihr Naturell zu sein.
Stefanie Stappenbeck: Das täuscht (lacht): Mir wird nachgesagt, dass ich auch ein sehr disziplinierter Mensch sei. Für mein Gefühl agiere ich auch oft zu kopflastig.
teleschau: In welchen Situationen?
Stappenbeck: Früher versuchte ich oft, emotionale Probleme mit dem Kopf zu lösen. Vor zehn Jahren hätte ich Bücher gewälzt und mir bei Experten Rat gesucht. Heute versuche ich, mir meine Gefühle zu erlauben, sie zu begreifen und auszuhalten. Es ist erstaunlich, was dann passiert.
teleschau: Wie nah lassen Sie die Gefühle einer Figur, die Sie spielen, an sich heran?
Stappenbeck: Sehr nah. Auch das hätte ich vor einigen Jahren noch bestritten, aber der Beruf geht bei mir ins Privatleben über: In Zeiten, in denen man am Theater spielt oder einen Film dreht und sich einer Figur hingibt, verändert man sich auch als Privatmensch. Als ich im "Polizeiruf" die Soldatin spielte, machten mich Freunde darauf aufmerksam, dass ich in dieser Zeit in Telefonaten eine ganz knappe, klare, präzise Sprache hatte. Ich begann mich zu beobachten und musste ihnen recht geben. Aber gleich nachdem die letzte Klappe gefallen war, war ich wieder die Alte. Genauso wie den Charakter verinnerliche ich auch die Emotionen einer Figur. Wenn ich eine schwierige, aufreibende Rolle spiele, warne ich meine Bekannten deshalb lieber vor.
teleschau: Bei "Im Alleingang" kam zur emotionalen Vorbereitung auf die Rolle auch die körperliche Einfühlung in den Rollstuhl. Wie sah Ihr Training aus?
Stappenbeck: Ich saß in den Wochen vor dem Dreh permanent im Rollstuhl. Vom Essen kochen bis zum Toilettengang - ich versuchte alles damit hinzubekommen. Nach einiger Zeit wagte ich mich schließlich nach draußen, um einzukaufen und die verschiedenen Straßenbeläge auszuprobieren. Ich wollte wissen, wie sich der Alltag aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers anfühlt.
teleschau: Und wie fühlte er sich an?
Stappenbeck: Ich dachte, dass ich viele Blicke ernten würde, aber ich hatte vielmehr das Gefühl, dass ein Mensch im Rollstuhl heute keine große Aufmerksamkeit mehr erregt. Natürlich waren die Leute, denen ich begegnet bin, sehr hilfsbereit, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mich komisch anschauen. Ich war außerdem überrascht, wie gut man in meiner Gegend etwa mit Rampen auf Rollstuhlfahrer eingerichtet ist. Aber Sie glauben gar nicht, wie schief Straßen sind (lacht).
teleschau: Das Thema Behinderung ist Ihnen nicht fremd: Eine Ihrer zwei Schwestern kam mit Down-Syndrom zur Welt. Wie war es, mit ihr aufzuwachsen?
Stappenbeck: Ich war drei Jahre alt, als sie geboren wurde. Sie war lange für mich wie eine ganz normale kleine Schwester. Wir hatten ein sehr herzliches Verhältnis, sie war immer meine Kuschelschwester. Erst als ich ungefähr elf war, begriff ich, dass sie ganz anders, ganz besonders ist. Heute lebt sie selbstständig in Berlin und ist, wenn sie Lust hat, jedes zweite Wochenende bei unseren Eltern zu Besuch. Sie bleibt allerdings selten über Nacht - sie sagt, das sei ihr zu langweilig.
teleschau: Hat Ihre Schwester Ihre Einstellung zum Leben geprägt?
Stappenbeck: Das ist natürlich schwer zu sagen, weil sie ja schon immer da war. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ohne sie gewesen wäre. Aber ich vermute, dass ich dankbarer dafür bin, dass ich gesund bin. Dadurch habe ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, ein Schuldgefühl, weil man sich als Schwester fragt: "Warum traf es die andere und nicht mich?" Aber ich habe einmal gelesen, dass es vielen Geschwistern von Behinderten so geht.
teleschau: Hatten Sie das Gefühl, dass Sie als ältere Schwester zurückstecken mussten?
Stappenbeck: Meine Eltern waren 26 Jahre alt und hatten gerade ihr Studium beendet, als meine kleine Schwester geboren wurde. Natürlich kam ihr da ein Großteil der Aufmerksamkeit zu. Ich kann nicht sagen, dass ich jemals das Gefühl hatte, dass ich tatsächlich zurückstecken musste. Aber wahrscheinlich habe ich deshalb später einen Beruf ergriffen, bei dem ich als Person im Mittelpunkt stehe. Aber auch das ist typisch für Geschwister von Behinderten: Sie werden sehr früh sehr selbstständig.
teleschau: Sie drehten mit elf Jahren ihren ersten Film und erlebten quasi ihre Pubertät vor der Kamera.
Stappenbeck: Oh ja. Als ich meine erste Hauptrolle in einem Kinofilm spielte, war ich gerade 15. Das fiel obendrein genau in die Wendezeit. Ich erwachte also beruflich, privat und politisch. In besagtem Film, "Biologie", ist sogar mein allererster Kuss verewigt.
teleschau: Machten sich Ihre Eltern in dieser Zeit keine Sorgen?
Stappenbeck: Nein. Ich finde aus heutiger Sicht, dass sie sich sogar sehr vorbildlich verhielten. Weder bremsten sie mich noch spornten sie mich übermäßig an. Sie wollten und wollen bis heute einfach nur, dass ich glücklich bin. Ich war zudem eine sehr gute Schülerin, sodass sie sagten: "Wenn dir die Schauspielerei Spaß macht, mach es!"
teleschau: Bei Ihrer Figur Maria geht der berufliche Erfolg vor dem privaten Glück. Wie ist das bei Ihnen?
Stappenbeck: Ich denke, es geht bei allem um das richtige Maß. Ich brauche meine Arbeit, denn wenn ich mich ausdrücken kann, bin ich glücklich. Umgekehrt brauche ich meinen Mann und meine Familie als Stütze. Beides auszubalancieren ist gar nicht so leicht, weil ich meine Arbeit im Voraus schlecht einteilen kann. Manchmal verschieben sich berufliche Projekte und man muss private Pläne wie einen Urlaub absagen.
teleschau: Sie sind seit zwei Jahren verheiratet - gehört zu Ihren Plänen auch, dass Sie ihre kleine Familie demnächst vergrößern?
Stappenbeck: Momentan bin ich was das angeht ganz entspannt. Ich hätte nichts gegen Kinder, aber ich spüre zurzeit auch nicht den Drang, unbedingt eines haben zu wollen. Das ist eine dieser Entscheidungen, die ich heute lieber meinem Bauch überlasse - buchstäblich - oder dem lieben Gott.