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Lisa Boekhoff über Political Correctness Abgründige Korrektheit

Vor mehr als zwanzig Jahren spricht der Ethnologe Hans Peter Duerr, damals Professor für Kulturgeschichte und Ethnologie an der Universität Bremen, in einem Interview mit dem „Spiegel“ von einer „Tugendgruppe“ der Political Correctness, die eine „infantile Disney-Idylle, mit guten und mit bösen Menschen“ zimmere. „Fühlt man sich politisch ohnmächtig, werden die Bilder von der Wirklichkeit und die Worte, die sie beschreiben, immer wichtiger.
15.06.2015, 00:00 Uhr
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Abgründige Korrektheit
Von Lisa Schröder
Vor mehr als zwanzig Jahren spricht der Ethnologe Hans Peter Duerr, damals Professor für Kulturgeschichte und Ethnologie an der Universität Bremen, in einem Interview mit dem „Spiegel“ von einer „Tugendgruppe“ der Political Correctness, die eine „infantile Disney-Idylle, mit guten und mit bösen Menschen“ zimmere. „Fühlt man sich politisch ohnmächtig, werden die Bilder von der Wirklichkeit und die Worte, die sie beschreiben, immer wichtiger. Und wenn die Realität immer schrecklicher wird, und dieses Grauen in allen TV-Nachrichten ausgebreitet wird, versenkt sich der leidende Betrachter in die Reinheit der eigenen Scheinwelt. Insofern ist Political Correctness die Illusion einer heilen Welt und einer behüteten und sauberen Gesellschaft.“ Da muss man als politisch Korrekter erst mal schlucken.

Daran ist natürlich nicht zu rütteln: Das was wir tun, sagen und schreiben, sollte niemanden aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, seiner Behinderung, seiner sexuellen Neigung oder sozialen Zugehörigkeit diskriminieren oder verletzen. Der Duden definiert diesen Grundsatz als politische Korrektheit. Doch eine in Gänze politisch-korrekte Welt? Schaut man sich Ideen an, die da im Namen der Gerechtigkeit im Raum schwirren, sie wäre nicht so wünschenswert.

Aus den Studenten, die schon heute gern vorsichtshalber mit einem Zustand bezeichnet werden (Studierende), würden dann die Studierx werden, ein Vorschlag von Lann Hornscheidt von der Humboldt-Universität Berlin. Hornscheidt selbst möchte auch geschlechtsneutral mit Professx angesprochen werden. Der Buchstabe X soll die Geschlechtsbestimmung an der Wortendung durchkreuzen. So muss man sich nicht entscheiden: ein Geschlecht für alle. Die selbe Idee steckt hinter dem Gender-Klo der Universität Bremen. Machen wir uns nichts vor: Letztlich ist auch der Gang zur Toilette ein politisches Geschäft.

Korrekterweise müsste man immer und überall beide Geschlechter nennen. Und selbst dann bliebe das Problem, was mit denen ist, die sich diesen Geschlechtern nicht zuordnen möchten, die sich durch sie diskriminiert fühlen. An Stelle von „Mann“ und „Frau“ rückt die Person. Ganz schön neutral. Und am Ende aller Anstrengungen könnte das Verstummen stehen.

In ihrem satirischen Buch „Moral für Dumme. Das Elend der Politischen Korrektheit“ denken die Autoren Marius Jung und Oliver Domzalski die Political Correctness (PC) zu Ende – mit bitterbösen Zukunftsvisionen. Sie malen sich aus, was passiert, wenn Unterschiede nicht mehr artikuliert werden können, weil sie als beleidigend oder wertend aufgefasst werden.

Vor allem sind die Autoren hinter ihrer Polemik nämlich tatsächlich besorgt. Sie fürchten, dass einige Vertreter des politisch Korrekten an den falschen Fronten kämpfen und vergessen, gegen die anzugehen, die tatsächlich diskriminieren wollen. Sie fürchten, dass Menschen durch die PC-Sprache erst zu Opfern gemacht werden, dass Einige gegenüber Fremden oder Anderen noch befangener sein könnten. Und dass neue Begriffe noch lange nicht die Haltung zueinander verändern, was die PC suggeriere. Außerdem kritisieren sie, dass die politisch-korrekte Sprache die Welt bürokratischer und liebloser mache. „Leider bleibt dabei vieles auf der Strecke. Zum Beispiel der unbefangenen Umgang miteinander, die Schönheit der Sprache und natürlich der Humor. Und manchmal auch die Intelligenz.“ Der Geist von George Orwells „1984“ schlummert für sie in der PC. Das sei „ja nicht nur ein Buch über Totalitarismus, sondern auch eines über verordnete Sprachverarmung, die jeden Gedankenanstoß eliminieren soll“. Aber vollständige Unanstößigkeit bedeute auch „vollkommene Leblosigkeit.“

Texte voller Abkürzungen, Sternchen, Schrägstrichen und dem Binnen-I, umständliche Doppelnennungen und Abstraktionen – Jung und Domzalski kritisieren sie zu Recht. Allein was könnte die Alternative sein? Alles wie gewohnt? Ausgangspunkt für das Buch scheint Jungs Debüt zu sein, „Singen können die alle! Handbuch für Negerfreunde“, in dem er von seiner Erfahrung mit Rassismus erzählt. Doch ein Großteil der Händler lehnte den Verkauf des Buchs aufgrund des Titels ab. Autor Marius Jung, ein schwarzer, junger Mann, inszenierte sich auf dem Cover als nackter Muskelmann mit einer großen Schleife vor dem Gemächt. Aufmerksamkeit in der ganzen Republik erregte das satirische Buch, als der Student_innenRat der Universität Leipzig – genauer: das Referat für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik – Jung dafür einen Negativpreis wegen Rassismus verlieh.

Jung hatte im Vorwort geschrieben: „Natürlich ist mir die rassistische Bedeutung des Begriffes ’Neger’ klar. Ich gehe davon aus, dass Sie mit dem Prinzip der Ironie vertraut sind.“ Scheinbar war das nicht der Fall. Sein zweites Buch rechnet mit solcher kruden Art von PC ab.

Die Autoren schauen sich an, was die bereits bewirkt hat. Dass im Film und auf der Bühne nicht mehr geraucht werden darf, weil das nicht mehr State of the Art ist, absurd für Jung und Domzalski. Dass Kinderbücher bereinigt werden – etwa „Die kleine Hexe“– um Begriffe wie „Negerlein“ und „wichsen“, ist für sie absurd. In einigen US-Staaten tauchten Twains „Die Abenteuer des Huckelberry Finn“ nicht mehr im Lehrplan auf, weil es nicht möglich war, eine politisch korrekte Version daraus zu machen. Dabei könnten die Bücher doch gerade eine Möglichkeit sein, Eltern und Kinder über Ausdrücke einer vergangenen Zeit sprechen zu lassen, finden sie.

Interessant ist ein Aspekt, der leider nicht tiefer ausgeführt wird: Die PC schaffe eine Atmosphäre des Nicht-sagen-Dürfens, was für Jung und Domzalski auch einen Teil des Erfolgs der Partei AfD erkläre. Diese Atmosphäre bringe das „Man wird doch noch mal sagen dürfen“ erst hervor. Öffentliches und privates Sprechen klafften irgendwann auseinander – gefährlich für die Gesellschaft, schreiben die Autoren, weil dadurch „die Zustimmung zum gemeinsamen Wertesystem bröckelt“.

Die Visionen, zu was PC noch führen könnte, sind humorig und unterhaltsam. Ihr sich wiederholendes Prinzip der Provokation erschöpft sich stellenweise aber auch.

Stark ist das Buch dort, wo Jung über seine Erfahrungen spricht. Die Erkenntnis nach einer Veranstaltung: „Für uns Schwarze gibt es keinen politisch korrekten Begriff. Was bedeutet, dass wir zu personae non gratae werden. Zu Unberührbaren. Die einzige politisch korrekte Lösung wäre vermutlich, wenn es uns nicht gäbe. Das würde überhaupt viel Leid aus der Welt schaffen – zum Beispiel das angebliche Mit-Leid dauerbesorgter und problemorientierter Menschen …“

Der Gefahr, dass zu große Unsicherheit irgendwann zu Schweigen führt, können wir nur begegnen, wenn wir wieder anfangen zu diskutieren, ohne den Reflex der automatischen Empörung. Die Freude am Fehlverhalten anderer ist jedoch ein Bestandteil der Correctness. Es ist wichtig, ein Sprachbewusstsein zu entwickeln, Sprache schafft Realität. Aber eine leere Hülse mit Sternchen und Schrägstrichen zu versehen, um sich besser zu fühlen, ändert tatsächlich nichts an Unterdrückung.

lisa.boekhoff@weser-kurier.de

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