Wenn Sema Mutlus Telefon klingelt, könnte es mit etwas Glück ein Musikproduzent oder jemand vom Theater sein. Nach dem Auflegen folgten in den vergangenen Jahren zunächst Auftritte mit Udo Lindenberg und dann irgendwann das Engagement in vier Kassenschlagern auf dem Theaterschiff Bremen: „Heiße Zeiten“, „Sehnsucht“, „Mann über Bord“ und „Höchste Zeit“.
„Eigentlich bin ich nicht besonders ehrgeizig, es hat sich immer alles irgendwie ergeben“ erinnert sich Sema Mutlu, die mit ihrer Schwester Derya 1996 als Duo Mutlu republikweit bekannt wurde. Ihre deutschsprachigen Soul-Pop-Melodien mit orientalischer Note trafen den Nerv des Panikorchester-Musikers. Ein Senkrechtstart folgte, der die Newcomerinnen in eine ganz andere Liga katapultierte. Damals rief Lindenbergs Verleger an und sagte: „Udo will euch kennenlernen.“ Als die Mutlu-Schwestern nach Hamburg kamen, fuhr der Rocker im Auto mit offenem Verdeck vor, die Songs der beiden Mädchen auf den Lippen. Danach ging alles ganz schnell: Proben, Tourbus, Fünf-Sterne-Hotels, Hallen mit 10 000 Fans und Small Talk mit illu-
stren Gästen wie Otto Sander, Otto Waalkes und Helge Schneider. „Das sind Freunde von Udo, die regelmäßig zu Konzerten eingeladen wurden und so lernten wir sie auch kennen“, sagt die Bremerin.
Ungünstige Verträge
Es war ein steiler Aufstieg, auf einem steinigen Weg, denn die damals 27-Jährige lernte auch die Schattenseiten des Musikbusiness kennen. So schrieb das Duo den Soundtrack für das Leinwandwerk „Der Schrei des Schmetterlings“, heimste dafür 2001 den Deutschen Fernsehpreis für die beste Filmmusik und gleich auch noch das amerikanische Pendant zu diesem ein – auf einem Album erschien das Material dennoch nie. Unglücklich formulierte Vertragsklauseln verhinderten das. Die Schwestern hatten keinen guten Manager und unterschrieben noch schlechtere Verträge: „Uns ist zwar viel zugefallen, aber es gab auch Pech auf ganzer Linie.“
Als Lebenskünstlerin konnte Mutlu mit diesem Auf und Ab umgehen. Die Tochter türkischer Einwanderer war reif genug, um zu wissen, dass nach dem großen Aufstieg auch der tiefe Fall folgen kann. „Ich musste immer wieder aufstehen“, resümiert sie und öffnete sich dank dieser Charakterstärke neue Türen. Als ein Bekannter sie anfunkte und fragte, ob sie sich vorstellen könnte, als Schauspielerin zu arbeiten, war ihre erste Reaktion Ablehnung: „Ich bin keine Schauspielerin.“ Von Vorsprechen und klassischen Monologen hatte die Autodidaktin keine Ahnung. Der erste Kontakt mit dem Regisseur und dem Theaterleiter verlief in ganz anderen Bahnen: Ihr Freund sollte recht behalten mit seiner Vermutung, dass Mutlu perfekt in die Besetzung passen würde, denn gesucht wurde jemand, „der lustig ist und gut singen kann“. Monologisiert hat Mutlu während des Vorsprechens nicht, dafür brachte sie das Castingteam zum Lachen und überzeugte mit ihrer kräftig-warmen Stimme. Woher sie die hat? „Ich weiß nicht. Eine ausgebildete Sängerin bin ich nicht. Ich träumte immer von einem Gesangsstudium, aber die Jazz-Musiker, mit denen ich in Hamburg spielte, rieten mir davon ab – ich bin sehr intuitiv, von Theorie habe ich keine Ahnung“, gibt die Mutter eines Sohnes zu.
Karriere als singende Hausfrau
Vor vier Jahren ging es für die Sängerin der Kombo Sema Mutlu & Band also von der Bühne mit Mikro und Instrumenten auf die mit dem roten Vorhang vor Kulissen – ein großer Schritt und ein neues Handwerk. „Von Quereinstieg konnte schon kaum mehr die Rede sein, alles war mir so fremd. Gott sei Dank habe ich nette Kolleginnen, die mir die Regeln erklären“, sagt sie und schaut auf die Weser. Auf der Theaterschiff-Bühne verbringt sie die halbe Woche. Wie die anderen Stücke auch, ist die aktuelle Revue „Höchste Zeit“ ein Publikumsmagnet und steht bis zur Sommerpause auf dem Spielplan. In ihrer Paraderolle macht die 45-Jährige erneut Karriere, dieses Mal als singende Hausfrau.
Auf lange Sicht bleiben Konzertauftritte nicht auf Eis gelegt. Vor Kurzem wurde sie von einer Schule in Bremen-Nord angerufen: Die Chorleiterin war kurz vor der Premiere weggebrochen. Mutlu übernahm und führt die Schüler nun zur Aufführung. Wenn die Sängerin an die Zukunft denkt, besinnt sie sich auf die Vergangenheit. Mutlu hat viel komponiert und geschrieben – genügend Stoff für ein Album wäre vorhanden, der Zeitpunkt passend. „Im nächsten Jahr hätten meine Schwester und ich unser 20-jähriges Bestehen. Ich überlege, ob wir uns zu diesem Anlass wieder zusammentun, wenn wir das noch können. Wir haben uns in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Sie probiert sich derzeit als DJane“, sagt die Komponistin, die bisher nur eine einzige Auftragsarbeit in türkischer Sprache schrieb. Ein Berliner wollte ein Album mit Schlafliedern produzieren, die Arbeiten schlummerten jedoch ein und seitdem ruht der Song in der Schublade. Nächstes Jahr wäre ein guter Zeitpunkt, um den Dornröschenschlaf zu beenden, findet Mutlu – wenn nicht vorher wieder das Telefon klingelt.