Es ist ein milder Tag, der Sommer hat gerade begonnen und in meiner Fahrradtasche trage ich den Haftbefehl.
Der Schlosser ist schon da, wartet vor dem Eingang des Hauses an der Gastfeldstraße in der Neustadt. Das ist mein Stadtteil, hier arbeite ich.
Alleine kann ich nicht die paar Stufen hinaufgehen, die Wohnung liegt im Hochparterre. Nicht, weil ich Angst habe. Ich brauche Zeugen. Falls die, deren Habseligkeiten ich pfänden muss, sagen, ich hätte etwas geklaut. Oder falls die, die hinter der Tür lauern, mir ein Messer in den Hals rammen wollen. Das ist das erste Mal, dass ich als Gerichtsvollzieherin alleine eine Wohnung zwangsweise öffnen lassen muss.
Ich klingele. Nichts. Ich klopfe. Keine Reaktion. Durch die geschlossene Tür sage ich, wer ich bin. Dann setzt der Schlosser den Bohrer an. Es klingt wie beim Zahnarzt und dauert nur fünf Minuten.
Bisher habe ich einen erfahrenen Gerichtsvollzieher begleitet. Zwei Jahre lang dauerte meine Ausbildung, nun stehe ich hier, bin auf mich selbst gestellt.
Ich fühle mich wie eine Einbrecherin, als würde ich etwas Verbotenes tun. Ich bin so erzogen worden, dass es sich nicht gehört, anderer Leute Sachen zu durchwühlen.
Es riecht nach frischer Wäsche. Der Mann muss sie erst vor Kurzem aufgehängt haben. Ich rufe seinen Namen. Stille. Die Fenster sind geschlossen, es dringt kein Straßenlärm herein. Ich bin nervös, öffne eine Zimmertür nach der anderen. Es sind drei Räume. Zuerst das Wohnzimmer. Dort steht der Wäscheständer.
Ich ziere mich ein wenig, ziehe dann aber doch Schubladen hervor und öffne Schranktüren. Ich finde nichts Besonderes, ein bisschen Geschirr und Gläser, Wäsche.
Auch der Kühlschrank ist ziemlich leer. Milch steht dort, die noch nicht abgelaufen ist. In den Regalen liegen Brot, Wurst und Käse und eine Aluschale mit Essensresten. Wahrscheinlich ist der Schuldner morgens aus dem Haus gegangen.
Nichts zu holen. Der Mann besitzt kein Bett, kein klassisches Schlafzimmer, nicht einmal eine Matratze. Auf dem Boden in dem zweiten Zimmer liegen nur mehrere Wolldecken, mit Bettwäsche überzogen, hell mit einem Blumenmuster bedruckt. Ich glaube, er lebt allein. Es gibt keine Frauenkleider, keine Schuhe oder Schmuck, nichts, was darauf hinweist, dass eine Frau hier zu Hause ist.
Die Wohnungstür steht weiter offen. Die Geräusche des Treppenhauses hallen entfernt, dringen trotzdem an mein Ohr. Ich nehme sie wahr, mit einem Ohr. Für den Fall, dass er nach Hause zurückkommt.
Das dritte Zimmer ist ebenfalls karg, wenig wohnlich. Koffer und Staubsauger sind hier abgestellt, außerdem Regale, die nicht aufgehängt sind, sondern an der Wand lehnen. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dass ich solche Möbel nicht pfänden kann und darf. Nur Designerstücke oder Antikes.
Es dauert nicht länger als eine Viertelstunde. Dann bin ich fertig. Ich kann durchatmen. Den Haftbefehl lege ich auf den Boden in den Flur. Der Schlosser wechselt noch den Schließzylinder, wir hängen eine Notiz an die Tür. Der Mann soll wissen, dass wir da waren. Und er soll wissen, dass er seine Haustürschlüssel bei der Polizei abholen kann.
Aufgezeichnet von Katharina Elsner.