Es war einmal eine – Achtung, wichtig! – hübsche Prinzessin. Sie lebte in einem Schloss. Falls nicht, ist mit ziemlicher Sicherheit eine böse Stiefmutter daran schuld oder irgendein anderer Fiesling, der ihren Aufstieg mit aller Macht verhindern will. Es gibt nur einen, der am Elend der Prinzessin etwas ändern kann: den Prinzen! Ohne ihn ist sie nämlich kaum lebensfähig. Immerhin hat sie auch einen großen Teil ihres bisherigen Daseins damit verbracht, auf ihn zu warten.
Ist er endlich da, steht dem Glück der Prinzessin nichts mehr im Weg. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich irgendwo, wo es ganz viel Natur gibt. Gewalt, Seitensprünge und Scheidungen gibt es im Märchen nämlich nicht. Würde es all das geben, könnte die Prinzessin auch schnell mal zur bösen Hexe werden – wie das wahre Leben am Beispiel von Camilla Parker Bowles zeigt. Der Frau, die schon an der Seite von Prinz Charles war, bevor er Diana heiratete. Die aber eben nie so richtig ins Bild der perfekten Prinzessin passte.
Jeder kennt die Klischees, die Prinzessinnen seit jeher begleiten. Jedoch hat sich die Figur der Königstochter oder Prinzengattin im Film im Laufe der Zeit verändert. Sie ist schon lange nicht mehr das willenlose Frauchen, das zur Erfüllung all ihrer Träume einen Mann an ihrer Seite braucht.
Von der braven Hausfrau zur Rebellin
Was eine moderne Prinzessin ausmacht, lässt sich sehr gut anhand der adligen Ladys aus dem Hause Walt Disney, dessen Company in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert, verdeutlichen. Passive Frauenfiguren, die hilflos auf ihre Rettung warten? Die sucht man heute vergeblich. Aber werfen wir einen kurzen Blick zurück.
Schneewittchen war 1937 die erste Disney-Prinzessin, die einen animierten Langfilm bekam und entsprach komplett dem Frauenbild der damaligen Zeit. Die meiste Zeit des Filmes putzt sie und sorgt dafür, dass es bei den Zwergen zu Hause schön aussieht. Bis zu dem Moment natürlich, in dem der Prinz sie rettet. Ähnlich sieht es auch noch in den 1950er-Jahren aus, wo unter anderem "Cinderella" und "Dornröschen" über die Leinwände flimmerten.
Etwas rebellischer wurden die Krönchenträgerinnen erst in den 1990er-Jahren. Frauenfiguren, die sich nach einem selbstbestimmten Leben sehnen, stehen im Mittelpunkt. Darunter Belle, in "Die Schöne und das Biest". Sie wird von den Bewohnern ihres Dorfes belächelt, weil sie lieber liest und ihrem Vater hilft, anstatt den arroganten Dorf-Schmierlappen Gaston zu heiraten. Am Ende ist sie es, die das Biest, das eigentlich ein verwunschener Prinz ist, von seinem Fluch befreit.
Auch Prinzessin Jasmin aus "Aladdin" ist bereits weit davon entfernt, eine Klischee-Prinzessin zu sein. Sie schleicht sich heimlich aus dem Palast und lehnt sich dagegen auf, von ihrem Vater, dem Sultan, verheiratet zu werden. Gut, am Ende sind auch sie und Belle auf Wolke sieben mit ihren Traumprinzen. Ohne die zwei Frauen hätten die beiden Männer aber wahrscheinlich gar nicht erst überlebt.
Noch beeindruckender ist "Mulan", die junge Chinesin, die als Mann verkleidet in den Krieg zieht, um ihren alten Vater vor dem Kampf zu bewahren. Mulan muss für ihre Täuschung viel Kritik einstecken, wird fast schon geächtet. Am Ende zeigt sie es aber allen und rettet ein ganzes Land. "Pocahontas", "Merida", "Vaiana" – immer wieder tauchen in Disneyfilmen starke Frauen auf, die ihren eigenen Weg gehen und sich von keinem Mann davon abbringen lassen.
Angekommen im Heute ist da noch die Frau, die dafür gesorgt hat, dass in vielen Mädchenzimmern mittlerweile Weißblau statt Rosa dominiert: Elsa aus "Die Eiskönigin". Sie braucht keinen Prinzen, und auch ihre Schwester Anna, anfangs noch ganz darauf fixiert, sich zu verlieben, lernt schnell, dass die Welt nicht immer rosarot ist. Unter dem Hashtag #giveelsaagirlfriend machten sich viele Fans vor Erscheinen des zweiten Teils des Erfolgsfilms sogar dafür stark, dass eine der beiden Heldinnen lesbisch sein soll.
Die Kritik bleibt
Viel ist passiert in den vergangenen Jahrzehnten. Aber natürlich reicht das kritischen Geistern noch lange nicht aus: Die Disney-Prinzessinnen erfüllen nach wie vor alle gängigen Schönheitsideale, sind (zu) schlank, haben langes Haar und große Kulleraugen. Außerdem fehle es an Vielfalt: Prinzessinnen haben in der Regel keine körperlichen Einschränkungen, sind heterosexuell und weiß. Eine Ausnahme ist Tiana, die afroamerikanische Hauptfigur in "Küss den Frosch" aus 2009. Und auch bei der noch ganz frischen Realverfilmung von "Arielle" wird die Hauptfigur von der schwarzen Schauspielerin Halle Bailey gespielt. Ausbaupotenzial gibt es hier natürlich trotzdem. Das gleiche gilt für die Quantität von Frauenrollen in Disneyfilmen: So stellten zwei amerikanische Linguistinnen 2016 fest, dass noch immer weitaus mehr männliche Figuren in den Filmen vorkommen und ihr Redeanteil insgesamt größer ist.
Dennoch darf man nicht vergessen: Die Entwicklung der Figuren ist mehr als deutlich und sicher noch lange noch nicht zu Ende. Denn Film-Prinzessinnen sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit, und festgefahrene Rollenbilder verändern sich nun einmal nicht von heute auf morgen. Ganz ehrlich: Es kann sich nun wirklich niemand mehr darüber beschweren, dass es heutzutage nicht genügend Identifikationsfiguren für Mädchen gibt, die stark, divers und eigensinnig sind und nicht aussehen wie Prinzessin Lillifee oder andere rosafarbene Tüll-Ungeheuer. Und ganz wichtig: Auch die haben ihre Daseinsberechtigung. Denn es sollte in der ganzen Diskussion nicht darum gehen, traditionelle Prinzessinnenfiguren vollkommen auszumerzen, sondern vielmehr darum, sie um vielfältigere Charaktereigenschaften und diversere Lebensvorstellungen zu ergänzen und sie weniger eindimensional darzustellen.
Was Prinzessinnen mit normalen Frauen gemeinsam haben
Aber vielleicht zeigt sich genau hier, was Prinzessinnen, egal ob eher traditionelle oder ganz moderne, mit allen Frauen dieser Welt gemeinsam haben: Sie stehen unter ständiger Beobachtung, und es wird immer Gruppen geben, die mit ihren Entscheidungen nicht einverstanden sind. So wird die Prinzessin, die sich trotz aller Emanzipation für ein Leben mit dem Prinzen entscheidet, genauso kritisch und mit hochgezogenen Augenbrauen beurteilt wie im wahren Leben die mit sich allein vollkommen zufriedene Single-Frau. Oder die Mutter, die trotz Kindern wieder arbeiten geht. Und die Prinzessin, die auf den Prinzen pfeift, wird von all denen, die es traditionell mögen, wohl mit genauso viel Unverständnis bestraft, wie die Frau, die sich aus voller Überzeugung um Kinder und Haushalt kümmert, von denen, die gern mit alten Rollenbildern brechen.
Es ist also nicht die Schuld von Disney, wenn wieder jemand sagt: "Entschuldigung, wieso ist diese Prinzessin so dünn?" Oder wenn Belle vorgeworfen wird, dass sie unter dem Stockholm-Syndrom leidet, weil sie ihrem Geiselnehmer – dem Biest – verfällt. Wenn "Arielle", die Meerjungfrau, nicht dafür gefeiert wird, dass sie sich gegen ihren Vater auflehnt, um ihre (zugegebenermaßen etwas fragwürdigen) Träume zu verwirklichen, sondern angefeindet, weil sie für einen Mann ihre Stimme aufgibt. Oder wenn sich Menschen allen Ernstes daran stören, dass Arielle in der Neuverfilmung schwarz ist. Es ist vor allem die Gesellschaft, die jede Bemühung hin zu mehr Vielfalt mit einem "Das geht noch besser!" kommentiert.
So schön die Entwicklungen hin zu starken Frauenbildern also auch sind – Prinzessinnen (und alle anderen Frauen) werden es, sei es aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Taten, nie allen recht machen können. Hier liegt der Punkt, den viele noch nicht verstanden haben: Genau das sollte auch einfach nicht ihre Aufgabe sein. Es gibt nur einen Menschen, der mit ihren Entscheidungen, ihrem Aussehen und ihrem Verhalten einverstanden sein muss. Und das ist und bleibt sie selbst.