Gute Unterhaltung oder unter aller Sau? SAT.1 trägt in seiner neuen Kuppelshow "Schwer verliebt" ganz schön dick auf.
"Liebe Leute bei RTL", prophezeite einst Stefan Raab - ausgerechnet Stefan Raab - den Redakteuren von "Schwiegertochter gesucht": "Für so was kommt man in die Hölle!" Doch der Sender ließ sich nicht beirren. Die liebestollen Schwiegertöchter treten inzwischen in der fünften Staffel an, "Bauer sucht Frau" geht gar in die siebte Runde, und die Zuschauer schalten weiter scharenweise ein. Nun will auch SAT.1 ein Stück vom Quotenkuchen abhaben und zeigt ab 6. November, immer sonntags, die Reality-Dokus "Liebes-Alarm!" (18.00 Uhr) und "Schwer verliebt" (19.00 Uhr).
Gut, könnte man meinen. Nachdem Kuppelkönig Kai Pflaume seine Show "Nur die Liebe zählt" im März aufgab, ist am Sonntagabend ein Loch zu schließen - am besten mit viel Romantik, Freudentränen und Glücksgefühlen. Doch betätigte sich Pflaume noch als Missionar der sehnsüchtig Schmachtenden, heimlich Verliebten und unglücklich Verlassenen, haben Andrea Göpel bei "Liebes-Alarm!" und Britt Hagedorn bei "Schwer verliebt" einen anderen Auftrag: das Publikum mit möglichst skurrilen Annäherungsversuchen bespaßen.
Als SAT.1 Anfang Juli die pfundigen Kandidaten von "Schwer verliebt" - "Bauer sucht Frau" für Übergewichtige - vorstellte, war offensichtlich, wie viel sich die Redaktion bei den RTL-Quotenrennern abgeschaut hat: Talkshow-Mohikanerin Britt besuchte ihre Kandidaten zu Hause und präsentierte ihre Singles - darunter auch ein paar, nun ja, sehr eigene Exemplare.
Wie bei der Konkurrenz beliebte und breitgetretene Unsitte, wurden die properen Damen und Herren etikettiert: Sarah, "die romantische Regal-Servicekraft", sammelt Barbiepuppen und durfte ihren Lieblingen für die Kamera ausgiebig die Haare kämmen. Miriam, "die hellsichtige Bartträgerin", steht zu ihrer Gesichtsbehaarung und ist esoterisch interessiert. Hans-Dieter, "der rüstige Witwer", spielte Britt etwas auf dem Akkordeon vor. Und Daniel, den einzigen Homosexuellen in der molligen TV-Singlebörse, überredete SAT.1, die Schlagerzeilen "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann ..." anzustimmen.
So ging es munter weiter: Wer keine Macke hat, dem wurde eine angedichtet - schließlich gibt es über Dicke einen mindestens genauso großen Sack voller Klischees wie über Landwirte. Von den Medien gab es für diese Auftaktsendung jedenfalls nur eines: harsche Kritik. "Spiegel online" etwa gab den Machern ordentlich Zunder: "Für diese Show würde man die Verantwortlichen gerne nachsitzen lassen. Tausendmal müssten sie in einem muffigen Raum den Satz schreiben: 'Ich darf so nicht mit Menschen umgehen.' Raus dürften sie erst wieder, wenn sie geloben, jeglichem Kuppel- und Demütigungsfernsehen für immer abzuschwören. "'Schwer verliebt" sei "schlicht entwürdigend".
Darf man Menschen so vorführen? Klar, die Zuschauer wissen inzwischen, wie Fernsehen funktioniert. Spätestens aus der Presse erfährt man regelmäßig, dass viele fragwürdige Szenen und Zuspitzungen auch bei "Bauer sucht Frau" und "Schwiegertochter gesucht" auf den Mist des Senders gewachsen sind. Doch womöglich ist genau das das Problem: Das Publikum akzeptiert die Sendungen als Fiktion und genießt ohne Reue - die genannten Formate haben nicht umsonst mitunter bessere Quoten als "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Aber wie sehr manche Kandidaten darunter leiden, dass sie nicht ernst genommen werden, kann man nur ahnen.
Auch in anderen Ländern gibt es merkwürdige Dating-Shows, man findet sie vor allem im US-Fernsehen. Bei "More to Love" konnte ein XXL-Mann eine aus 20 kurvigen Frauen wählen. "Boy Meets Boy" verkuppelte schwule Männer. Und in "The Littlest Groom" hatte "der kleinste Bräutigam" die Wahl zwischen zwölf Frauen, die wie er kleinwüchsig waren. Vor allem letztere Show war umstritten, doch sie wurde gesendet. Die Schaulust der Zuschauer scheint grenzenlos, die (Fremd)Scham ist offenbar noch nicht groß genug um Nein zu den Demütigungen im TV zu sagen.
Oder doch? Die erste Ausgabe "Schwer verliebt" kam gerade mal auf 9,9 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe - zum Vergleich: "Schwiegertochter gesucht" schnitt zuletzt mit bis zu zehn Prozent mehr ab. Doch immerhin hat Britts dick aufgetragener Nachahmer freie Bahn: Die Sendung startet eine Woche, nachdem RTL seine schwer vermittelbaren Söhne mehr oder weniger an die Frau gebracht hat, und die Bauern lassen sich erst am Montag den Hof machen.
Am neuen SAT.1-Vorabend übernimmt Andrea Göpel ("Messie-Alarm!") mit "Liebes-Alarm!" um 18.00 Uhr das Aufwärmprogramm: Sie wird Paare vereinen, die in problematischen Beziehungen leben. In der ersten Folge lernt die Moderatorin die 56-jährige Uschi kennen, die seit sechs Jahren mit dem 23-jährigen Peruaner Julio zusammen ist. Allerdings kennen sich die beiden nur über das Internet - das soll sich nun ändern. Da kommt also doch ein bisschen Kai-Pflaume-Feeling auf ...