Während bei RTL die Fortsetzung der sechsten Staffel von "Dr. House" anläuft (am 14.09., dienstags, 21.15 Uhr), bereitet sich Prof. Dr. Jürgen Schäfer in Marburg mithilfe der beliebten US-Serie auf eine Neuauflage seines erfolgreichen Seminars vor.
Lauter kleine Dr. Houses zu produzieren, das war seine Horrorvorstellung. Doch Prof. Dr. Jürgen Schäfer kann aufatmen: Seit zwei Jahren hält der Mediziner von der Philipps-Universität Marburg erfolgreich das Seminar "Dr. House revisited - oder: Hätten wir den Patienten in Marburg auch geheilt?" Und bisher war bei keinem der Teilnehmer eine charakterliche Angleichung an den polarisierenden Arzt aus der US-Serie (neue Folgen ab 14. September, 21.15 Uhr, RTL) festzustellen. Im besten Fall jedoch eine fachliche Sensibilisierung für dessen Methoden. Professor Schäfers innovatives Lehrkonzept, in dem er sich die Fälle aus der Serie vornimmt, um medizinische Themenkomplexe zu vermitteln, hat sich herumgesprochen und Nachahmer gefunden. Im Juni wurde er für sein Seminar vom Medizinischen Fakultätentag und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft mit dem Ars legendi-Fakultätenpreis für exzellente Lehre in der Medizin, dem wichtigsten Lehrpreis Deutschlands, ausgezeichnet
Unabhängig von seiner Person freut Schäfer an der bedeutenden Auszeichnung, dass er für kein hoch budgetiertes Projekt geehrt wurde. Sondern für eine leicht nachzuahmende "Infotainment-Lehre" bei der vor allem die Idee zählt - tatsächlich werden "House"-Seminare bereits an anderen Universitäten angeboten. Und auf eines ist der Mediziner ganz besonders stolz: "Die Abschlussexamina der Studenten sind deutlich besser geworden." Und einen Teil dieser erfreulichen Entwicklung nimmt der 54-Jährige ganz salopp für sein Seminar in Anspruch. Doch eine Prüfung, an der man den Erfolg seiner Lehre messen könnte, muss keiner der Teilnehmer schreiben. Das Seminar ist freiwillig und findet dennoch große Resonanz und anhaltende Begeisterung bei Studenten wie Dozenten.
Pädagogisches Fingerspitzengefühl ist man von der Serienfigur Gregory House (Hugh Laurie) nicht unbedingt gewohnt. "Menschlich eine Katastrophe" steckt in dem zynischen Miesepeter aber doch ein guter Lehrer. "Diagnostisch und didaktisch ist er den Studenten durchaus ein Vorbild", sagt Schäfer. "Das ständige Hinterfragen von Diagnosen und die fachübergreifende Diskussion im Team", davon könne man auch als fertig studierter Mediziner noch lernen. Zunächst nutzte der Marburger die Einspieler der Serie nur zu Auflockerung umfangreicher Vorlesungen. Als er das große Interesse der Studenten an den fiktiven Fällen feststellte, machte er eine eigenständige Lehrveranstaltung daraus.
Am Anfang jedes Seminars zeigt der Dozent die ersten Minuten einer Folge, in denen die Symptome der Erkrankung geschildert werden. Dann sind seine Studenten dran: Mithilfe von Lehrdias und Folien werden Diagnosen und Behandlungsmethoden diskutiert. Dann spielt Schäfer wieder einen Clip ein. "In der Serie haben die Patienten alle Nebenwirkungen der Welt. Jede Komplikation, die es gibt, tritt ein." Diese dramatische Überzeichnung ist für ihn eine Steilvorlage, "weil man jede mögliche und unmögliche Erkrankung mit den Studenten diskutieren kann".
Ganz ernsthaft also werden im Seminar seltene Krankheitsbilder durchgenommen, die man auch in einem großen Klinikum wie Marburg höchstens, ein- oder zweimal im Jahr zu sehen bekommt. Normalerweise ist kaum ein Student motiviert, so etwas aus dem Lehrbuch zu pauken. "Im Medizinstudium lernt man: Wenn du Hufgetrappel hörst, denke zuerst an Pferde, nicht an Zebras. Aber wenn man mal ein Zebra vor sich hat, hilft es, wenn man die Streifen schon kennt." - Und die zeigt Schäfer seinen Studenten.
Die Realitätsnähe der Fälle von "Dr. House", so Schäfer, variiere von Folge zu Folge. "Manchmal hat man das Gefühl, die Autoren hätten aus einem Lehrbuch kopiert, dann wiederum sind sie so abwegig, dass sie mit der Realität gar nichts zu tun haben." Doch ihn interessiert weniger, ob es sich um Fakt oder Fiktion handelt, wenn sich auch die noch so abstrusesten Aspekte des fiktiven Krankheitsverlaufs im Seminar diskutieren lassen. Nach der für ihn realistischsten Krankenhausserie gefragt, muss der Mediziner passen, da kenne er sich nicht so gut aus. "Dokumentarisch sehr gut aufbereitet und für unsere Lehre ebenfalls interessant", findet er aber den auf Tatsachen beruhenden Medizin-Krimi "Abenteuer Diagnose" (neue Folgen dienstags, ab 14. September, 21 Uhr, NDR).
Auch "Dr. House" verfolgt der Dozent nach wie vor im Fernsehen, jedoch mit weniger Begeisterung als zu Anfang. "Schlapp" fand er die letzten Staffeln und spricht dem deutschen Fernsehpublikum womöglich aus der Seele. Die Serie ist und bleibt zwar ein Dauerbrenner bei RTL und erzielt regelmäßig gute Quoten. Ihren Zenit hat sie jedoch schon längst überschritten. Erreichte "Dr. House" in seinen Hochzeiten bis zu 35 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe, waren es zuletzt selten mehr als 26 Prozent. Differentialdiagnose, Herr Professor? "Wenn ich Berater der Drehbuchautoren wäre, würden mir auch irgendwann die spannenden Fälle ausgehen - immerhin gibt es schon 130 Episoden." Dementsprechend rückten diese in Staffel fünf auch immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen wurde die Krankheitsgeschichte der Titelfigur ausgewälzt. "Vielleicht ist es für die Dramaturgie wichtig, dass diese schräge Persönlichkeit immer noch durchgeknallter wird", vermutet Schäfer, doch als Fernsehzuschauer gefalle ihm das nicht.
Am Dienstag, 14. September, 21.15 Uhr, nimmt RTL nach der Sommerpause nun die Ausstrahlung der sechsten Staffel wieder auf. Und auch in Marburg wird es zum Wintersemester wieder eine neue Seminar-Reihe mit "Dr. House" geben. Zeit, eine Bilanz zu ziehen: Hätte man die Patienten denn nun auch in Marburg gerettet? Professor Schäfer lacht: "Bei uns wäre keiner gestorben."