Herr Achenbach, Sie haben sich schon früh als Geschäftsmann versucht. Auf dem Schulhof vermieteten Sie Schmuddelheftchen an Mitschüler. Einmal gucken, zehn Pfenning…
Helge Achenbach: Ja, genau. Das war der Moment, in dem ich die Magie des Bildes erkannt habe. Natürlich war das eher ein Zufall und ein Lausbubenstreich, aber es hat Spaß gemacht. Plötzlich hatte ich ein Budget für Schokolade in Hülle und Fülle.
Zum Kunsthandel sind Sie mit 18 Jahren auf einem Campingplatz in Frankreich gekommen. Erzählen Sie mehr.
Ich saß mit einem Freund in unserem Zelt, als wir hörten, wie jemand „Allô?“ rief. Draußen standen fünf oder sechs Afrikaner, die aus ihren Taschen Masken und Skulpturen holten. Ich fand das total spannend und zeigte mein Händler-Gen. Ich fragte, was denn drei Skulpturen oder fünf kosten würden – oder eben alle. Mein Freund kriegte schon die Krise und hatte Angst um unser Heimfahrtbudget. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe alles mitgenommen. Auf dem Weg nach Hause haben wir in Genf gehalten und die Figuren auf der Straße wieder verkauft. Am Ende hatten wir mehr Geld als vor dem Urlaub. Da war für mich klar, irgendwie muss mein Leben mit Kunst und Handel voranschreiten.
Doch das alleine macht einen ja noch nicht zum Experten – wie sind Sie Galerist und schließlich Kunstberater geworden? Studiert haben Sie ja eigentlich Sozialpädagogik…
Ich kam während meines Studiums schnell auch mit den Künstlern in Kontakt. Die Kunststudenten an der Düsseldorfer Akademie waren tolle Querdenker. Und so kam die Idee, gemeinsam eine kleine Galerie zu starten. Der große Glücksfall war, dass die Akademie damals ein Herzstück der europäischen Kunstbewegung war. Joseph Beuys war da, Gerhard Richter, Günther Uecker – viele spannende Künstler. Das war für mich eine Chance zu lernen, was Qualität ist. Ich habe Ateliers besucht, habe Sehen gelernt. Und so ging es irgendwie immer weiter. Damals ging es noch um die Kunst und nicht ums Geld. Ein Bild, das heute fünf Millionen kostet, kostete damals 5000 Mark.
Ihre Geschäfte liefen gut, schnell spielten Sie in der Liga der ganz Großen. Sie schreiben in Ihrem Buch, Ihre Arbeit und das Geld wurden wie eine Droge und Sie zu einem Junkie, auf der ständigen Suche nach dem nächsten Schuss. Kann Geld süchtig machen?
Geld und Erfolg können süchtig machen. Wenn du erfolgreich bist, hörst du irgendwann auch nicht mehr auf deine Freunde und deine innere Stimme. Mir machte das alles wahnsinnig Spaß, ich war ein Player, mich haben die Künstler getroffen, wenn sie Probleme hatten. Ich erinnere mich noch, dass Jeff Koons 1992 zu mir kam und sich von mir den 17 Meter großen „Puppy“ für die Documenta bauen ließ. Oder der Videokünstler Nam June Paik, für den habe ich die Biennale in Venedig gemanagt. Ich war immer die Anlaufstelle, wenn es scheinbar unmögliche Sachen zu machen gab. Dann hieß es: Mit Helge kannste sprechen. Und irgendwann habe ich mich dabei ein bisschen vergaloppiert...
Und so kam es, dass Sie vier Jahre lang wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Untreue im Gefängnis saßen und heute als „der Aldi-Betrüger“ bekannt sind. Wann sind Sie das erste Mal vom rechten Weg abgekommen?
Das war 2008. Ich hatte das Gefühl, ich würde unter Wert eingekauft. Anstatt mich zu wehren, habe ich das Angebot, meinem Kunden Kunst für fünf Prozent Provision zu vermitteln, angenommen, weil ich ihn nicht verlieren wollte. Das war natürlich völlig bescheuert, denn damit kommt man nicht klar. Und so habe ich meinen größten Fehler begangen und mir einfach gedacht: Ein paar Prozent für mich nebenbei können ja nicht schaden.
Seitensprünge, Betrug, Größenwahn – in Ihrem Buch sprechen Sie offen über all diese Dinge, bezeichnen sich als Narzissten. Ist es nicht schwer, mit der Welt so offen über seine eigenen Fehler zu sprechen?
Für mich ist es ein Teil meiner Therapie, zu sagen: So war das, und so darf es nie mehr sein. Wirft man einen Blick auf die Wirtschaft oder die Politik, sieht man, dass Narzissten überall präsent sind. Menschen, die sich in Egozentrik und Größenwahn verloren haben. Sich klar zu machen, dass das der falsche Weg ist, tut weh, ist aber notwendig, um gesund zu werden. Ich versuche heute radikal ehrlich zu sein und lerne, Nein zu sagen. Du denkst immer, wenn du Nein sagst, verlierst du Freunde, eigentlich gewinnst du Respekt. Integrität sollte für junge Menschen das Leitmotiv des Lebens sein.
Ihr Buch ist also auch eine Selbsttherapie?
Selbsttherapie und ein Zeichen der Versöhnung. Ich nehme alles auf mich und bezichtige niemand anderen, Schuld an den Dingen zu haben, die passiert sind.
Wobei schon recht deutlich der Vorwurf auftaucht, dass das, was Sie gemacht haben, in der Kunstwelt eher die Regel als ein Einzelfall war. Ihr Buch ist eine eindeutige Kritik am Kunstmarkt.
Nicht nur am Kunstmarkt, sondern an unserer ganzen Gesellschaft. Wenn dir der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns sagt, du bekämst einen Auftrag nur, wenn du seiner Frau zehn Prozent Provision für ihre Galerie zahlst, dann ist das ein hartes Ding. Oder wenn dir ein Künstler eine gefälschte Sammlung andrehen möchte. Oder wenn der hoch geehrte Professor Werner Spies, der damalige Max-Ernst-Spezialist, im Rahmen des Beltracchi-Falls mehrere Male Fälschungen als echt bestätigt und es vielleicht doch hätte besser wissen müssen. Oder der Diesel-Skandal – es gibt unzählige Beispiele für Dinge, die in der Gesellschaft falsch laufen. Unserer Gesellschaft fehlt ein bestimmtes Gefühl von Wert und Moral.
Ist Ihnen das im Gefängnis klar geworden?
Mir ist dort klar geworden, dass es am Ende um Ehrlichkeit und Wahrheit geht. Es geht aber auch darum, Menschen wiederzufinden, die zu dir stehen. Früher habe ich große Empfänge mit 500 Leuten gegeben. Davon sind vielleicht 20 oder 30 übrig geblieben. Ich habe von diesen Menschen eine unglaubliche Solidarität erfahren. Außerdem habe ich gelernt, dass Glück nicht immer mit materiellen Dingen zusammenhängt. Auch ein Spaziergang in der Sonne ist etwas, über das man sich freuen kann.
Der Gefängnispfarrer hat Sie als Pippi Langstrumpf bezeichnet. Wie meinte er das?
Er fand mich ein wenig kapriziös. Ich habe im Gefangenenchor gesungen, die Predigt im Gottesdienst mitgehalten, war Sportwart. Ich war auch im Gefängnis immer vorne an der Front und habe die Leute mit Späßen erfreut. Irgendwie war ich für die Menschen da auch wichtig.
Inwiefern?
Ich war für viele Gefangene eine Art Vaterfigur. Die jungen Gefangenen kamen zu mir und haben mir ihre Probleme geschildert. Und ich hatte ein offenes Ohr. Da kam der alte Sozialarbeiter in mir durch. Mir ist es gelungen, auch in einer düsteren Welt die Sonne zu sehen. Und das hat mir Stärke gegeben.
Wie hat sich Ihr Blick auf die (Kunst)-Welt durch das Gefängnis verändert?
Ich möchte damit nichts mehr zu tun haben. Ich bin mit meinem neuen Leben zufrieden. Ich habe einen Kulturhof, wo ich mit Künstlern aus Kriegs- und Krisengebieten arbeite. Ich freue mich, junge Künstler zu fördern. Lass die anderen doch ihren Tanz um das goldene Kalb machen. Ich kann diese Mechanismen nicht mehr ertragen. Es geht immer nur um mehr Kohle, Protz und Spekulation.
Heute haben Sie rund 1200 Euro monatlich zum Leben. Kommt man damit klar, wenn man jahrelang daran gewöhnt war, teure Autos zu fahren, Business Class zu fliegen und mit Millionen zu handeln?
Heute fahre ich einen VW-Bus, und das ist herrlich. Ich habe gerade eine Holzplatte hinten eingebaut, damit ich auch mal im Auto übernachten kann. Mir geht es besser, als es mir jemals ging. Alles erinnert mich an die Studentenzeit, ich fühle mich ein wenig, als wäre ich wieder zwanzig.
Sie sprachen Ihren Kulturhof eben schon an. Dort arbeiten Sie als Projektleiter des Vereins „Culture without borders“, unterstützen geflüchtete Künstler und malen auch selbst. Wie kam es dazu?
Das Malen hat mir im Gefängnis sehr geholfen. Ich konnte Bilder aus meinen Erinnerungen an schöne Reisen malen. Das hat mir viel Wärme gegeben. Die Idee zu „Culture without borders“ kam mir, als ich gesehen habe, wie Putin Pussy Riot verhaftet hat oder die Festnahmen durch Erdoğan. Da habe ich beschlossen, dass ich Menschen zur Seite stehen möchte, die nur im Gefängnis sind, weil sie von Despoten aufgrund ihrer Persönlichkeit verfolgt werden. Es ist ein schönes Gefühl, ihnen zu helfen.
Es besteht also keine Gefahr, dass Sie noch einmal angreifen? Die Karriereleiter noch einmal nach oben klettern?
Mein Freund Günter Wallraff, bei dem ich auch ein Zimmer habe, seit ich aus dem Gefängnis raus bin, korrigiert mich hin und wieder. Er sagt mir immer wieder: Pass auf, dass du nicht wieder so nah an das Geld herangehst, das dich verführt. Eigentlich ist die Gefahr nicht wirklich da. Aber hin und wieder erwischt man sich doch beim Grübeln. Ich bin gerne bereit, wieder Kunstberatung zu machen, zum Beispiel, wenn es um junge Künstler geht. Aber wie auch Günter sagt: Geh nicht mehr zu den großen Jungs, denn die wollen dich nur verführen!
Das Gespräch führte Alexandra Knief.
Ein Kunsthändler auf Abwegen
Helge Achenbach (67) zählte zu den wichtigsten internationalen Kunsthändlern der Gegenwart. Mehr als 40 Jahre hat er Kunstwerke gekauft, verkauft und gesammelt, Konzerne mit Kunst ausgestattet und Ausstellungen in bedeutenden Museen organisiert. Er stattete unter anderem auch das Quartier der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM in Brasilien mit Kunst aus. Im Juni 2014 wurde er verhaftet und wegen Betrugs in 18 Fällen angeklagt. Achenbach betrog den Aldi-Erben und Milliardär Berthold Albrecht beim Vermitteln von Kunstwerken und Oldtimern mit verdeckten Preisaufschlägen.
Er musste dafür vier Jahre in Haft. Sein Fall schlug große Wellen in den Medien, Achenbach wurde als „der Aldi-Betrüger“ bekannt. Vergangenes Jahr wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Heute engagiert er sich im Rahmen von „Culture without borders“ für verfolgte Künstler und lebt ein Leben fernab der glamourösen Kunstwelt, von der er jahrzehntelang ein Teil war. In seinem Buch „Selbstzerstörung“, das am 16. Oktober erscheint, erzählt er ehrlich und selbstkritisch von seiner Kindheit und Jugend, seinem Aufstieg und seinem tiefen Fall.
Weitere Informationen
Helge Achenbach: Selbstzerstörung. Das Buch erscheint am 16. Oktober.