Fatou Mandiang Diatta wurde als kleines Mädchen im Senegal beschnitten. Jetzt kämpft die in Berlin lebende Musikerin in ihrer Heimat mit Musik und Aufklärung gegen die brutale Tradition, unter der weltweit 125 Millionen Frauen und Mädchen leiden.
Ich kann mich noch an die Schmerzen und das Blut erinnern. Meine Mutter sagte mir, dass ich nicht weinen dürfe, weil ich sonst die Ehre unserer Familie beschmutze.“ Vor knapp 30 Jahren schnitt eine alte Frau der vierjährigen Fatou Mandiang Diatta die Klitoris ab. Ohne Betäubung. Damals presste die kleine Fatou die Lippen zusammen. Heute schweigt sie nicht mehr, heute schreit sie als Rapperin Sister Fa heraus, was sie wütend macht. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gibt es weltweit 125 Millionen Frauen, die Opfer weiblicher Genitalbeschneidung wurden. Nach UN-Angaben sind im Senegal ein Viertel der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten, im Süden des Landes sollen es sogar bis zu 90 Prozent sein. Sister Fa ist jetzt in ihre alte Heimat zurückgekehrt, um mit Musik und Aufklärung gegen die Tradition zu kämpfen, unter deren Folgen sie noch heute leidet.
„Mein Name ist Fatou. Ich bin genau wie ihr Senegalesin. Und ich bin genau wie viele von euch beschnitten.“ Bei knapp vierzig Grad steht Fatou Mandiang Diatta, alias Sister Fa, in einem Klassenzimmer in einem Dorf im Süden Senegals. Rund 70 Mädchen und Jungen hören gebannt zu, als die Frau, die von hier, und irgendwie doch aus einer anderen Welt kommt, das eigentlich Unaussprechliche ausspricht. Auch wenn weibliche Genitalverstümmelung im Senegal offiziell seit fast 16 Jahren verboten ist, ist es immer noch ein Tabu, offen darüber zu sprechen. Die Tradition infrage zu stellen, ist für viele ein Verrat an der eigenen Kultur, am eigenen Glauben, an der eigenen Familie, ein Verrat an allem, was im Senegal wichtig ist. Die 32-Jährige tut es dennoch. Sie kann nicht anders.
Brutale Praxis in 29 Staaten
„Mädchen werden beschnitten, weil es im Koran steht.“ „Mädchen werden beschnitten, weil sie sonst keinen Mann finden können.“ „Mädchen werden beschnitten, weil sie sonst nicht beten können.“ „Mädchen werden beschnitten, weil sie sonst unrein sind und nicht treu sein können.“ „Mädchen werden beschnitten, weil es eine alte, harmlose Tradition ist.“ Nach anfänglichem Schweigen fallen den Schülerinnen und Schülern viele Gründe ein, warum fast alle Mädchen in der Klasse, den gefährlichen Eingriff über sich haben ergehen lassen müssen. Fatou Mandiang Diatta kennt diese Antworten. Mit Unterstützung der Hilfsorganisation World Vision, die sich in dem westafrikanischen Staat seit mehr als zehn Jahren in Zusammenarbeit mit örtlichen Meinungsführern für Kinderrechte und gegen weibliche Genitalverstümmelung engagiert, ist sie bereits zum vierten Mal im Senegal auf Tour, um gegen die brutale Praxis, die in 29 Staaten Afrikas und Asiens immer noch verbreitet ist, zu kämpfen.
Die Aktivistin weiß, dass keine einzige Sure des Koran die Beschneidung fordert. Sie weiß, dass die Mütter ihre Töchter beschneiden lassen, weil sie nur das Beste für sie wollen, und sie weiß, dass viele krude Thesen aufgestellt wurden, um die Tradition zu rechtfertigen. Als Mutter einer sechsjährigen Tochter weiß sie jedoch auch, dass die Beschneidungsnarben vielen Frauen während der Menstruation, beim Urinieren, beim Sex und bei der Geburt höllische Schmerzen bereiten, dass jedes Jahr Tausende Mädchen beim Eingriff verbluten oder Jahre später beim Gebären an den Folgen sterben. Aber die seit 2006 in Berlin lebende Musikerin ist nicht als Oberlehrerin gekommen. „Natürlich versuche ich im Gespräch mit den Kindern, diese falschen Argumente zu widerlegen. Denn fast immer geschieht der Eingriff aus Unwissenheit. Die Leute wissen einfach nicht, wozu die Klitoris gut ist“, sagt sie. Sie möchte erreichen, dass die Mädchen, die ihr jetzt zuhören, ihre Töchter nicht mehr beschneiden lassen. „Da kann ich nicht mit dem moralischen Holzhammer kommen. Wenn ich die Eltern dieser Kinder einfach verurteilen würde, würde ich genau das Gegenteil erreichen“, erklärt die Sängerin.
In einem ihrer Songs geht es um die Schmerzen, die sie selbst als kleines Mädchen ertragen musste. Als einst hilflose, jetzt bemitleidenswerte Betroffene sieht sie sich jedoch nicht. „Ich bin kein Opfer, ich bin eine Überlebende! Ich werde zwar mein Leben lang spüren, dass ich keine vollständige Frau bin, dass da etwas fehlt. Aber meine Musik hilft mir bei der Verarbeitung“, sagt die Rapperin, die gleich mit ihrem ersten Album 2005 bei den senegalesischen HipHop-Awards den Titel „Best Newcomer“ abräumte und sich seitdem in der Männerdomäne HipHop durchgesetzt hat. Am Anfang machte sie Musik, um Musik zumachen. Mittlerweile jedoch macht sie Musik, um etwas zu verändern.
„Ich weiß, dass wir es schaffen können, dass in vier Jahren im Senegal kein Mädchen mehr beschnitten wird“, behauptet die Rapperin kämpferisch. Doch viele Experten halten das für illusorisch. „Zwar geht die Zahl der beschnittenen Mädchen zurück, doch unsere Gesetze schrecken offensichtlich immer noch nicht alle Menschen ab. Darum müssen wir noch mehr in die Aufklärung investieren“, erklärt Mohammed El Mansour Gaye, der beim senegalesischen Ministerium für Frauen, Familie und Kinder für den Schutz von Kinderrechten zuständig ist.
Vor allem bei den immer noch einflussreichen ehemaligen Beschneiderinnen muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Viele machen keinen Hehl daraus, dass sie das Gesetz, das die Abgeordneten sich in der fernen Hauptstadt Dakar vor 16 Jahren ausgedacht haben, für einen Fehler halten. „Ich war eine berühmte Beschneiderin. Sogar Familien aus Gambia und Guinea-Bissau haben mich engagiert. In 25 Jahren habe ich sicherlich 1000 Mädchen beschnitten. Meine magische Kraft war so groß, dass mir kein einziges gestorben ist. Ich bereue nichts“, sagt Sirayel Diao vor einer strohgedeckten Lehmhütte in einem Dorf, das nur über eine holprige Piste zu erreichen ist. Als ihr Handwerk verboten wurde, hat sie das Messer, mit dem sie auch alle ihre Töchter beschnitten hat, einer anderen Beschneiderin überlassen. „Ich konnte es doch nicht einfach wegwerfen. Damit hätte ich einen Teil meiner Identität weggeworfen“, betont die Frau mit dem faltigen Gesicht, die nicht genau weiß, wie alt sie ist.
Ihre Kollegin Aissatou Baldé hingegen gibt unumwunden zu: „Manchmal sind die Mädchen während der Beschneidung verblutet, andere sind später bei der Geburt gestorben oder haben große Beschwerden bekommen. Das raubt mir noch heute den Schlaf.“ Einige dieser Opfer landeten möglicherweise in der kleinen Gesundheitsstation von Anna Camara. „Die meisten Beschneiderinnen haben überhaupt keine Ahnung von weiblicher Anatomie und Hygiene. Weil sie oft das immer gleiche Messer verwenden, besteht auch die Gefahr, dass sie so HIV, Hepatitis und andere Krankheiten übertragen“, schimpft die Medizinerin.
Beschneiderin Aissatou Baldé wurde früher für ihre Dienste mit einer großen Schale Mais, einem Huhn und umgerechnet rund 1,50 Euro bezahlt. „Nach der Beschneidung haben wir die ganze Nacht gesungen und getanzt. Das war sehr schön. Leider dürfen wir diese Feste jetzt nicht mehr feiern“, bedauert Baldé.
Täterinnen werden geschützt
Auch wenn die beiden Beschneiderinnen beteuern, seit Jahren kein Mädchen mehr angerührt zu haben, muss es noch viele Kolleginnen geben, die den einst angesehenen, mittlerweile illegalen Beruf ausüben. Zwar drohen langjährige Gefängnisstrafen, doch den Täterinnen auf die Schliche zu kommen, ist schwierig. „Hier schützt jeder jeden. Wir können nur undercover ermitteln und hoffen, dass die Menschen uns verraten, wer wann und wo beschneidet“, sagt Polizist Adama Sy, dem bislang keine einzige Festnahme gelungen ist.
Rahinatou ist eines der wenigen Mädchen in Sinthiang Koundera, die dem Messer entgehen konnten. Die Zwölfjährige kennt nur drei weitere gleichaltrige Mädchen, die nicht beschnitten sind. „Manchmal zeigen die anderen mit dem Finger auf mich und sagen, dass ich weniger wert sei als sie. Aber ich glaube, sie sind heimlich sogar neidisch auf mich, weil ich weniger Schmerzen haben werde, wenn ich ein Kind bekomme“, sagt das selbstbewusste Mädchen.
Ihre beschnittene Mutter Aissatou hat sieben Kinder zur Welt gebracht. „Alle Geburten waren die Hölle. Das wollte ich meinen Töchtern unbedingt ersparen“, sagt sie, während sie ihr jüngstes Kind stillt. Auch wenn im Dorf über ihre unbeschnittene Tochter gesprochen wird, macht sie sich keine Sorgen, dass Rahinatou alleine bleiben wird. „Schließlich will ich für meine Tochter einen Mann, der sie heiratet, weil er sie liebt, nicht, weil sie beschnitten ist. Da wird sich schon einer finden“, ist die Mutter optimistisch.
Als Sister Fa am Abend ein kostenloses Konzert gibt, steht Rahinatou mit ihrer Großmutter etwas abseits auf dem staubigen Schulhof. Die Außenseiterin, die einmal Hebamme werden will, sagt: „Ob beschnitten oder nicht: Musik finden wir alle gut. Ich glaube, die Leute hören zu, was Sister Fa zu sagen hat. Vielleicht macht das mein Leben hier etwas einfacher.“
Weibliche Genitalverstümmelung
n In ihrer Autobiografie „Wüstenblume“ berichtete das somalische Topmodel Waris Dirie 1998 davon, dass sie als kleines Mädchen beschnitten wurde. Das Buch wurde zum Bestseller, das bis dahin tabuisierte Thema weltweit einer großen Öffentlichkeit bekannt. Mediziner, Menschen- und Frauenrechtler setzen sich vor allem seit dem Bericht des Models für die Abschaffung des Eingriffes ein. In Dschibuti, Ägypten, Guinea, Mali, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Eritrea, Äthiopien, im Süden Senegals und vielen anderen afrikanischen und asiatischen Staaten ist die Tradition dennoch weiterhin verbreitet.
Bei dem Eingriff, der meist von medizinisch nicht qualifiziertem Personal mit einer Rasierklinge, einem Messer, einer Schere oder einer Scherbe durchgeführt wird, werden die Klitoris und teilweise die Schamlippen entfernt. Bei der pharaonischen Beschneidung wird die Vagina anschließend sogar bis auf eine kleine Öffnung für Menstruationsblut und Urin zusammengenäht. Oft wird die Frau erst in der Hochzeitsnacht vom Ehemann wieder aufgeschnitten. Viele Opfer überleben diese Form der Unterdrückung und Kontrolle der weiblichen Sexualität nicht.
Auch wenn der Koran die Beschneidung nicht fordert, wird der Eingriff immer noch oft fälschlicherweise mit dem Islam gerechtfertigt. Dabei fanden Beschneidungen schon in vorislamischer Zeit statt und werden auch in nicht muslimischen Gesellschaften durchgeführt. In vielen Kulturen wird das Ertragen der Schmerzen als Initiationsritus gefeiert, mit dem das Mädchen zur Frau wird. Obwohl Beschneidungen oft schlimme medizinische Folgen haben, werden sie auch mit ästhetischen und gesundheitlichen Argumenten begründet. (phd)
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