Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Iris Berben über ihren neuen Film, den Nürnberger Prozess und den Umgang mit der Nazi-Vergangenheit „Ich glaube an Cleverness der Zuschauer“

Nürnberg 1945: Zu Beginn des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher richten die Amerikaner in einer Villa am Stadtrand ein Gästehaus ein, in dem Zeugen des Verfahrens untergebracht werden. Hier wohnen ehemalige NS-Funktionäre und enge Vertraute der Angeklagten Tür an Tür mit Regimegegnern und Opfern des Nationalsozialismus.
22.11.2014, 00:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste

Nürnberg 1945: Zu Beginn des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher richten die Amerikaner in einer Villa am Stadtrand ein Gästehaus ein, in dem Zeugen des Verfahrens untergebracht werden. Hier wohnen ehemalige NS-Funktionäre und enge Vertraute der Angeklagten Tür an Tür mit Regimegegnern und Opfern des Nationalsozialismus. Der auf dem gleichnamigen Buch von Christiane Kohl basierende Fernsehfilm „Das Zeugenhaus“ (Montag, 20,15 Uhr im ZDF) greift die ungewöhnliche Konstellation auf und schildert, wie die so unterschiedlichen Hausgäste miteinander und mit ihrer Situation umgehen. Schauspielerin Iris Berben, die die Gräfin Belavar, die Gastgeberin in der Villa, spielt, erzählt im Interview mit Martin Weber, warum sie sich privat gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus engagiert.

Frau Berben, in „Das Zeugenhaus“ geht es um eine faszinierende Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit basiert: Sie handelt von Nazis und NS-Opfern, die beim Nürnberger Prozess 1945 als Zeugen auftraten und gemeinsam in einer Villa untergebracht waren. Wie viel ist in Ihrem Film wahr und wie viel erfunden?

Iris Berben: Die Geschichte selber ist nicht erfunden. Die Amerikaner brauchten für diesen Prozess Zeugen und wussten auch nicht bei jedem so ganz genau, wer er war und was er während der Nazizeit gemacht hat. Das Haus gab es wirklich, es waren, glaube ich, sogar zwei Häuser. Die Gräfin, die ich spiele, und die als Gastgeberin fungierte, hatte aber nicht den Background wie im Film. Sie ist so viel ich weiß danach auch nach Amerika gegangen, wir lassen es im Film offen. Dass es aber diese beiden Häuser gab, wo man Zeugen unterschiedlicher Couleur zusammengebracht hat, ist erwiesen.

Im Film sitzen diese Leute beim Frühstückstisch zusammen, der Täter neben dem Opfer . . .

Inwieweit sich das tatsächlich so abgespielt hat, vermag ich nicht zu sagen. Wir wollen in dem Film mit solchen Bildern und Situationen veranschaulichen, um was es geht. Szenen wie die am Frühstückstisch sagen ja eine ganze Menge über die Psychologie dieser Zeit aus, wie enorm schwierig der Umgang mit dieser ungeheuer belastenden Vergangenheit war. Dieser Prozess, der in ganz Deutschland stattfand, wird im Film verdichtet auf die Situation in diesem Haus.

Die Geschichte spielt in Nürnberg, wo haben Sie gedreht?

In einer alten Villa in Berlin, die sich ganz hervorragend geeignet hat. Die ganze Handlung spielt sich ja in diesen Räumen ab und konzentriert sich ganz auf diese Menschen. Wir wollten aber auch deshalb gar nicht so viel nach draußen gehen, weil es ja immer schwierig ist, diese Zeit nachzustellen. Es sieht in vielen Filmen doch immer sehr hergestellt aus, und das wollten wir vermeiden.

Die Atmosphäre ist beklemmend . . .

Genau, und das mit voller Absicht. Ich hatte das Gefühl, dass sich eine Eisenklammer um mich legt, als ich den Film gesehen habe. Das ist zum größten Teil unserem Regisseur Matti Geschonneck zu verdanken, der diese bedrückende Atmosphäre ganz hervorragend transportiert hat.

Glauben Sie, die meisten Zuschauer können mit einem komplexen Thema wie diesem etwas anfangen?

Das denke ich schon. Ich glaube immer an die Cleverness der Zuschauer. Die Zuschauer sind reif, und wir Fernsehmacher sollten sie auch so behandeln. Man muss nicht immer mit dem Holzhammer agieren, sondern kann Geschichten wie diese auch auf eine intellektuellere Weise erzählen.

Was halten Sie von dem bis heute immer mal wieder vorgebrachten Argument, beim Nürnberger Prozess habe es sich um Siegerjustiz gehandelt, weil die Gewinner über die Verlierer zu Gericht saßen?

Ich glaube, es ist im Nachhinein immer sehr viel einfacher, Geschichte oder den Umgang mit Geschichte zu beurteilen. Ich denke, dass die Alliierten damals nach bestem Wissen und Gewissen versucht haben, den Naziterror juristisch zu verhandeln. Es musste damals schnell gehen, und der Nürnberger Prozess war vielleicht schon so etwas wie ein kleiner Befreiungsschlag, der da gelungen ist. Ich würde den Prozess nicht verurteilen, sondern glaube, dass es damals wichtig war, zumindest die namhaften Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Es gibt aber auch die Meinung, dass es besser gewesen wäre, Massenmörder wie Göring und Konsorten sofort nach ihrer Gefangennahme ohne viel Federlesen zu exekutieren.

Ich glaube nicht, dass das besser gewesen wäre. Ich bin ja immer dafür, dass man Menschen mit ihren Taten auch konfrontiert. In diesem Fall mit dieser entsetzlichen Macht, die Leute wie Göring ausgeübt und aufs Schlimmste missbraucht haben.

Die Nationen, die damals am Richtertisch saßen, haben in der Folgezeit allerdings selber so manches Mal gegen die Grundsätze verstoßen, die der Nürnberger Prozess aufgestellt hat. Ein problematischer Aspekt, oder?

Das ist in der Tat problematisch. Unser Film soll ja aber auch gar nicht moralisieren oder eine bestimmte Haltung erklären. Er maßt sich nicht an über Menschen zu urteilen, was ja auch seine große Stärke ist, wie ich finde.

Aber was ist dann die Kernaussage des Films?

Die Kernaussage hat, wenn Sie so wollen, ganz viel mit meinem eigenen Zugang zur Geschichte des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs zu tun. Die Thematik wurde in der Zeit, in der ich in die Schule gegangen bin, vielfach totgeschwiegen. Darum geht es in gewisser Weise auch in unserem Film, um Sprachlosigkeit nämlich. Wer traut sich wann was zu sagen? Das ist die entscheidende Frage, die die Figuren und vielleicht ja auch den Zuschauer umtreibt. Daraus bezieht die Geschichte ihre Spannung. Der Film lässt es ja am Anfang offen, wer Täter und wer Opfer ist.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)