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Documenta Sprünge, nicht Trippelschritte

Die umstrittene Documenta-Chefin Sabine Schormann ist weg, der Skandal um die Weltkunstschau bleibt. Ändern müsste sich einiges, meint Iris Hetscher.
19.07.2022, 18:14 Uhr
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Sprünge, nicht Trippelschritte
Von Iris Hetscher

Lange Zeit haben die Verantwortlichen der Documenta vor allem eins gemacht: abgewiegelt, dementiert, geschwiegen. Eine zügige Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals auf der Weltkunstausstellung in Kassel? Warum? Kann man vielleicht  aussitzen, bis die 100 Tage der Ausstellung vorbei sind.

Diesen Eindruck musste man gewinnen bei dem Hin und Her zwischen einer zunehmend ungeduldigen Staatsministerin für Kultur Claudia Roth und Sabine Schormann, Generaldirektorin der Weltkunstausstellung. Am Wochenende ist Schormann zurückgetreten; das war überfällig. Sie hatte sich mit ihrer halsstarrigen Art ins Aus manövriert. Der Aufsichtsrat verbat sich in gewohnt überheblichem Ton Nachfragen – als sei die Documenta nicht eine mit 25 Millionen Euro an Steuergeldern subventionierte Großveranstaltung, sondern werde aus der Schatulle eines nordhessischen Fürsten bezahlt.

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Immerhin konnte am Montag mit Alexander Farenholtz ein Interims-Chef präsentiert werden, der bei der 1992er-Documenta dabei war und in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Hortensia Völckers die Bundeskulturstiftung aufgebaut hat. Auf ihn wartet viel Arbeit. Die Chance ist, dass nun kühl und unvoreingenommen Fehleranalyse betrieben wird. Das ist dringend geboten, um grundsätzlich Schaden von der Documenta abzuwenden.

Der Image-Schaden ist groß, die Krise der an Krisen durchaus reichen Geschichte der Schau seit 1955 die schwerste. Das Kunstwerk "People's Justice" des Kollektivs Taring Padi, das eher widerwillig von der Documenta-Leitung entfernt wurde, ist zum Symbolbild dieser Ausstellung geworden. Es ist ein symbolisches Werk in dem Sinne, als dass es in allen Jahresrückblicken auftauchen wird: widerlichste antisemitische Darstellungen, mitten im Deutschland des Jahres 2022.

Das ist an sich schon ein Desaster. Doch "People's Justice" ist nicht das einzige Werk, das, um es vorsichtig zu formulieren, umstritten ist. Der Kasseler Architektur-Professor und ehemalige Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau, Philipp Oswalt, verweist gegenüber der Deutschen Presseagentur beispielsweise auf Propagandafilme einer japanischen Terrorgruppe. Er empfiehlt, solche Exponate mindestens mit einem erklärenden Begleittext zu versehen. Das ist auch deshalb geboten, um die anderen Werke der Schau, die einen Besuch lohnen, vom Generalverdacht politischer Anrüchigkeit zu befreien.

Doch nicht nur bei der inhaltlichen Aufarbeitung des Skandals muss jetzt Schluss sein mit Trippelschritten. Einen Sprung nach vorne muss es auch bei der Struktur geben. Schon die Documenta XIV vor fünf Jahren, die in Kassel und Athen stattgefunden hatte, war inhaltlich nicht unbedingt überzeugend. Zudem hatte sie ein Defizit von 7,6 Millionen Euro hinterlassen; darüber stolperte 2017 Geschäftsführerin Annette Kulenkampff. Der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) als Aufsichtsratsvorsitzender redete das damals schön, auch dieses Mal ist seine Rolle unglücklich. Geselle ist alles andere als ein ausgewiesener Kulturpolitiker, der Aufsichtsrat in Gänze scheint überfordert. Laut Claudia Roth war Geselle zudem seit längerer Zeit über organisatorische Schwächen der Documenta gGmbH informiert.

Die offenkundigste: Man hat das indonesische Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa einfach machen lassen, obwohl es schon früh Antisemitismus-Vorwürfe gab. Ruangrupa bekennt sich zu einem extrem anti-autoritären Ansatz, wie ein Sprecher vor dem Kulturausschuss des Bundestags erklärte. Heißt: Wie sich so eine Ausstellung entwickele, sei allein Sache der Künstler, auch die  Kuratoren ließen sich davon überraschen. Von daher könne man auch nicht wissen, was schief laufe. Eine derartig elitäre Form von Spontaneität ist, entgegen aller Zurschaustellung von Nahbarkeit, ausschließlich im hochsubventionierten Kulturbereich möglich.

In Kassel ist sie dann auf diese ganz spezielle Haltung getroffen, die Künstlern von der Südhalbkugel gegenüber grundsätzlich in Sack und Asche geht. Die Mitglieder von Ruangrupa sind nicht als gleichwertige Diskussionspartner behandelt worden, sondern so, als seien sie nicht in der Lage, mit Kritik umzugehen. Das wiederum ist genau das, was es auf keinen Fall sein will: eine ganz spezielle Form neo-kolonialistischer Denke. 

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