Während der vergangenen gut zweieinhalb Millionen Jahre haben sich wiederholt Warm- und Kaltzeiten abgewechselt. Die bislang letzte ausgedehnte Kaltzeit begann vor etwa 115.000 Jahren und endete vor rund 11.700 Jahren. Mit dem Neandertaler (Homo neanderthalensis) ist in dieser Zeit ein enger Verwandter des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) ausgestorben. Über die Gründe wird seit Langem spekuliert. Dass es nicht an einer mangelnden Fähigkeit zur Anpassung an widrige Temperaturbedingungen lag, legt eine neue Studie nahe.
Eine Forschergruppe um Marcel Weiß und Michael Hein vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig stellt im Fachjournal "Quaternary Science Reviews" Erkenntnisse vor, die sie bei der Untersuchung von Hinterlassenschaften der Neandertaler an einem früheren Seeufer in Lichtenberg im Wendland (Niedersachsen) gewonnen hat. Während der letzten Kaltzeit hat sich der skandinavische Eisschild teilweise bis in das Gebiet Brandenburgs ausgedehnt. Der Ort mit den Hinterlassenschaften befand sich am nördlichen Rand des Verbreitungsgebiets der Neandertaler. Die Studie belegt, dass sie ihn auch während besonders kalter Phasen innerhalb der Kaltzeit aufsuchten – wenn auch möglicherweise nur während der Sommermonate.
Wann welche Umweltbedingungen in dem Gebiet herrschten, konnten die Wissenschaftler anhand von Ablagerungen mit darin enthaltenen Pollenkörnern ermitteln. Danach endete vor etwa 90.000 Jahren eine wärmere Phase innerhalb der Kaltzeit. Zu jener Zeit besiedelten Neandertaler nach den Erkenntnissen der Forscher ein leicht bewaldetes Seeufer. Die hinterlassenen Steingeräte zeugen von verschiedenen Tätigkeiten, darunter die Bearbeitung von Holz.
Aufschlussreiche Steingeräte
Besonders kalt war es vor rund 70.000 Jahren. Wie die Gruppe um Weiß und Hein zeigt, hielt selbst große Kälte die Neandertaler nicht davon ab, sich in der Region aufzuhalten. "Veränderungen bei den Steingeräten deuten darauf hin, dass sie sich flexibel an sich ändernde Umweltbedingungen angepasst haben", erklärt der Archäologe Weiß. Die nördlichen Regionen Mitteleuropas seien im Laufe der Zeit immer wieder aufgesucht worden. Abhängig vom jeweiligen Klima habe sich deren Erscheinungsbild verändert. So wichen dichte Wälder lichten. An deren Stelle wiederum trat eine kalte Steppe.
Aufgrund der Art der Steingeräte, bei denen es sich vorwiegend um Messer aus Feuerstein handelt, vermuten die Wissenschaftler, dass die Neandertaler stets nur kurz in das untersuchte Gebiet kamen, um zu jagen. Bei anderen Fundstätten gewonnene Forschungsergebnisse legten nahe, dass der Norden in den Kaltphasen hauptsächlich während der Sommermonate aufgesucht worden sei.