Um auszudrücken, dass jemand in großen Schwierigkeiten steckt, bedienen sich manche Menschen einer alten Redensart: "Holland in Not". Holland ist ein Gebiet der Niederlande, das zu weiten Teilen unterhalb des Meeresspiegels liegt. In seiner Geschichte liefen die Bewohner des Landes immer wieder Gefahr, der Wassermassen nach Dammbrüchen kaum Herr werden zu können und in große Not zu geraten. Wie zahlreiche geschichtliche Beispiele zeigen, erging es vielen Menschen in anderen Gebieten an der Nordsee ähnlich. Dass sich die Bewohner der Küstenregionen heute wesentlich sicherer fühlen können, verdanken sie dem verbesserten Küstenschutz. Hinzu kommt, dass sich bedrohlich hohe Wasserstände inzwischen gut vorhersagen lassen. Seit 100 Jahren werden öffentliche Sturmflutwarnungen für die deutsche Nordsee herausgegeben. Verantwortlich dafür zeichnet heute das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie.
Nach Angaben der Behörde werden bei der Einteilung von Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste, in Emden, Bremen und Hamburg drei Klassen unterschieden. Eine Sturmflut ist demnach ein Hochwasser, das sich zwischen 1,5 und 2,5 Metern über dem mittleren Hochwasser bewegt. Bei 2,5 bis 3,5 Metern ist von einer schweren, bei mehr als 3,5 Metern von einer sehr schweren Sturmflut die Rede. "Im Mittel gibt es etwa fünf Sturmfluten pro Jahr", erklärt das Bundesamt. Begünstigt werde ihre Entstehung unter anderem durch starken Wind über einen längeren Zeitraum aus einer bestimmten Richtung, den Aufbau eines Wasserbergs infolge der räumlichen Änderung des Luftdrucks in einem Tiefdruckgebiet und starken Seegang. An Ems, Weser und Elbe sei mit erhöhten Wasserständen beziehungsweise Sturmfluten dann zu rechnen, wenn Winde aus nordwestlicher Richtung das Nordseewasser an die Küste und in die Flussmündungen drückten.
Die erste öffentliche Sturmflutwarnung erfolgte nach Darstellung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie am Silvestertag des Jahres 1921. Damals sei auf gefährlich hohe Wasserstände im Hamburger Stadtgebiet hingewiesen worden. Regelmäßig erfasst werden die Wasserstände der Nordsee seit 1840. Die Grundlage für Aussagen über die zu erwartenden Wasserstände liefern heutzutage neben solchen Daten auch Wetterinformationen, Vorhersagen der Windverhältnisse, Erfahrungswerte aus der Vergangenheit, Modelle der Verhältnisse in der Nordsee und die Vorausberechnungen der Gezeiten. Zur Verbreitung der Sturmflutwarnungen werden alle modernen Kommunikationsmittel genutzt, auch Warn-Apps.
Leidvolle Geschichte
Größere Landverluste durch Deichbrüche hat es in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert zwar nicht mehr gegeben, aber Todesopfer haben Sturmfluten auch danach noch gefordert. So kamen beispielsweise nach Angaben des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer bei der Februarflut des Jahres 1825 an der deutschen Nordseeküste etwa 800 Menschen ums Leben. Bei der Februarflut im Jahr 1962 seien es 340 gewesen. Wesentlich größer war die Anzahl der Toten zu Zeiten, als es noch keinen modernen Küstenschutz gab. So sollen allein bei der Flut vom 16. Januar 1219 schätzungsweise 36.000 Menschen ihr Leben verloren haben. Bei der Weihnachtsflut des Jahres 1717 ertranken angeblich mehr als 11.000 Menschen.
Die gleichermaßen aufwendige wie technisch anspruchsvolle Strategie, Küstengebiete vor Überflutung und Landverlust zu schützen, wird erst seit einigen Jahrhunderten in großem Stil verfolgt. Als Meister der Landgewinnung gelten die Niederländer. Ein frühes Beispiel liefert das Haarlemmermeer zwischen Haarlem, Amsterdam und Leiden. Nach Deichbrüchen war im 15. Jahrhundert eine riesige Wasserfläche entstanden, die am Ende auch Amsterdam bedrohte. Jan Adriaanszoon Leeghwater kam im 17. Jahrhundert auf die Idee, das Haarlemmermeer mithilfe von Windmühlen leer zu pumpen. Tatsächlich konnten auf diese Weise Gebiete trockengelegt werden. Die endgültige Trockenlegung gelang im 19. Jahrhundert mithilfe von Dampfpumpstationen. Heute befindet sich in dem Gebiet unter anderem der Amsterdamer Flughafen Schiphol.