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Trauerbegleitung „Jedes Kind hat seinen Platz“

Marlene Krause aus Eydelstedt bietet demnächst Kinder- und Jugendtrauerbegleitung in Bassum beim Mütter-Kinder-Zentrum an. Sie möchte vor allem Familien in schweren Zeiten helfen, Abschied zu nehmen.
04.05.2021, 16:41 Uhr
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„Jedes Kind hat seinen Platz“
Von Tobias Denne

Frau Krause, Sie bieten bald Workshops und Projekte zu Trauerbegleitung beim Mütter-Kinder-Zentrum in Bassum an. Auch für Kinder und Jugendliche. Warum?

Ich bin eigentlich Erzieherin und arbeite in einer Krippe. Ich habe schnell gemerkt, dass die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren mein Thema ist und sehr viel Spaß macht. Als ich meinen Mann kennengelernt habe, bin aus Wolfsburg nach Eydelstedt gezogen. Mein Mann Florian (Krause, Anm. d. Red.) hat damals die Bestatterausbildung gemacht. Anfangs wollte ich damit eigentlich gar nichts zu tun haben, aber es hat mich doch interessiert, was es für alternative Bestattungsarten es gibt und wie man Trauerfeiern schön und individuell gestalten kann. Das Ziel ist, dass das Ende etwas Schönes haben kann. Im Laufe der Zeit fiel mir auf: Was ist mit den Kindern? Als mein Schwiegervater verstorben ist, haben wir unsere kleinen Kinder mit in den Prozess eingebunden. Sie durften sich verabschieden, Erinnerungen für Opa malen und wir haben Bilderbücher angesehen. Aber wir haben den Fehler gemacht, dass wir unser zweites Kind nicht zur Trauerfeier mitgenommen haben.

Warum das war ein Fehler?

Der Abschied fehlte ihm. Er war fast vier Jahre alt und es hat lange gedauert, bis er für sich realisiert hat, dass sein Opa in dem Grab liegt, was wir ihm nach der Beisetzung gezeigt haben. Obwohl unsere Kinder den Ablauf einer Beerdigung genau kannten, fehlte ihm dieser Schritt. Ich habe dann meine Ausbildung zur Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin bei der ITA (Institut für Trauerarbeit, Anm. d. Red.). Die dauert zwei Jahre, und währenddessen habe ich meine Arbeit in Form von Elternabenden im Kindergarten angeboten.

Kommt das Thema „Tod“ im Kindergarten überhaupt vor?

Ich habe in einigen Kindergärten gearbeitet und gemerkt, dass der Tod ein Tabu-Thema ist. Egal ob es eine städtische oder konfessionelle Einrichtung war. Ich habe es nirgends erlebt, dass Kinder in den Einrichtungen frei zugänglich an Bücher zum Thema „Tod“ gehen können.

Wie kamen Sie dazu?

Auf einem dieser Elternabende hatte ich einen Vater kennengelernt, dessen Frau war schwanger mit Zwillingen. Wir haben uns über das Bestattungsinstitut von meinem Mann und mir unterhalten. Ihn faszinierte, welche unterschiedlichen Arten von Bestattungen es so gab. Dann, keine vier Wochen später, rief er an und sagte, dass eine seiner Töchter im Mutterleib verstorben sei. Er fragte, ob ich die Beerdigung machen könne. So war mein erster Toter ein Baby. Es hat mich so gepackt, die Eltern an die Hand zu nehmen, Vorschläge zu machen, was zur Erinnerung machbar ist, oder die Möglichkeiten aufzuzeigen, welche Bestattungsarten es gibt. Das Erlebnis war so schön, dass ich mehr dazu wissen wollte. Also habe ich meine Ausbildung zur Begleiterin bei Schwangerschaftsabbruch, stiller Geburt und Neugeborenentod über Hope's Angels angefangen und abgeschlossen. Seitdem biete ich das an.

Aber nicht nur für Kinder?

Bei Kindstod begleite ich natürlich die Eltern, aber mein Vorteil ist, dass ich auch Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin bin, sodass ich ganze Familien begleiten kann - und das auch oft tue. Ich hatte aktuell im Januar eine Familie, bei der habe ich das gemacht - die Tochter war fünf, der Sohn acht und die beiden Eltern. Wir haben gemeinsam die richtige Bestattungsform gesucht, die Trauerfeier besprochen und die Kinder waren im Prozess dabei. Ich habe das Kind nach Hause geholt, es wurde gemeinsam gewaschen und angezogen. Es war in der 24. Schwangerschaftswoche verstorben, also noch weit vor Termin. Trotzdem konnten sie zu Hause - in Ruhe - einen Abschied haben.

Sie begleiten Kinder und Erwachsene. Trauern Kinder anders?

Ja. Egal wie alt, Trauer ist immer anders, jeder Mensch trauert individuell. Der eine sitzt in der Ecke und weint, der andere braucht Gespräche. Und so ist das bei Kindern auch. Natürlich ist das je nach Altersstufe anders, besonders jüngere Kinder können nichts mit Endlichkeit anfangen. Für Eltern ist das sehr schwer, weil Kinder auch nach einem halben Jahr noch fragen können: Kommt Opa jetzt wieder? Oder wann kommt Opa mal wieder? Sie kennen die Endlichkeit noch nicht. Kinder reagieren oft mit körperlichen Symptomen wie Bauchweh, Kopfweh, können Schlafstörungen und Verlustängste bekommen. Es ist auch hier ganz unterschiedlich. Mittlerweile kann man auch in der Literatur nachlesen, dass selbst Babys eine Art der Trauer empfinden können.

Warum ist es dann gar kein Thema in der Kita?

Niemand beschäftigt sich gern mit seiner Endlichkeit, und das Thema ist mit Angst behaftet. Wir merken das, wenn wir zu einem Geburtstag in eine neue Runde von Menschen kommen. Man fragt, was man so beruflich macht und wenn wir erzählen, dass wir Bestatter sind, dann rutschen Leute weg, oder schauen entsetzt. Das ist oft die erste Reaktion. Wenn ich dann sage, dass ich das hauptsächlich für Kinder mache, dann rutschen sie noch ein Stück weg. Aber es dauert nicht lange, bis sie anfangen, Fragen zu stellen. Das Interesse ist ziemlich hoch, aber es trauen sich nur wenige, wirklich zu fragen. In unserem Kulturkreis ist der Tod immer noch ein Tabu-Thema.

Könnte damit zusammenhängen, dass die älteren Menschen oft ins Seniorenheim kommen?

Früher wurde in den Familien gestorben. Es gab ein Zimmer, in dem der Tote aufgebahrt wurde. Jeder hatte die Möglichkeit, den Prozess zu begleiten - vom Kleinkind bis zu den älteren Mitbewohnern. Heute gibt es das noch in ganz wenigen Familien, ich habe das Gefühl, dass die Gesellschaft offener wird. Wir haben mal eine Theologin gefragt, warum das so ist. Sie meinte, es liege an der Kriegsgeneration, die habe wirkliches Elend und viele Tote gesehen. Das nehmen die Menschen auch Jahrzehnte noch mit und es bleibt sehr lange verankert. Dadurch, dass sie langsam versterben, verändert sich der Umgang mit dem Tod.

Wie ist die Situation heute?

Es gibt viel schöne Literatur, die man mit Kindern durchlesen und durcharbeiten kann. Dabei unterstütze ich die Familien auch, wenn das Kind in der frühen Schwangerschaft gestorben ist. Ich finde: Jedes Kind hat seinen Platz. Vor einer Weile habe ich eine junge Frau begleitet, die in der achten Woche ihr Kind verloren hat. Sie wollte auf jeden Fall ihr Kind beerdigen. Die Ärztin meinte, das sei total unüblich. Das würde man nicht machen, das wäre kein richtiges Leben. Die Frau hat sich durchgesetzt und wir haben dieses kleine Menschlein würdig beigesetzt. Es kann für Familien wichtig sein, einen Platz zum Trauern zu haben.

Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Grundsätzlich soll es ein schöner Abschied werden, dafür gibt es unterschiedlich teure Särge, die die Eltern und Kinder gestalten können. Anmalen, bekleben, allein oder gemeinsam. Da sind die Familien ganz frei. Es ist total schön, mit den Eltern die Kinder fertigzumachen, sie anzukleiden und den Familien in Ruhe einen Abschied, in ihrem Tempo zu ermöglichen. Es sind die ersten und letzten Stunden mit ihrem Kind. Bei mir können die Eltern normalerweise auch alle Schritte begleiten, so hatte ich zum Beispiel mal eine Oma mit in der Pathologie. Manche wollen ihre Kinder nicht zu Hause haben, andere wiederum unbedingt. Ich mache das auch unabhängig von einer Bestattung. Gerne können mich auch andere Bestattungsinstitute „anfordern“ oder auch Kliniken, Ärzte und Hebammen. Nur ist es für die Familien oft einfacher, alles in eine Hand zu geben. Und für mich ist einfacher, weil ich weiß, was wir im Angebot haben.

Wie werden Kinder in dem Alter bestattet?

Im Prinzip so, wie es gewünscht ist. Entweder Feuerbestattung oder eben Erdbestattung. Dafür gibt es in manchen Städten und Gemeinden auch Sternenkinderfelder oder kleine Grabstellen.

Was macht Ihnen an der Arbeit Spaß?

Die Dankbarkeit der Familien und einfach zu wissen, dass ich die Familie auf einen guten Weg gebracht habe und ihnen die Stunden und den Abschied so angenehm wie möglich gestaltet zu haben. Das ist der Hauptgrund. Ich werde oft gefragt, warum ich die Situation so gut verstehen kann, in denen Eltern sich befinden und ob ich eine Fehlgeburt hatte. Nein, hatte ich nicht, ich habe es nur bei einer Freundin mitbekommen. Aber als ich mit meinem ältesten Sohn in der 26. Schwangerschaftswoche war, wurde beim Ultraschall die Ärztin ganz still und meinte, dass mein Kind wahrscheinlich einen offenen Rücken hätte. Bei mir war alles ausgeschaltet, der Raum war luftleer, da ging nichts mehr - und das war der Schlüsselmoment für mich.

Nun aber zurück zu Bassum. Was bieten Sie vor Ort an?

Ich gehe unter anderem in Kindergärten, mache Schulungen mit Erzieherinnen, damit man sich mit dem Thema beschäftigt. Wie gehe ich damit um, wenn ein Kind in meiner Gruppe einen Verlust hat? Wie kann ich als Erzieher unterstützen? Aber auch mit den Kindern biete ich Projekte an. Im Moment ist es wegen Corona aber schwer, etwas zu planen. Wenn es nach mir gehen würde, dann können wir sofort starten.

Wie funktioniert so ein Projekt mit Kindern?

Erst einmal bespreche ich, was genau sich die Einrichtung oder Schule vorstellt. Ich hole die Kinder und Erzieher da ab, wo sie stehen. In der Praxis habe ich verschiedene Utensilien dabei wie eine Urne und eine Aschekapsel - einfach damit die Kinder das mal gesehen haben. Vorab findet immer ein Elternabend statt, weil nach so einem Projekt hinterher viele Fragen aufkommen. Die Eltern bekommen meine Telefonnummer, weil es sein kann, dass etwas bei den Kindern losbricht. So haben die Eltern die Möglichkeit einer Hilfestellung. Als Beispiel: Wir waren letztes Jahr unter anderem mit unserem Leichenwagen im Wald. Zunächst schaue ich, was die Kinder beschäftigt und gehe darauf ein. Dann können natürlich Fragen zu Tod, Beerdigung und Trauer gestellt werden. Die Kinder haben so unterschiedliche Fragen.

Was sind das für welche?

Eines zum Beispiel hat viel nach Fehlgeburten gefragt, obwohl es erst sechs Jahre alt war. Das Mädchen interessierte sich für die ganz kleinen Kinder, wenn sie noch im Bauch sind, und ob die auch beerdigt werden. Ich erzählte ihr kindgerecht, was mit den kleinen Kindern passiert, dass es eine Gemeinschaftsbestattung gibt. Danach kam eine Erzieherin zu mir und meinte, sie habe auch noch was gelernt. Das ist natürlich perfekt (lacht).

Zur Person

Zur Person

Marlene Krause

ist gelernte Erzieherin und Kleinstkindpädagogin. Zur Trauerbegleitung ist sie durch ihren Ehemann gekommen, der als Bestatter arbeitet. Von 2017 bis 2019 machte sie die Ausbildung zur zertifizierten Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin, im Anschluss folgte die Ausbildung zur Begleiterin bei Schwangerschaftsabbruch, stiller Geburt und Neugeborenentod bei Hope's Angels. Im Moment qualifiziert sie sich zur Doula (nicht medizinische Helferin bei der Geburt) weiter.

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