Stuhr-Seckenhausen. Die raketenförmige Trophäe auf dem Küchentisch hat eine weite und auch etwas beschwerliche Reise auf dem Postweg hinter sich. Nun aber ist die 3,7 Kilo schwere Auszeichnung bei Cora Buhlert in Seckenhausen angekommen. Drei Jahre hintereinander war sie in der Kategorie "Best Fan Writer" nominiert, in diesem Jahr hat es nun geklappt. Buhlert hat als erste deutsche Autorin überhaupt den Hugo Award gewonnen. Er gilt als größter internationaler Preis der Science Fiction.
Buhlert war nicht selbst zur Verleihung am 4. September nach Chicago gereist. Um drei Uhr nachts saß sie stattdessen mit Abendkleid und Krönchen zu Hause vor ihrem Computer und sah sich die Liveübertragung an. Die Nominierten einer Kategorie wurden vor der Bekanntgabe dann in einen separaten virtuellen Konferenzraum gebeten, währenddessen konnten sie die Verleihung wegen der möglichen Rückkopplung nicht mehr verfolgen. Cora Buhlert bekam weder die Anmoderation noch den Applaus mit, erst hinterher konnte sie sich das Gesamtwerk ansehen. Per Chat-Fenster wurde sie über ihren Sieg informiert. Schließlich trug sie dann ihren vorbereiteten Text vor, indem sie "Quatsch mit Spielzeugfiguren" vorführte. Dabei erschuf sie einen "Nimm deine Spielfiguren mit zur Arbeit"-Tag. Anschließend feierte die Autorin ihren Erfolg mit der Familie bei Sekt und Pralinen.
Der Hugo Award wird seit 1953 jährlich von der World Science Fiction Society verliehen, zu seinen namhaften Gewinnern zählen unter anderem George R.R. Martin, Neil Gaiman und J.K. Rowling. Nun kann sich auch Cora Buhlert einreihen. Den Preis erhielt die 49-Jährige für Rezensionen, Essays und Artikel zum Thema Science Fiction und Fantasy, die sie auf ihrem Blog sowie auf der Fanseite "Galactic Journey" veröffentlicht.
Die silberne Rakete hat einen Ehrenplatz im Bücherregal der Autorin, die in Bremen Anglistik studierte und als freiberufliche Übersetzerin arbeitet. Die Rakete ist jedes Jahr gleich, nur die Basisstation unterscheidet sich je nach Ort der Verleihung und wird von lokalen Künstlern gefertigt. In diesem Jahr ist das Fundament aus Holz hergestellt und soll eine Hommage an die Art-Deco-Architektur Chicagos sein.
Immer internationaler
Bei der ersten Hugo-Nominierung der Stuhrerin dauerte die Preisverleihung vier Stunden, damals moderierte der für seine ausufernden Erzählungen bekannte Autor George R.R. Martin. Diesmal führten die Autorinnen Annalee Newitz und Charlie Jane Anders durch die Verleihung am Rande der World Con. Zumeist findet die Preisvergabe im englischsprachigen Raum statt, so häufig in den USA, Großbritannien, manchmal auch Australien. 1970 war die World Con aber sogar einmal in Heidelberg zu Gast. Nächstes Jahr ist China der Gastgeber. "Es wird immer internationaler", sagt Buhlert, die nicht nur die erste deutsche Hugo-Preisträgerin, sondern auch die zweite Deutsche überhaupt mit einer Nominierung ist. In diesem Jahr war mit dem Nigerianer Oghenechovwe Donald Ekpeki erstmals jemand aus dem afrikanischen Raum für den Preis nominiert.
Die Preisträgerin stimmt selbst jedes Jahr in den Kategorien für den Hugo Award ab. Sie verfolgt die Szene ohnehin, aber so manche Überraschung ist bei der Auswahl stets auch dabei. In diesem Jahr war es eine über Twitter veröffentlichte Geschichte über eine transsexuelle Frau, die Botschaften aus einem Paralleluniversum bekommt, in der sie ein Mann geblieben ist. Heute sind Autorinnen und Autoren oft sendungsbewusster und zugänglicher. Das war nicht immer so, wie Cora Buhlert festgestellt hat. Viele Texte aus den 1930er- und 1940er-Jahren sind untergegangen, manchmal haben die Autoren keine Spuren hinterlassen, wenn sie obendrein noch Pseudonyme benutzten. In einem jüngst erschienenen Essay hat Cora Buhlert über C.L. Moore geschrieben, die in den 1930er-Jahren eine der ersten Autorinnen der Science-Fiction-Literatur war, aber relativ unbekannt blieb.
Die Freiberuflerin versucht, zwischen ihren Übersetzungsaufträgen jeden Tag zu schreiben – ob an Romanen, Kurzgeschichten oder Beiträgen für Blogs und Zeitschriften. Größtenteils bewegt sie sich im Genre Science Fiction und Fantasy, schreibt aber auch Krimis. Gerade herausgekommen ist die Essay-Sammlung "Rising Sun Reruns: Memories of Japanese TV Shows from Today's Grown-Up Kids", herausgegeben von Jim Beard. Die Beiträge handeln von Kindheitserinnerungen an japanische Zeichentrickfilme. Buhlert hat über Heidi, Biene Maja, Captain Future und weitere Protagonisten geschrieben. Ende 2022 oder Anfang 2023 erscheint zudem ein Essay in dem Sammelband "Foundation and Philosophy" über die Foundation-Serie von Isaac Asimov und die Fernsehverfilmung. In der Zeit soll auch eine Kurzgeschichte mit dem Titel "Deer Stew" in der Anthologie "99 Fleeting Fantasies" veröffentlicht werden. Dadurch, dass sie Hugo-Award-Gewinnerin ist, bekommt Cora Buhlert nun auch mehr Aufmerksamkeit. "Es gibt einem einen gewissen Boost. Die Leute sind sehr interessiert an einem." So hatte sie bereits kurz nach der Verleihung eine Kurzgeschichte verkauft.