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Kita-Personal in Stuhr Streik für bessere Arbeitsbedingungen

Rund 50 Erzieherinnen haben am Mittwochmorgen vor dem Stuhrer Rathaus demonstriert. Ihnen geht es bei den anstehenden Tarifverhandlungen um bessere Arbeitsbedingungen.
30.03.2022, 17:21 Uhr
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Streik für bessere Arbeitsbedingungen
Von Eike Wienbarg

Stuhr. Vor dem Hintereingang des Stuhrer Rathauses, direkt unter dem Balkon des Bürgermeisterbüros, stapeln sich viele Kartons. Darauf zu lesen sind Botschaften wie "Zwangsurlaub", "Krankheit", "Frust", "Schlecht bezahlt", "Überstunden", "Hoher Krankenstand", "Viel Arbeit, wenig Geld dafür" oder "Rückenschmerzen". Sie sollen die Sorgen und Lasten symbolisieren, die die Erzieherinnen in den Gemeindekitas tagtäglich tragen müssen. Rund 50 Fachkräfte haben sich am Mittwoch vor dem Stuhrer Verwaltungssitz versammelt, um ihrem Frust Luft zu machen und zu streiken. Einige von ihnen tragen weiße Umhänge mit der Aufschrift "Wir sind es wert".

Grund für die Demonstration und den Streik, der auch an anderen Orten in der Region stattfand, sind die derzeit laufenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. "Die letzte Verhandlungsrunde am Dienstag ist geplatzt", sagt Nele Heyer, Mitarbeiterin der Kita Varreler Feld und Tarifbeauftragte der Gewerkschaft Verdi für die Gemeinde Stuhr. Die Erzieherinnen fordern vor allem bessere Arbeitsbedingungen. Aufgrund von Personalmangel seien die Kolleginnen überlastet, sagt Heyer. Der Krankenstand sei hoch, einige Kolleginnen würden sich krank zur Arbeit schleppen, um ihre Kolleginnen nicht noch mehr zu belasten, beschreibt die Tarifbeauftragte die Situation in den Kindertagesstätten.

Teilweise müssten Gruppen geschlossen werden, da nicht genug Personal vorhanden ist. In anderen Gruppen gibt es zu viele Kinder für das anwesende Personal, sagt Heyer weiter. Pausen würden für Gespräche wegfallen. "Immer mehr sind kraftlos und ausgelaugt", berichtet sie weiter. Durch die hohe Belastung hätten Kolleginnen Probleme mit dem Schlafen, teilweise leide auch das Familienleben unter dem Job.

"Ich kann verstehen, dass sich immer weniger für den Beruf entscheiden", sagt Heyer mit Blick auf den fehlenden Nachwuchs im Erzieherinnen- und Sozialassistentinnen-Bereich. Gerade die Ausbildungssituation sei für viele ohne die entsprechende Entlohnung nicht leistbar. Hinzu kommen die Probleme innerhalb der Kitas. "Für pädagogische Arbeit fehlt schlichtweg einfach die Zeit", sagt Nele Heyer. Unter immer mehr Quantität leide die Qualität. "Wir sind keine reine Aufbewahrungsanstalt. Wir sind eine Bildungseinrichtung", betonte die Tarifbeauftragte. Eine Erzieherin sei wie eine Superheldin, die Rahmenbedingungen seien aber das Kryptonit, spielt Heyer auf das Element an, das sogar den Comic-Superhelden Superman in die Knie zwingt.

Zeit fehlt den Erzieherinnen aber nicht nur für die Kinder. Sondern auch die immer mehr werdenden Gespräche mit den Eltern fallen an, berichtet Tatjana Herms aus der Kita Meyerstraße in Brinkum. Auch Gespräche mit Praktikanten gingen von der Vorbereitungszeit ab, erzählt sie weiter. Und das alles obwohl die Erzieher in Stuhr schon mehr Zeit bekommen als gesetzlich vorgeschrieben ist. "Wir wollen nicht die Eltern ärgern", sagt Herms mit Blick auf den Streik. Für sie sei ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Erziehungsberechtigten wichtig. Allerdings müssten die Politiker die Anliegen der Erzieherinnen verstehen und nicht nur reden, so Herms.

Ein anderer Aspekt treibt auch Sigrid Jahn aus der Kita Stuhr und ihre älteren Kolleginnen an. "Die Altersteilzeit sollte nicht gekippt werden", sagen sie. Und auch die älteren Erzieherinnen fordern eine Vergütung für die Ausbildung. "Die Ausbildung wird heute nicht bezahlt und das war auch schon vor 40 Jahren so. Das macht sich auch bei der Rente bemerkbar", sagt die langjährige Erzieherin Jahn.

Stuhrs Bürgermeister Stephan Korte hört sich die Forderungen der Erzieherinnen gemeinsam mit Kerstin Frohburg, Fachbereichsleiterin Bildung, Soziales und Freizeit bei der Stuhrer Gemeindeverwaltung, an. "Ich weiß, welche Sorgen und Nöte Sie haben und welchen Stress die Pandemie mit sich gebracht hat", sagt Korte. Oftmals sei Frust der Eltern über geschlossene Gruppen vor der Tür abgeladen worden. Das sei auch im Rathaus passiert. "Einen Großteil Ihrer Forderungen können wir so unterstützen", sagt der Bürgermeister weiter. Gerade der Weg zur dualen Ausbildung für Erzieherinnen mit der entsprechenden Vergütung sei ein wichtiger Baustein. Stuhr als finanzstarker Gemeinde falle sowas aber deutlich leichter als anderen Gemeinden, gibt Korte zu bedenken.

Die Gemeinde Stuhr unterstütze die Kitas schon über das gesetzliche Maß hinaus. Etwa bei der Anzahl der Kräfte in den Gruppen, der Erlangung von Zusatzqualifikationen oder der Gewährung von mehr Vorbereitungszeit, so Korte. In den vergangenen Jahren hätte es auch eine "erhebliche Steigerung" beim Entgelt gegeben. "Aber das reicht dennoch nicht", so Korte.

Mit den Forderungen, die die Gemeinde ebenso vertrete, renne sie beim Niedersächsischen Städtetag (NST) offene Türen ein, sagt der Stuhrer Bürgermeister weiter. Auch die überwiegende Mehrheit der Kommunen unterstütze die Forderungen. "Erziehung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagt Korte. Und da müsse auch das Land die entsprechenden Mittel bereitstellen. 

Die nächste Tarifverhandlungsrunde für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst steht nun am 16. und 17 Mai an. "Da erhoffen wir uns mehr als nur ein Angebot von Massagen in den Pausen", sagt Nele Heyer. Auch weitere Streiks und Demos gemeinsam mit anderen Beschäftigten könnten in der nahen Zukunft anstehen, schwört sie ihre Mitstreiterinnen ein.

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