Stuhr. Zum alljährlichen Gedenkgang zum Mahnmal Obernheide machten sich an diesem Mittwoch, 22. November, rund 200 Personen auf den Weg. Darunter überwiegend Schülerinnen und Schüler der zehnten Klassen der Lise-Meitner-Schule. Gestartet wurde am alten Stuhrer Bahnhof. Von dort aus ging es rund 3,5 Kilometer zum Mahnmal an der Obernheider Straße, wo die Teilnehmenden den 500 ungarischen und 300 polnischen Jüdinnen gedachten, die von September 1944 bis April 1945 in Baracken im Außenkommando Obernheide des Konzentrationslagers Neuengamme lebten. Als Zwangsarbeiterinnen wurden sie täglich zu Trümmerräumungsarbeiten und in Betonsteinwerke nach Bremen getrieben und nahmen dabei den gleichen Weg wie die Teilnehmenden der Gedenkveranstaltung. An das Schicksal dieser Frauen, von denen mindestens zehn während dieser Zeit starben, erinnert die Gemeinde Stuhr beim jährlichen Gang am Buß- und Bettag zum ehemaligen Lagergelände, auf dem sich heute das Mahnmal befindet.

Pastorin Constanze Lenski sprach bei der Veranstaltung.
Begleitet wurden die Schülerinnen und Schüler, die bereits am Stuhrer Bahnhof mit einer Lesung an das Geschehene erinnerten, von der stellvertretenden Bürgermeisterin der Gemeinde, Britta Buttelmann, die das Grußwort sprach, sowie Constanze Lenski, Pastorin für Brinkum und Seckenhausen, die am Mahnmal eindringliche Worte für das Geschehene fand und gleichzeitig auch auf die Gegenwart blickte.
"Ort der Tränen"
"Dies ist ein unscheinbarer Ort, aber auch ein Ort der Tränen, der Schmerzen und des Leidens", sagte sie eingangs. An die Baracken, die hier einst standen, habe nichts erinnern sollen. "Aber wir wollen nicht vergessen", betonte sie und übergab das Wort an drei Schülerinnen des Profilkurses Gesellschaftswissenschaften, der den Gedenkgang vorbereitet hatte.
"Das Thema scheint weit weg zu sein", so die jungen Frauen. Seit 1949 habe Deutschland eine gefestigte Demokratie, die den Menschen Rechte, freie Meinungsäußerung und einen freien Glauben ermögliche. "Trotzdem gibt es Rechtsextremismus und Antisemitismus", mahnten die Schülerinnen. "Die AfD gewinnt immer mehr Stimmen", sagten sie mit einem Blick auf die kürzlichen Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Hass auf Ausländer und Antisemitismus gefährden die Gesellschaft, hieß es in der Ansprache weiter. "Es wurde nichts gelernt aus der Geschichte." Der Angriff der palästinensischen Hamas auf die Israelis werde teilweise gefeiert in Deutschland. "Der Judenhass ist teilweise in unserer Gesellschaft fest verankert", sagten die Schülerinnen und appellierten: "Das dürfen wir nicht dulden. Bleibt wachsam! Steht auf gegen Hass!"
"Geschichte wiederholt sich"
Constanze Lenski verwies im Anschluss auf die Freiheit der jungen Menschen, fragte sie nach ihren Träumen und bat die Teilnehmenden dann, einen Blick auf den Boden zu werfen. "800 Mädchen sind hier jeden Tag entlanggegangen", sagte sie. "Ihre Leiden sind vergessen. Sie hatten genau so Träume wie ihr." Ihnen sei jedoch die Freiheit genommen worden. "Das ist Ungerechtigkeit!", so die Pastorin. Die Erde unter ihren Füßen sei mit Tränen, Leid und Blut getränkt. "Wir sind Teil dieser Geschichte", betonte Lenski. "Und diese Geschichte wiederholt sich", mahnte sie und bat die Teilnehmenden in die große Welt, aber auch ihre kleine Alltagswelt zu schauen. "Unfreiheit wächst im Kleinen", sagte sie. "Sie rottet sich zusammen und wird genährt von den Menschen."
Nachdem die Teilnehmenden traditionell Steine als Erinnerung an das Geschehene auf dem Mahnmal abgelegt hatten, wünschte Constanze Lenski allen Beteiligten "wahren Frieden", der so viel mehr sei als die Abwesenheit von Krieg und Streit.