Stuhr-Heiligenrode. Ingrid Hiller geht den Pfad durch den kleinen Wald entlang. An der Holzhütte mit dem Außenbereich angekommen, späht sie durch ein Loch im Holz. "Ich kann sie nicht sehen", sagt sie. Als Ingrid Hiller die Tür zum Freiluftgehege öffnen will, ertönt lautes Flügelschlagen. Die rund einjährige Waldohreule erhebt sich in die Luft, um dann wieder in der Dunkelheit der angeschlossenen Holzhütte zu verschwinden. Bald soll die Eule ausgewildert werden. Ein Greifvogelexperte aus Rastede wird dies übernehmen. Kurz nachdem sie 1978 auf ihren Hof in Heiligenrode gezogen waren, nahmen Ingrid Hiller und ihr Ehemann Hann-Jürgen Hiller Greifvögel in ihre Obhut. Nach mehr als vier Jahrzehnten möchte das Paar seine Vogelpflegestation nun aber an potenzielle Nachfolger übergeben. "Wir sind inzwischen ja auch Rentner", sagt Hann-Jürgen Hiller. Noch habe sich auch innerhalb des Naturschutzbundes (Nabu) in Stuhr, an den die Vogelpflegestation angegliedert ist, niemand gefunden. Der 75-Jährige hofft nun auf einen Nachfolger, der eine ebenso große Faszination für Greifvögel hegt wie er.
Bussarde und Eulen sind über die Jahre viele bei ihnen abgegeben worden, sagt Ingrid Hiller. Zumeist, wenn Bussarde auf der Jagd nach Beute in der Nähe der Autobahn im Sturzflug von Autos erfasst wurden. Die Waldohreule in der Voliere auf dem Grundstück der Familie Hiller war ihnen als kleiner Vogel gebracht worden. "Das Auswildern ist gar nicht so einfach. Da muss man den ausreichenden Platz haben", sagt Hann-Jürgen Hiller. Die Station in Rastede verfüge darüber.

Der derzeitige Patient lässt sich tagsüber nur selten blicken.
Ende der 1970er-Jahre informierte sich Hiller erstmals beim damaligen Deutschen Bund für Vogelschutz darüber, wie verletzte Wildvögel aufgepäppelt werden können. Das erste aufgenommene Tier war ein Turmfalke, den der Brinkumer Jäger Dieter Helmers in die Obhut des Ehepaares Hiller gegeben hatte. "Ich wusste erst nicht, wie ich ihn versorgen soll. Dann haben wir uns schlaugemacht", erinnert sich Hann-Jürgen Hiller. Erich Dannemann vom Syker Nabu hatte ihm viele Tipps gegeben. Der Turmfalke blieb zunächst im Dachgeschoss, das sich damals noch im Rohbau befand. Schließlich nahm Hann-Jürgen Hiller Kontakt zu einer Falknerei in Klosterseelte auf, um sich mehr Wissen anzueignen. Ab dem Punkt habe er sich die Frage stellen müssen: "Willst du das weiter machen?"
So erwuchs aus einem vorübergehenden Pflegeplatz für einen Turmfalken die Auffangstation für Greifvögel. In der ersten Zeit brachten die Hillers verletzte Tiere in die Tierarztpraxis Oetjen in Ahausen. "Wenn die Tiere sehr krank waren, durften sie über Nacht in der Praxis bleiben. Dort standen zwei Volieren", erinnert sich Ingrid Hiller. Als sie und ihr Mann die Tiere noch selbst auswilderten, blieben diese bis zu einem halben Jahr bei ihnen. Das jedoch gestaltete sich überaus aufwendig. "Wir haben einen alten Ölkanister eingegraben und Mäuse darin ausgesetzt", schildert Hann-Jürgen Hiller. Dann hatten die Tiere, zumeist Eulen, bereits einen ausgeprägten Jagdinstinkt entwickelt.
Zunächst Fütterung von Hand
Bei den ganz jungen Tieren übernahmen die Hillers die Aufgabe der Eltern, zerpflückten Eintagsküken und steckten sie in die Schnäbel der Greifvögel. "Wenn sie dann selbst nach der Nahrung schnappen möchten, brauchen sie nicht mehr von Hand gefüttert werden", sagt Ingrid Hiller. Dann werden tote Mäuse im Gehege abgelegt, die Vögel reißen sie dann selbst in Stücke. Erst stehen zwei bis drei Fütterungen am Abend an, dann irgendwann nur noch eine große. Wenn die Jäger aus der Luft gelernt haben, lebendige Tiere zu fangen, ist es Zeit für ein Leben ohne Menschen. Nicht nur um Greifvögel haben sich die Hillers im Laufe der Jahre gekümmert, auch Tauben und Singvögel wie der Eichelhäher waren bereits auf Zeit bei ihnen zu Gast. Zehn gefiederte Patienten im Jahr waren es stets im Schnitt. "Greifvögel sind sehr interessante Tiere", sagt Hann-Jürgen Hiller über seine Motivation. Genauso groß wie seine Faszination sei aber auch immer der Respekt gewesen. Der derzeitige Patient, die junge Waldohreule, hätte eigentlich bereits ausgewildert sein sollen, die Corona-Pandemie habe den Termin für die Übergabe in Rastede jedoch etwas verzögert.

Kümmern sich seit mehr als 40 Jahren um Greifvögel: Hann-Jürgen und Ingrid Hiller.
Greifvögel fühlen sich auch in der unmittelbaren Umgebung des Hofes wohl. Drei Bussard-Nester befinden sich in einer Baumreihe Richtung Feld. "Wir hatten auch Turmfalken in der Scheune. Seit zwei, drei Jahren sind sie aber nicht mehr hier", sagt Ingrid Hiller. Die 71-Jährige achtet stets darauf, dass sich die Wildtiere nicht an den Menschen gewöhnen. Damit ihr Herz nicht doch zu sehr an den Gästen hängt, geben sie und Hann-Jürgen Hiller den Tieren auch keine Namen. Eine Ausnahme hatte es jedoch einmal gegeben. Rabe "Oskar" lebte zwei Jahre auf dem Hof. "Er war wohl davor schon an Menschen gewöhnt gewesen und von Anfang an handzahm", erinnert sich Ingrid Hiller.
Wer Interesse hat, die Verantwortung für die Vogelpflegestation für Greifvögel zu übernehmen, meldet sich entweder beim Nabu Stuhr auf der Internetseite www.nabu-stuhr.de/kontakt oder bei Hann-Jürgen Hiller unter der Rufnummer 0 42 06 / 93 53.