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Interview zum digitalen Nachlass „Prinzipiell ist es wie Aufräumen“

Menschen hinterlassen immer mehr Spuren im Internet. Doch was passiert mit den Daten nach dem Tod? Darüber spricht die Bestatterin Stephanie Hartmann beim Vortragsabend des Hospizvereins Stuhr.
01.04.2019, 16:50 Uhr
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„Prinzipiell ist es wie Aufräumen“
Von Eike Wienbarg

Was fällt alles unter den Begriff „Digitaler Nachlass“?

Im Grunde genommen geht es um alles Digitale, das ein Mensch mit seinem Tod zurücklässt. Die Bandbreite reicht von Profilen in Sozialen Netzwerken, eigenen Blogs oder Webseiten und genutzter Software über die Kommunikation mittels E-Mail und Messenger-Diensten bis hin zum Austausch von Fotos per Instagram oder Dateien, die auf dem Server eines Cloud-Dienstes liegen. Überall werden ja heute Daten gespeichert, beispielsweise Schritte und Herzfrequenz auf dem Fitnessarmband oder ein Selfie auf dem Smartphone. Manche zählen auch die Hardware zum digitalen Nachlass, also den PC, den Laptop, das Smartphone oder die externe Festplatte, auf denen ja auch zahlreiche Daten gespeichert sind.

Welche Daten sind davon betroffen?

Das sind zum einen persönliche Informationen, die die verstorbene Person selbst ins Internet gestellt hat, oder Informationen, die mit der Person verbunden sind wie E-Mail-Adressen oder Kontodaten. Zum anderen geht es auch um alle Inhalte, gemeint sind Texte, Bilder oder Videos, die eine Person erstellt hat.

Gibt es gesonderte Probleme mit Social Media- oder Cloud-Portalen?

Probleme kann es geben, wenn die portalinternen Regelungen auf dem Portal nicht auffindbar sind. Dann wissen die Angehörigen nicht, was zu tun ist und an wen sie sich wenden müssen. Schwierig wird es auch, wenn eine verstorbene Person nicht mit dem realen Namen angemeldet war, sondern einen Nicknamen benutzt hat. Dann ist es manchmal unmöglich, dieses Profil eindeutig einer Person zuzuordnen und das Portal könnte eine Löschung verweigern.

Welche Möglichkeit gibt es, die digitalen Spuren zu entfernen?

Die beste Möglichkeit ist es, das Formalitätenportal zu nutzen. Natürlich können sich auch Angehörige selbst auf den Weg machen und auf dem zurückgelassenen Computer und den Internetseiten der Anbieter recherchieren und sich die notwendigen Informationen zusammensuchen. Das ist aber sehr zeitintensiv und man sucht quasi die Nadel im Heuhaufen. Dann muss man den jeweiligen Service kontaktieren, den Nachweis führen, dass man berechtigt ist, sich um den digitalen Nachlass zu kümmern. Manchmal dauert das dann Monate oder man wartet vergeblich auf eine Antwort.

Wie genau funktioniert der Service?

Mit QuickForm (das Formalitätenpotal der Firma Columba, Anm. d. Red.) lassen sich Nutzerkonten, Accounts und Profile der verstorbenen Person bei allen führenden Anbietern von Onlineangeboten ermitteln. Aus unserer Bestatter-Software heraus werden nur die zur Abwicklung der Formalitäten oder eines digitalen Nachlasses notwendigen Informationen für den jeweiligen Sterbefall in das Onlineportal übertragen. Diese Daten werden bei den Vertragspartnern abgeglichen und laufende Verträge der verstorbenen Person zugeordnet. Danach kann die vom Erbberechtigten beziehungsweise Erben gewünschte Kündigung, Löschung oder Übertragung und Fortsetzung eines Vertrages in die Wege geleitet werden. Alle Ergebnisse der Recherchen sehen die Kunden laufend aktualisiert im Formalitätenportal. Die Kunden können selbst auch noch nachträglich Recherchen durchführen und Abmeldungen tätigen.

Welche Formen des Umgangs mit dem eigenen digitalen Nachlass gibt es? Stichwort Gedenkseiten.

Eine Gedenkseite kann man als einen Erinnerungsort im Internet sehen. Sie werden normalerweise erst angelegt, wenn ein Mensch bereits gestorben ist, von denen, die darin Trost und Halt finden, online gemeinsam mit anderen zu trauern. Sie fallen nicht unter den digitalen Nachlass, bei dem es ja um Profile und Nutzerkonten geht, die eine verstorbene Person zu Lebzeiten selbst angelegt hat.

Welche Formen der neuen Erinnerungskultur gibt es?

Das Internet hat verschiedene neue Möglichkeiten hervorgebracht, sich der Verstorbenen zu erinnern. Das können Gedenkseiten sein, aber auch ein Profil, beispielsweise auf Facebook, das in den Gedenkzustand überführt wurde. Auf Youtube stellen Menschen Trauervideos ein. Meist bestehen sie aus Bildern des oder der Verstorbenen, sind mit einer schönen Musik hinterlegt und enthalten neben einigen Informationen aus dem Leben Kommentare wie „unvergessen“ oder „die Liebe stirbt nie“, in denen sich die Trauer ausdrückt.

Geht es bei der Verwaltung des digitalen Nachlasses nur um Vernichtung der Daten?

Ich denke, hier muss man unterscheiden. Wenn ein Mensch sich in seiner Persönlichkeit auf einem eigenen Blog oder mit einem Profil auf Facebook oder Instagram gezeigt hat und darüber mit vielen Menschen in Kontakt war, dann kann es sinnvoll sein, den Tod mitzuteilen und diesen wertvollen Inhalt an Texten und Bildern, mit denen die Person sich ausgedrückt hat, zumindest noch für eine Weile zu erhalten. So bekommen andere Menschen mit, dass die Person gestorben ist und sie haben eine Möglichkeit zum Trauern. Der Bereich des digitalen Nachlasses, bei dem es um Nutzerkonten in Onlineshops, für Abonnements, Cloud-Anwendungen oder Onlinespiele geht, wird nicht mehr benötigt und es ist sinnvoll, die Daten zu löschen und die Konten aufzulösen.

Welche Vorkehrungen können schon zu Lebzeiten getroffen werden?

Es wäre natürlich das Beste, wenn jemand schon zu Lebzeiten für sich eine Vorsorge einrichtet. Prinzipiell ist es wie Aufräumen, wenn man das eigene digitale Leben ordnet. Mit den eigenen Daten kennt man sich am besten aus. Auch wenn manche schon zu Lebzeiten den Überblick darüber verlieren, wo sie sich überall angemeldet haben. Der erste Schritt ist eine stets aktuelle Liste aller Nutzerkonten und Verträge und die regelmäßige Löschung von Konten, die man nicht mehr benötigt. Dann sollte man sich Gedanken machen, was gelöscht oder was bewahrt werden soll, weil es für die Angehörigen von Wert sein könnte. Gut ist es zu unterscheiden, wo es um Geld und Verträge geht oder um persönliche Werte wie Tagebücher oder Fotos. Zur Vorsorge gehört auch die Überlegung, wer sich um die Ausführung des letzten Willens kümmern soll und diese Person oder dieses Unternehmen muss mit den entsprechenden Vollmachten ausgestattet werden.

Wie wird der digitale Nachlass am besten geregelt?

Wir halten das Angebot des Formalitätenportals für den besten Weg, weil hier mit überschaubaren Kosten und wenig eigenem Aufwand der größte Teil der Onlinekonten und -verträge geklärt werden kann.

Vor welchen Problemen stehen Angehörige, falls der digitale Nachlass nicht zu Lebzeiten geregelt wurde?

In der Regel wissen Angehörige nicht, wo die verstorbene Person überall angemeldet war und auf welchen Plattformen sie aktiv war. Auch kann es passieren, dass sie mit Onlineportalen konfrontiert sind, die sie bei der verstorbenen Person überhaupt nicht vermutet hätten. Da gibt es ja viele Themen, die in den privaten Bereich eines Menschen fallen. Jemand, der seinen digitalen Nachlass zu Lebzeiten regelt, kann es so einrichten, dass Angehörige von solchen Aktivitäten nichts erfahren.

Was könnte passieren, wenn Angehörige das Thema komplett ignorieren?

Es können Kosten aus Verträgen entstehen, die unnötig weiterlaufen. Die Erben müssen dafür gesetzlich aufkommen. Oder es sind Guthaben und Werte vorhanden, von denen die Erben nichts erfahren. Deshalb ist es gut, frühestmöglich Kosten zu verhindern und Guthaben sowie andere Vermögensbestandteile zu sichern.

Wie wird der Service zum digitalen Nachlass angenommen? Welche Personengruppen nehmen den Service in Anspruch?

Das hängt sehr vom Lebensalter und der Art der Internetnutzung der verstorbenen Person ab. In der Regel sind bei jüngeren Menschen mehr Nutzerkonten vorhanden und auch mehr Daten gespeichert. Oft wird Menschen erst bewusst, dass es im Bereich des digitalen Nachlasses etwas zu regeln gibt, wenn wir sie darauf ansprechen. Von selbst fragen die wenigsten danach. Wenn wir darüber sprechen, dann fallen den Menschen aber ganz viele Beispiele ein, wo der oder die Verstorbene im Internet aktiv war. Und wir bekommen gute Rückmeldungen, der Service wird als sehr hilfreich empfunden.

Wie hat sich das Bestattungswesen generell im Zuge der Digitalisierung verändert?

Digitalisierung ist kein Thema, mit dem man sich einmal beschäftigt und es dann abhaken kann. Wir nutzen digitale Anwendungen, die uns die Arbeit erleichtern und es uns ermöglichen, den Fokus noch intensiver auf die Begleitung der Menschen zu richten. Über das Internet sind auch Angebote entstanden, die wir selbst kritisch sehen, etwa die Billigbestatter, die mit Kampfpreisen werben, am Ende aber oft teurer sind als der örtliche Bestatter und gar nicht die intensive menschliche Begleitung bieten können, die trauernden Menschen oft guttut. Bestattung ist eben mehr als die Abwicklung von Beerdigungsformalitäten. Insgesamt profitieren wir von digitalen Entwicklungen, sei es im Marketing, in Software-Anwendungen oder in sinnvollen digitalen Anwendungen für die Kunden wie das Formalitätenportal.

Die Fragen stellte Eike Wienbarg.

Zur Person

Zur Person

Stephanie Hartmann

unterstützt ihren Mann Michael Fritz Hartmann, Inhaber des Bestattungsinstitutes Fritz Hartmann in Oldenburg, das in der fünften Generation geführt wird. Seit 2018 ist sie geprüfte Bestatterin.

Christopher Eiler

ist Mediziner und seit rund 15 Jahren selbstständiger Unternehmer. 2012 gründete er die Firma Columba gemeinsam mit Oliver Eiler. Er ist unter anderem verantwortlich für die Produktstrategie.

Info

Zur Sache

Öffentlicher Hospizabend

Stephanie Hartmann und Lars Reichard von der Firma Columba sind an diesem Dienstag, 2. April, zu Gast beim öffentlichen Hospizabend des Hospizvereins Stuhr. Ab 19 Uhr sprechen sie dann zum Thema „Digitaler Nachlass – Das Internet vergisst nicht“ im Café am Kreisel der Bäckerei Brüne Meyer, Syker Straße 57, in Brinkum. Der Eintritt ist frei, Spenden werden aber gerne gesehen. Der Hospizverein weist ausdrücklich darauf hin, dass es an diesem Abend keinen Ausschank und Verkauf geben wird. Für weitere Informationen steht die Hospizverein-Koordinatorin Ursula Krafeld unter 01 51 / 75 01 24 31 zur Verfügung.

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