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Interview mit Florian Müller "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen"

Der Autor und Musiker Florian Müller kommt mit seinem Programm über Kinderrechte in die Gemeinde Stuhr. Im Vorfeld sprach er mit dem WESER-KURIER über das Thema.
04.09.2023, 15:23 Uhr
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Von Eike Wienbarg

Herr Müller, als Musiker und Autor haben Sie sich dem Thema Kinderrechte verschrieben. Wie kam es dazu?

Florian Müller: Vor etwa 17 Jahren habe ich angefangen, als Musikpädagoge zu arbeiten. Ich war viel in Kindergärten und Grundschulen in und um Bremen unterwegs. Dabei sind mir oft Kleinigkeiten aufgefallen, die ich aus meiner damaligen Sicht nicht gut fand. Aber ich fühlte mich auch noch nicht in der Lage, diese Kleinigkeiten wirklich zu beurteilen, da mir zu der Zeit noch das nötige Hintergrundwissen fehlte. Mit der Zeit habe ich angefangen, mich mit den Kinderrechten zu beschäftigen. Erstmal ganz klein und einfach. Als ich dann mit den Kindern in den Gruppen darüber sprechen wollte, ist mir aufgefallen, dass sie meistens gar nicht wussten, dass es Kinderrechte gibt. Ich glaube, der ausschlaggebende Moment war, als mir ein Kind erzählte, dass es zu Hause geschlagen wird. Ich habe dem Kind versucht zu erklären, dass Eltern ihre Kinder nicht schlagen dürfen. Dass kein Mensch das Recht hat, Kindern in irgendeiner Weise wehzutun. Das war etwas, was ich aus meinem Studium der Sozialen Arbeit mitgenommen hatte. Dann wollte ich es genauer wissen und habe für mich bemerkt, dass ich mit dieser Ungerechtigkeit Kindern gegenüber nicht leben will und dass ich meine Aufgabe darin sehe, diesem entgegenzuwirken.

Warum sind Kinderrechte so wichtig?

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das muss ganz klar gesagt werden. Die Menschenrechte sind von Erwachsenen für Erwachsene geschrieben. Natürlich sind die Kinderrechte auch Menschenrechte. Allerdings sind Kinder total auf die Erwachsenen angewiesen. Alles, was die Kinder von Beginn an machen, was sie lernen, wo sie hin wollen oder sonst was. Alles klappt nur, wenn die Erwachsenen mitmachen. Wir können also niemals die Kinder mit den Erwachsenen auf eine Stufe stellen. Das geht körperlich und auch geistig nicht. Wenn wir wollen, dass alles dafür gemacht wird, dass unsere Kinder gut und gesund aufwachsen, dass sie eine gute Bildung bekommen, sie ohne Gewalt aufwachsen, sie nicht verwahrlosen, dann braucht es die speziellen Kinderrechte. Wir Erwachsenen müssen für uns selber sorgen, aber das können die Kinder noch nicht. Sie sind immer abhängig davon, was die Erwachsenen bereit sind, für sie zu geben. Damit das nicht in Willkür endet, ist es wichtig, für sie gesonderte Rechte zu haben.

Wissen Kinder um die Kinderrechte?

Leider wissen immer noch viel zu viele Kinder nichts davon. Aber es gibt zum Glück immer mehr Menschen, die sich für die Kinder stark machen. Menschen, die erkannt haben, dass die Kinder die Zukunft unserer Welt sind. Es ist schön, zu sehen, dass immer mehr Kitas, Grundschulen aber auch Gemeinden sich auf den Weg machen, den Kindern die Kinderrechte zu vermitteln. Sei es im Plenum in der Kita, in der kindgerechten Kommune oder in den gerade neu entstehenden Kinderrechte-Schulen.

Wie lassen sich Kinderrechte kindgerecht vermitteln?

Es gibt mittlerweile ganz viel Material zum Thema, das so aufgearbeitet ist, dass eigentlich jede Schule und auch Kitas ohne Probleme den Kindern die Kinderrechte vermitteln können. Es gibt Organisationen, die sich darum kümmern, dass die Kinder die Kinderrechte verstehen. Es gibt Unicef, die sich vor 30 Jahren mit einigen Unterstützern auf den Weg gemacht haben und die Kinderrechte formuliert haben. In vielen Orten gibt es Ortsgruppen. Aber es gibt auch den deutschen Kinderschutzbund. Die Mitarbeiter kommen gerne in die Einrichtungen oder auf Feste, um den Kindern etwas über die Kinderrechte zu erzählen. Es gibt natürlich auch noch viel mehr Einrichtungen, die sich um die Rechte der Kinder kümmern. Natürlich sind die Kinderrechte in dieser grausamen Erwachsenensprache geschrieben. Deswegen braucht es auch Übersetzer. Das SOS-Kinderdorf in Worpswede hat mich gerade gebeten, zehn Kinderrechte in einem ganz kurzen Text verständlich zu beschreiben. Dies soll eine Broschüre werden.

Das versuchen Sie ja auch in Ihren Texten.

Ich habe meine Geschichten mit Max, seinem Papa und seinen Freundinnen und Freunden. Ich versuche, in diesen Geschichten den Kindern die ersten 42 Artikel der Kinderrechte zu erklären. Das mache ich mit Max, und dem, was er im Alltag erlebt.

Wie sind die Rückmeldungen von Kindern?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder sehr wissbegierig sind. Gerade die Mischung aus Geschichten und Liedern schafft es, dass sie auch länger zuhören. Oft kommen sie nach den Auftritten und erzählen mir von Erlebnissen, die sie gemacht haben und jetzt in den Zusammenhang mit den Kinderrechten neu einordnen können. Es gibt auch Kinder, die in der Lesung aufstehen und etwas sagen wollen. Das dürfen sie dann natürlich auch. Ich glaube, die Kinder haben ein Gefallen an den Geschichten, Liedern und Auftritten. Und dann bemerken sie auch, dass es viele gibt, die sich für sie stark machen. Grundsätzlich muss ich sagen, dass Kinder ein sehr direktes und ehrliches Publikum sind. Wenn es ihnen nicht gefällt, dann haben sie auch keine Lust, weiter dabei zu sein. Das ist aber in meinen Lesungen zu den Kinderrechten noch nicht passiert.

Und was sagen die Eltern?

Eltern sind da gespaltener. Es gibt viele, die es sehr gut finden. Aber es gibt auch Eltern, die mit den Kinderrechten eigentlich nichts zu tun haben wollen. Was allerdings meisten damit zu tun hat, dass sie gar nicht wissen, was in den Kinderrechten steht, oder sie nicht richtig informiert wurden. Manche Menschen versuchen auch, gezielt falsche Informationen zu streuen, weil sie nichts von den Kinderrechten halten. Aber diese Menschen kommen nicht in meine Lesungen. Ich bin immer bereit, mich mit allen auseinanderzusetzen, wenn es Fragen oder Gesprächsbedarf gibt.

Sie setzen sich für das Unicef-Programm für Kinderrechte-Schulen ein. Was verbirgt sich dahinter?

Mithilfe von Trainerinnen und Trainern, die von Unicef gestellt werden, können sich Schulen auf den Weg machen und ihre Schule zu einer Schule machen, in der die Kinderrechte besonders betrachtet und umgesetzt werden. Hierfür gibt es spezielle Trainings für das gesamte Personal. Von der Schulleitung bis zum Hausmeister sind alle mit dabei. Und dann wird einmal geschaut: Wo steht die Schule? Was wird schon gemacht? Was muss noch besser werden? Haben die Erwachsenen, die in der Schule arbeiten, ein Verständnis von dem, was in den Kinderrechten steht? Und dann geht es auch gleich los, dass einfache Dinge wie Demokratie zum Beispiel in Form von Klassensprecherwahlen oder der Klassenratsstunde und der Schülervertretung eingeführt oder intensiviert werden. Am Ende des Kinderrechteprogramms steht dann die Zertifizierung der Schule. Dann kann sich die Schule als Unicef-Kinderrechte-Schule bezeichnen und damit werben.

Vor Kurzem waren Sie deswegen auch in Spanien.

Ich hatte das große Glück, mit einer kleinen Abordnung nach Valencia und Oliva fahren zu dürfen, um mir dort vor Ort anzuschauen, wie dort die Kinderrechte in den Schulen schon umgesetzt und gelebt werden. Da können wir uns noch eine ganze Menge abschauen. Einmal, was die technische Ausstattung der Schulen angeht, aber vor allem auch, was den Umgang mit den Kindern angeht. Die Art und Weise, wie die Kinder in den Unterricht einbezogen werden und wie der Umgangston mit den Kindern ist. Und wie wertschätzend die Lehrer mit den Kindern umgehen. Einfach großartig. Da sind wir hier mit unserem Schulsystem leider noch nicht angekommen. Es braucht hier einfach noch mehr Miteinander zwischen Lehrern und Schülern. Wenn ich nach Stuhr komme, dann komme ich direkt von einem Nachtreffen der Valencia-Fahrt.

Wie schätzen Sie die Lage der Kinderrechte in Deutschland ein?

Ich denke, wir in Deutschland sind noch weit von einem guten Umgang mit den Kinderrechten entfernt. Zu viele Erwachsene haben immer noch Angst davor, dass sie kein Mitspracherecht mehr haben, wenn die Kinderrechte einmal wirklich gesetzlich verankert sind. Da braucht es noch ganz viel Aufklärungsarbeit. Die Kinderrechte versuchen nämlich alles, damit unsere Kinder so gut wie nur irgendwie möglich aufwachsen können. Das steht in Artikel 3 der Kinderrechte. Bei allem, was wir machen, muss es so sein, dass es zum Wohl des Kindes ist. Das bedeutet natürlich, dass das auch Geld kostet und eben auch, dass damit kein Geld verdient werden kann. Aber ich möchte das nicht einfach nur schwarzmalen. Es gibt so viele Bemühungen, die Kinderrechte öffentlich zu machen. Meine Hoffnung ist es, den Kindern jetzt etwas an die Hand zu geben, damit sie später als Erwachsene anders agieren können, als so viele Erwachsene es zurzeit tun. Wir müssen jetzt den Samen Kinderrechte streuen, damit die nächsten Generationen davon ernten können. Ich glaube fest daran, dass wir mehr bewirken können, als es zurzeit der Fall ist. Je mehr Kinder etwas von den Kinderrechten erfahren, umso mehr Kinder werden es, die nicht mehr unter der Nichtbeachtung der Kinderrechte leiden müssen. Und umso mehr Menschen haben wir, die sich dafür einsetzen, dass wir hier auf der Erde ein besseres Leben führen können.

Was muss noch besser werden?

Es muss unbedingt noch viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit die Menschen verstehen, was in den Kinderrechten tatsächlich steht. Dass es in den Kinderrechten nicht darum geht, dass der Staat dann alle Gewalt über die Kinder hat. Genau das Gegenteil, der Staat soll alles dafür tun, damit die Kinder in den Familien bleiben können. Denn Kinder gehören in ihre Familien, Kinder lieben ihre Eltern. Und wenn es Probleme gibt, müssen diese mit den Familien angegangen werden, aber die Kinder sollten möglichst nicht von den Eltern getrennt werden. Aber oft glauben das die Erwachsenen. Deswegen sträuben sie sich gegen die Kinderrechte. Und es muss noch viel mehr für die Kinder angeboten werden, wo sie etwas über die Kinderrechte lernen können und wie sie diese leben können. Dann potenziert sich auch das positive Wissen.

Aktuell diskutiert die Bundesregierung die Kindergrundsicherung. Familienministerin Paus musste ihren Vorschlag finanziell massiv zurückfahren. Was halten Sie von diesem Projekt?

Das ist ein schwieriges Thema. Es ist leider so, dass Kinder Geld kosten und der Staat kein Geld mit den Kindern verdienen kann. Immer, wenn etwas Geld kostet und es nicht sofort offensichtlich ist, dass hinterher ein großer finanzieller Erfolg dahinter steckt, wird versucht, da kein Geld hineinzustecken. Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es bei der Kindergrundsicherung darum, die unterschiedlichen Leistungen in eine gebündelte Geldleistung für bedürftige Menschen zu überführen. Also ist das Geld eigentlich schon da. Aber da die Anträge oft unübersichtlich oder auch unverständlich sind, haben viele Menschen gar nicht alle Leistungen erhalten, die sie hätten bekommen können. Also wurde dort Geld gespart. Jetzt wurde ein Vorschlag gemacht, der eben dazu führt, dass mehr Menschen wirklich alles Geld bekommen könnten, was ihnen zusteht. Das kostet aber Geld. Und da manchen Politikern unsere Kinder nichts wert sind, wurde leider alles dafür getan, dass auch hier mal wieder die Kinder auf der Strecke bleiben. Vielleicht sollte die Politik einfach mal dort nachfragen, wo diese finanziellen Hilfen tatsächlich gebraucht werden: bei den Familien, die am Existenzminimum leben. Menschen mit viel Geld können immer gut darüber entscheiden, ob andere etwas Geld bekommen sollten oder nicht, sie haben ja keine Not. Das finde ich echt beschämend. Geld muss für die Zukunft unserer Kinder eingesetzt werden. Aber auch das verstehen manche Politiker leider nicht.

Was ist für den Auftritt in Stuhr geplant?

Ich werde mit meiner Gitarre und meiner Cajon kommen und den Besuchern aus meinem Buch "Max und die Kinderrechte – 42 Kurzgeschichten zu den Kinderrechten" vorlesen und dazu passend auch einige Lieder spielen. Die Lieder gehören dann immer thematisch an die Geschichte. In den Liedern geht es aber auch darum, sich einmal zu bewegen und mitzumachen. Dann hat man auch wieder Energie, um die nächste Geschichte zu hören. Die Geschichten sind kurz, und ich werde auch nicht das ganz Buch vorlesen. Ich werde aber bestimmt auch ein paar Lieder einbauen, in denen es einfach nur darum geht, Spaß zu haben. Ich hoffe, es wird ein fröhlicher Nachmittag mit vielen glücklichen Kindern und Erwachsenen.

Welche Botschaft möchten Sie vermitteln?

Ich weiß nicht, ob ich eine Botschaft habe, die ich vermitteln will. Ich möchte die Besucher ermutigen, sich mit den Kinderrechten auseinanderzusetzen und sie in ihr Leben zu lassen. Das ist eigentlich gar nicht schwer. Lebt doch einfach auf dieser Welt so, wie ihr gerne behandelt werden wollt. Ich glaube nicht, dass irgendwer gerne im Krieg leben würde oder in einer total verdreckten Umwelt. Lasst uns einfach alle dafür sorgen, dass unsere Kinder eine Zukunft auf dieser Welt haben. Das ist übrigens auch das Motto des diesjährigen Weltkindertages am 20. September. Kinder brauchen eine Zukunft auf dieser Welt. Dazu gibt es auch ein Lied von mir. Und ansonsten: Seid menschlich und einfach friedlich untereinander, dann wird's schon werden.

Das Interview führte Eike Wienbarg.

Zur Person

Florian Müller

ist 1973 in Zeven geboren. Nach einem freiwilligen Jahr in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, einer anschließenden Ausbildung zum Erzieher und Arbeit in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche nahm er das Studium zum Diplom-Sozialarbeiter mit dem Schwerpunkt Musikpädagogik auf. Seit 2005 ist er als freiberuflicher Musikpädagoge in verschiedenen Kindergärten, Schulen und Musikschulen tätig. Er hat zahlreiche CDs und Bücher veröffentlicht. 2021 startete er einen Podcast für Kinder unter dem Titel "Seid dabei!".

Zur Sache

Auftritt in Stuhr

Florian Müller ist am Donnerstag, 14. September, ab 16 Uhr zu Gast im Stuhrer Rathaus, Blockener Straße 6. Das Programm ist für Kinder ab vier Jahren geeignet, der Eintritt kostet fünf Euro. Tickets gibt es in allen Vorverkaufsstellen von Nordwest-Ticket, unter anderem beim WESER-KURIER an der Bassumer Straße 6a in Brinkum, sowie unter der Rufnummer 04 21 / 36 36 36 und online unter www.nordwest-ticket.de. Reservierungen für die Tageskasse nimmt Linda Meyer-Eltz unter 04 21 / 5 69 52 94 oder per E-Mail an kultur@stuhr.de entgegen.

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