In einer Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht in Syke wurde einem 61-jährigen Mann fahrlässige Tötung vorgeworfen. Der Angeklagte war im November 2022 gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen in einem Kleintransporter auf der Landesstraße 202 in Richtung Schwarme unterwegs. Dort kam es zu einem tragischen Unfall, bei dem ein BMW-Fahrer noch vor Ort verstarb (wir berichteten).
Der Unfall ereignete sich in den frühen Morgenstunden bei schwierigen Witterungsbedingungen. Es war dunkel und die Straße nass, als der Angeklagte in einer Tempo-80-Zone versuchte, ein vor ihm fahrendes Auto zu überholen. Dabei übersah er einen bereits auf der Überholspur befindlichen BMW, der mit hoher Geschwindigkeit von hinten kam. Es kam zur Kollision, wobei der BMW von der Straße abkam und anschließend gegen zwei Bäume prallte. Für den BMW-Fahrer kam jede Hilfe zu spät.
Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, dass der Unfall durch bessere Aufmerksamkeit hätte vermieden werden können. Dies stelle den Tatbestand der fahrlässigen Tötung dar, so die Staatsanwältin. Gleich zu Beginn der Verhandlung entschuldigte sich der Angeklagte für das Geschehene.
Bevor die Richterin in die Beweisaufnahme einstieg, wandte sie sich an die Eltern und den Bruder des Verstorbenen, die als Nebenkläger im Verfahren auftraten, mit den Worten: „Egal wie das Verfahren ausgeht, der Angehörige kommt nicht zurück. Aber vielleicht bewirkt die Entschuldigung des Angeklagten etwas.“
Widersprüchliche Aussagen
Der Angeklagte beteuerte sodann, dass er mit einer Geschwindigkeit von circa 65 Stundenkilometern unterwegs gewesen sei, als er sich entschied, zu überholen. Er habe in den Spiegel geschaut, den Blinker gesetzt und sich per Schulterblick überzeugt, dass die linke Spur frei sei. Er habe niemanden gesehen und sei dann auf die linke Spur gewechselt. Er habe sich bereits auf der Höhe des vor ihm fahrenden Fahrzeugs befunden, als es zur Kollision kam. Erst durch einen Stoß habe er gespürt, dass etwas passiert sei. Er habe dann angehalten und sich um den Verunfallten gekümmert.
Mehrere Zeugen wurden im Laufe des Prozesses gehört, darunter auch ein Autofahrer, der hinter dem Kleintransporter fuhr. Dieser bestätigte, dass der BMW-Fahrer auf der Überholspur unterwegs war, als der Angeklagte den Überholvorgang begann. Er beschrieb, dass der BMW „sehr schnell“ gefahren sei. Auch eine weitere Zeugin schilderte, dass der BMW sie kurz vor dem Unfall mit hoher Geschwindigkeit überholt habe. Sie habe noch gedacht, „hoffentlich geht das gut“. Der Arbeitskollege, der mit dem Angeklagten im Kleintransporter, und zwar auf der Rücksitzbank hinter dem Fahrer saß, bestätigte indes die Aussagen des Angeklagten.
Unfallopfer war schnell unterwegs
Ein entscheidender Punkt der Verhandlung war die Geschwindigkeit des BMW zum Unfallzeitpunkt. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger der Dekra analysierte den Unfallhergang und kam zu dem Schluss, dass der BMW-Fahrer mit einer Geschwindigkeit von etwa 125 bis 135 Stundenkilometern unterwegs gewesen sein müsste, als er mit dem Kleinlieferwagen kollidierte. Die Spuren und das Ausmaß der Schäden am BMW sowie die demolierten Bäume würden auf eine erhebliche Aufprallwucht hindeuten. Die Verteidigung ließ sich in der Hauptverhandlung durch einen wissenschaftlichen Berater unterstützen, der eher von einer noch höheren Geschwindigkeit ausging.
Eine Frage des Abstands
Die Richterin stellte heraus, dass die zentrale Frage des Verfahrens die Sichtbarkeit des herannahenden BMW gewesen sei. Hätte der Fahrer des Lieferwagens den BMW erkennen können und müssen? Dies hing laut der Richterin maßgeblich vom Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs ab. Wäre das nachfolgende Fahrzeug mit einem großen Abstand gefolgt, hätte der Angeklagte den BMW bei seinem Überholvorgang erkennen können. Nur dann ließe sich ihm eine Fahrlässigkeit vorwerfen. Bei einem geringen Abstand und einer hohen Geschwindigkeit des BMW wäre dies jedoch kaum möglich gewesen. Trotz aller Fachkompetenz im Gerichtssaal konnte diese Frage nicht beantwortet werden.
In einem vertraulichen Rechtsgespräch erörterten die Parteien schließlich die Rechtslage. Das Ergebnis: Mit Zustimmung der Staatsanwältin und der Verteidigung stellte die Richterin das Verfahren ein. Allerdings wurden dem Angeklagten die Auslagen des Verfahrens, auch die der Nebenklage, auferlegt. Die Nebenkläger hatten dabei kein Mitspracherecht und erklärten abschließend: „Der Beschluss hilft uns nicht“.