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Klimaschutzmanagement "Wir wissen, wir stehen am Abgrund"

Fünf Klimaschutzmanager haben in Syke mit der Bevölkerung diskutiert. Im kleinen Saal in der Waldstraße 1 war kein Stuhl mehr übrig. Am Ende stand die Aufforderung zu zivilem Ungehorsam.
09.10.2023, 16:16 Uhr
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Von Micha Bustian

Syke/Landkreis Diepholz. Syke, Bassum und Twistringen arbeiten auf vielen Ebenen zusammen. Das gilt nicht nur für die Stadtverwaltungen. So existiert unter anderem das Klima-Aktions-Bündnis Syke-Bassum-Twistringen, und weil diese Vereinigung ja das Wort "Aktion" in ihrem Namen trägt, lud sie jüngst zu einem Treffen ein. Das Thema: Wie lässt sich Klimaschutz managen? Im kleinen Saal im Erdgeschoss der Waldstraße 1 in Syke war kein Stuhl mehr zu ergattern, ein Mann saß sogar auf einem Fensterbrett. Den Gästen gegenüber platz genommen hatten die Klimaschutzmanagerinnen Vanessa Witt (Bassum), Lydia Geerken (Twistringen), Kirstin Taberski (Weyhe), Katharina Brabender (Syke) und Frank Marquardt (Bruchhausen-Vilsen). Für die Moderation sorgten Thomas Suermann und Friedrich Hagedorn vom Klima-Aktions-Bündnis.

"Es geht gar nicht darum, die einzelnen Konzepte vorzustellen", erklärte Hagedorn eingangs. Es sollten seitens der Besucher Fragen gestellt und Anmerkungen gemacht werden. Doch das musste noch warten, denn anfangs übernahmen die Moderatoren den Part der Fragesteller. Sie wollten wissen, was inzwischen passiert ist auf der Ebene des Klimaschutzes: Was ist aus den konzeptionellen Vorstellungen geworden? Wie viele Treibhausgase wurden bereits eingespart?

Doch die Antworten auf diese Fragen fielen schwer. Denn: Alle anwesenden Klimaschutzbeauftragten sind erst seit kurzer Zeit im Dienst. Brabender ist seit 2021 in Syke und damit die Dienstälteste, Witt seit April dieses Jahres dabei und damit am kürzesten. Marquardt, Taberski und Geerken sind 2022 eingestiegen. Entsprechend wenig an praktischer Umsetzung ist bisher geschehen. "Mein größter Meilenstein bisher ist das Klimaschutzkonzept", erklärte Brabender. Und eben daran sitzt der Großteil ihrer Kollegen zurzeit noch. Das Syker Konzept sei "im letzten Monat online gegangen". Maßnahmen mit konkreten Kohlendioxid-Einsparungen seien zu diesem frühen Zeitpunkt schwer auszumachen. Ihr Kollege Marquardt stimmte dem zu. Von den zwei Jahren, die sein Vertrag laufe, brauche er eineinhalb Jahre für das Klimaschutzkonzept. "Es wäre bestimmt spannend, sich in zwei Jahren wieder hier zu treffen."

Das Gespräch landete kurz in einer verbalen Sackgasse, ehe Hagedorn und Suermann selber begannen, Fragen zu stellen. Sie maßen Taberski, deren Gemeinde Wehye seit 2012 einen Klimaaktionsplan hat, am Ziel, alle fünf Jahre zehn Prozent weniger Treibhausgase zu emittieren. Den ersten Zwischenstand dazu gebe es allerdings erst im kommenden Jahr. 

Nächste Frage: Wo sind die größten Einsparungen möglich? Gebäudedämmung, Straßenbeleuchtung, Fotovoltaik auf kommunalen Gebäuden, Wärmepumpen in Kindertagesstätten und Büchereien? Taberski verwies auf fehlende Messdaten. Geerken indes machte 70 Prozent bei Wärme und Mobilität aus. "Das ist ein unbequemes Thema, denn es ist schwierig, Gewohnheiten zu ändern." Wichtig sei, herauszufinden, was am besten zur Kommune passe. Marquardt fasste es in andere Worte: "Wie nehmen wir die Menschen mit?"

Nun war die Diskussion im Gange. Es stellte sich die Frage nach den größten Hemmnissen. Geerken wies auf lange Wartezeiten und zu wenig Personal hin. "Ich könnte hier noch zwei Mitarbeiter gebrauchen." Aber: "Die Haushaltslage ist beschissen." Marquardt ärgerte, dass "das, über das wir uns hier unterhalten, seit Kyoto klar ist". Seit 1990. "Wir drehen uns im Kreis." Taberski war aufgefallen, dass nur wenige junge Menschen bei der Veranstaltung mitdiskutierten. "Wie kommen wir an die heran?"

Nach der wissenschaftlichen Beratung der Kommunen wurde gefragt, nach dem Anteil der Landwirtschaft am Klimaschutz. Da verdrehte Marquardt die Augen. Er brachte das Thema Freiflächen-Fotovoltaik aufs Tapet. "Wie viele Investoren werden dort einsteigen, wer bestimmt dann die Preise? Beim Klimaschutz geht's mittlerweile um viel Geld." Seine Idee: "Wir müssen die Bürger überreden, gemeinsam mit der Kommune Geld zusammenzubekommen." Seine Aufgabe sei es, die Leute dafür zu aktivieren. Taberski unterstützte in diesem Punkt: "Klimaschutz findet nur in den Kommunen statt, nur mit den Bürgern." Welches die größten Widerstände seien, kam es aus dem Forum. Alle Klimaschutzbeauftragten monierten die komplizierte Gesetzeslage. Und sie tadelten die Politik, die teilweise auch gegen die Beschlussvorlagen aus der Verwaltung gegen Klimaschutzmaßnahmen stimmen würde.

Letztlich wollten die Gäste wissen, was der Klimaschutzbeauftragten täglich Brot sei. "Fördergeldanträge", antwortete Taberski. Und weiter: die Betreuung kommunaler Förderprogramme, Koordination, Vermittlung, Beratung, Öffentlichkeitsarbeit, Arbeitsgemeinschaften vorbereiten. In zwei Worten: "Viel Schreibkram." Abschließend rieten die Fachleute zu zivilem Ungehorsam. "Die Bürger müssen helfen, Druck zu machen", sagte Taberski. "Es kann viel von unten kommen", meinte auch Witt. Marquardt hätte gerne mehr Menschen mit im Klimaschutz-Boot: "Wir müssen auch an die Kitas und Schulen gehen." Denn: "Wir wissen, wir stehen am Abgrund."

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