Landkreis Diepholz. Mahmoud Diffiallah hat vergewaltigte junge Mädchen gesehen, die von ihren Eltern nicht zur ärztlichen Behandlung gebracht würden, weil diese sich schämten und die Töchter dann lieber Suizid begehen. Er hat Kinder gesehen – Kriegswaisen, die auf sich allein gestellt sind und nichts mehr am Leib trugen außer einer Unterhose. Er hat Männer und Frauen mit Wunden von Geschossen gesehen: Wunden, die nicht behandelt werden können, weil es keine Medikamente und kein Verbandszeug gibt im Tschad. Dort, wo täglich Hunderte, wenn nicht gar Tausende Flüchtlinge aus dem Sudan ankommen, die sich vor dem blutigen Krieg zwischen Armee und Paramilitärs, der dort seit April tobt, in Sicherheit bringen wollen. Diffiallah ist selbst im Sudan aufgewachsen, hat dort Krankenpflege studiert und in einem Militärkrankenhaus gearbeitet, bis er im Jahr 2015 flüchtete und über Libyen bis nach Europa und schließlich ins sichere Deutschland gelangte. Heute arbeitet der 35-Jährige als Altenpflegehelfer in Sulingen und möchte den Menschen im Flüchtlingslager bei Adré im Tschad helfen.
Das geht nur über Geld: "Um Lebensmittel, Kleidung oder Decken dorthin zu bringen, fehlt uns die Logistik", sagt Johannes Kaluza aus Syke. Der ehemalige Flüchtlingssozialarbeiter ist vor einem halben Jahr bei der Caritas in Rente gegangen, hat aber Kontakt zu Diffiallah gehalten und auch zu dessen Freund Hassan Abdelrahman. Der 52-Jährige ist schon 2013 aus dem Sudan nach Deutschland geflüchtet und lebt jetzt als anerkannter Asylbewerber in Twistringen. Im Sudan hatte er Jura studiert, später acht Jahre als Anwalt in Qatar gearbeitet. Jetzt verdient er seinen Lebensunterhalt in Diepholz bei der Caritas, ebenfalls als Altenpflegehelfer.
3000 Euro private Spenden
Diffiallah und Abdelrahman haben sich aber schon vor Jahren im Krankenhaus in Darfur kennengelernt: "Der brutale Bürgerkrieg im Sudan treibt die Menschen aus Darfur im Westen des Sudan in den Tschad. Hinter der Grenze entstehen dann diese Lager. Die Menschen erleben unfassbare Gewalt, Hunger und Vertreibung", schildert Johannes Kaluza die Situation. Er hat erstmals in diesem Sommer mit Diffiallah und Abdelrahmann eine Spendenaktion im privaten Umfeld gestartet. 3000 Euro kamen so zusammen. Von dem Geld hat Diffiallah durch einen befreundeten Arzt im Sudan Medikamente und andere unbedingt benötigte medizinische Güter kaufen lassen und ist in seinem Urlaub in den Tschad geflogen, um selbst dort zu helfen.

Das Flüchtlingslager Adré im Tschad ist überfüllt.
Diffiallah hat Fotos mitgebracht, die die Lage in den Flüchtlingslagern im Osten des Tschad zeigen: Wasserlöcher, in den Boden gegraben, aus denen Mensch und Tier trinken müssen. "Ich war drei Tage krank", sagt er, nachdem er von dem braunen Wasser getrunken habe. Aber anderes Wasser gibt es nicht, ebenso wenig wie genug zu essen für die Menschen, die jeden Tag mehr würden. Im Flüchtlingslager gebe es keine Wege; Zelt stehe an Zelt, er hätte sich seinen Weg über Körper und Schlafstellen bahnen müssen. Derzeit sei es heiß in der Stadt Adré, tagsüber bis zu 40 Grad im Schatten, nachts werde es dagegen schon empfindlich kalt. Die Menschen hätten nur die dünnen Zeltwände, wenn überhaupt, um sich gegen die Natur zu schützen. Die ersten Lager seien sogar noch aus Naturmaterialien und Kleidung notdürftig und hastig errichtet worden. "Wenn der Wind kam, wehte alles weg", sagt er.
Weder für Diffiallah noch für Adelrahman gibt es einen Weg zurück in die Heimat. "Meine beiden Kinder sind schon hier geboren", sagt der 52-Jährige. Sein 35-jähriger Freund hat schon den ersten Krieg im Sudan miterlebt, als im Jahr 2003, vor 20 Jahren, die erste Dafur-Krise durch einen Militärputsch ausgelöst wurde. Diffiallahs Familie floh, kehrte aber später wieder zurück. Seine Mutter lebt immer noch im Sudan, aber der 35-Jährige hat hier inzwischen selbst Frau und zwei kleine Kinder. Er will nur gefahrlos vielleicht mal zu Besuch kommen – irgendwann. Im Moment sei alles viel zu gefährlich, sagt er und zeigt Fotos von einem zerschossenen Fahrzeug des Roten Kreuzes. Auch für Helfer sei es derzeit lebensgefährlich.

Zehntausende Menschen aus dem Sudan versuchen dort zu überleben. Wasser gibt es nur aus Erdlöchern.
Sechs Millionen Menschen sollen aus dem Sudan auf der Flucht sein. "Mich regt das auf, dass es hier scheinbar niemanden interessiert", sagt Kaluza. Anders als vor 20 Jahren, als der Krieg im Sudan aufflammte und auch von der Europäischen Union humanitäre Hilfe im sogenannten Darfur-Konflikt geleistet wurde, schaue bei der jetzigen, seit über einem halben Jahr andauernden Katastrophe im Sudan die Welt weg. Kaluza kann auch nachvollziehen, dass hier Lebende, die Transferleistungen bekommen, einen Teil des Geldes in die Heimat schicken: "Das ist humanitäre Hilfe", sagt er. Jeder, der hier lebe, werde von den Zurückgebliebenen um Hilfe angebettelt – dort gehe es ums nackte Überleben.