Als die Entscheidung fiel, dass alle Schulen ab dem 16. März geschlossen werden, dachte die Mehrheit der Bürger wahrscheinlich an Grund- und weiterführende Schulen. Die Musikschulen habe niemand auf dem Zettel gehabt, vermutet die Leiterin der Kreismusikschule Osterholz, Christa Piater: „Aber natürlich durften auch wir unseren Unterricht nicht fortsetzen.“
Zumindest nicht auf die herkömmliche Weise. „Mir war klar, dass wir eine Alternative finden müssen, einfach den Kopf in den Sand stecken, das ist nichts für mich“, sagt Andreas Bäuml. Seit seinem 16. Lebensjahr spielt er in diversen Rockbands und studierte später klassische Musik in Bremen. An der Kreismusikschule leitet er die Fachgruppe Rock Pop Jazz. Er unterrichtet Gitarre und E-Gitarre. Und das, so stellt der 54-Jährige nun fest, klappe auch überraschend gut mithilfe von Computer, Webcam und Internet. „Unterrichten per Skype ist zwar nur die zweitbeste Lösung, aber die beste in dieser Krisen-Situation“, findet er.
Etwa 30 Lehrkräfte beschäftigt die Kreismusikschule. Teils sind es Honorarkräfte, teils Festangestellte. „Wir finanzieren uns über die Elternbeiträge und über den kommunalen Zuschuss, den wir bekommen“, so Piater. Darin unterscheide sich die Kreismusikschule von privaten Musikschulen. In dieser Krise sorgt sich Christa Piater jedoch um die Gebühren der Eltern. „Da wir den mit ihnen geschlossenen Vertrag nicht eins zu eins erfüllen, haben wir keinen Anspruch auf das Geld; wir können nur an sie appellieren, dass sie ihre Gebühren nicht zurückfordern.“ Um so wichtiger sei es, dem vorzugreifen und dafür zu sorgen, dass die Eltern mit dem Angebot weiterhin zufrieden sind. „Daher die Idee mit dem Skypen.“
„Ich habe gleich bei meinen Schülern abgeklopft, ob wir Unterricht per Skype machen können“, berichtet Andreas Bäuml. Die Rückmeldungen seien durchweg positiv gewesen. „Die Eltern sind froh, dass ihre Kinder auf einen festgelegten Zeitpunkt in der Woche hinüben können.“ Obwohl er von anderen Musikschulen wusste, die diese Technik bereits anwenden, sei er skeptisch gewesen, ob die Unterrichtsmethode funktioniert. „Ich war überrascht, wie gut es klappt.“ Für ihn sei dabei sicher von Vorteil, dass die Schüler mit der Gitarre direkt vor der Kamera säßen. So könne er ihre Finger auf den Saiten genau sehen. Bei den jüngeren Schülern säßen meist die Eltern in den Skype-Stunden mit dabei. Sie könnten ihren Kindern helfen, die richtige Passage zu finden, wenn er ihnen sage, dass sie einen Part wiederholen sollen. Auch das funktioniere gut. Allein die frühmusikalische Erziehung könnten sie in dieser Zeit nicht anbieten, bedauert er.
Andreas Bäuml ist nicht der einzige Lehrer an der Kreismusikschule, der nun per Skype unterrichtet. Sein Kollege Matthias Wulff sei ebenfalls technikaffin, habe den anderen Kollegen die nötige App installiert. Allerdings seien nicht alle Lehrer und nicht sämtliche Schüler mit Webcam ausgerüstet beziehungsweise würden schlicht eine andere Technik bevorzugen. Neben der Webcam werde viel mit Aufnahmen gearbeitet, die über WhatsApp geschickt werden. Christa Piater wiederum gibt Klavierunterricht übers Telefon. „Die Telefonleitung hat eine bessere Qualität“, argumentiert sie. Auch werde sie nicht durch das gesendete Bild abgelenkt, könne sich auf das Spiel konzentrieren. „Das funktioniert wunderbar.“
Kreativität als Chance
All das kann ihr aber nicht die Sorge vor der Zukunft nehmen. „Je länger die Krise dauert und sich auf die privaten Haushalte auswirkt, desto mehr fürchte ich, werden sich die Eltern den Musikunterricht mittel- oder langfristig nicht leisten können.“ Der kommunale Zuschuss, so hofft sie, werde trotzdem weiter fließen. Die Folgen der Krise vermag sie nicht zu überschauen. „Im Mai beginnt das neue Schuljahr; dann wird auf jeden Fall eine Lücke bei den Elterngebühren entstehen“, so Piater. Den Unterricht der neuen Schüler online zu starten, gehe nicht.
Die Kreativen werden sich durchsetzen, glaubt Eric Ridder, Leiter der Musikschule Ridder, die unter anderem in Ritterhude und Borgfeld vertreten ist. Zwar fehle in dieser Zeit der Austausch eins zu eins zwischen Schülern und Musiklehrern. Aber Ridder sieht auch Chancen in der Krise. „Wir wollen offensiv damit umgehen und aus der Not eine Tugend machen.“ Die Musikschule Ridder setzt für den Unterricht viele Honorarkräfte ein. „Wir haben deshalb verschiedene Modelle aufgestellt und besprochen“, sagt der Schulleiter. Jeder habe Ideen einbringen können.
Schule und Lehrer seien finanziell betroffen. Die Idee sei, durch kreative, moderne Ansätze den Unterricht aufrecht zu erhalten. Es ist auch der Versuch, möglichst viele Schüler bei der Stange zu halten. Die Zahl der Abmeldungen solle möglichst klein bleiben, hofft Ridder. Es sei aber verständlich, wenn die Menschen in Notzeiten nicht unbedingt das Erlernen eines Instrumentes an erster Stelle sehen. Auf der anderen Seite, bei den Musiklehrern, gehe es fast schon um Existenzen. Sie hätten unterschiedliche Kenntnisse und technische Möglichkeiten für alternativen Unterricht. „Jeder muss individuelle Lösungen finden“, hat Ridder erkannt. Es gebe auch einige Kollegen, die nicht mitmachen wollen oder können.
„Ich mache gerade ein Video für meine Blockflötenschüler. Das schicke ich ihnen dann zu“, schildert Ridder. Auch Onlineunterricht ist im Gespräch. Ein technisch versierter Mitarbeiter widme sich gerade dem Thema. Ridder kennt auch Onlinekurse anderer Anbieter, die sich schon seit einiger Zeit auf dem Markt etablieren. Ein Problem ist und bleibt das persönliche Feedback für die Schüler: Das könne eigentlich nur im persönlichen Einzel- oder Gruppenunterricht optimal sein. Eine Möglichkeit, die Ridder jetzt nutzt, sind Videos oder Tonaufnahmen, die Schüler je nach Möglichkeit aufnehmen und an den Lehrer weiterleiten. Die kann er dann beurteilen und den Schülern Hinweise geben. Eine Mutter habe gesagt, ihr Sohn habe noch nie so fleißig geübt, wie für das nächste Video.Für Eric Ridder ist aber auch klar, dass die harten Zeiten erst noch kommen.