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Landkreis Osterholz Die Pflege braucht Hilfe

Der Markt mit Pflegekräften ist förmlich leergefegt. Weil den Dienstleistern qualifizierte Mitarbeiter fehlen, nehmen sie zeitweilig keine neuen Pati­en­ten mehr auf.
04.06.2018, 20:43 Uhr
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Von Irene Niehaus und Gabriela Keller

Der Markt mit Pflegekräften ist förmlich leer gefegt. Pflegebedürftige in der Region müssen zwar noch nicht damit rechnen, dass ihre Verträge für ambulante Pflege gekündigt werden. Weil aber Pflegediensten qualifizierte Mitarbeiter fehlen, nehmen sie zeitweilig keine neuen Pati­en­ten auf.

Der akute Personalmangel in der ambulanten Pflege verhindert Wohlfahrtsverbänden zufolge eine ausreichende Versorgung pflegebedürftiger und kranker Menschen in Niedersachsen. Die Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege, in der große Pflegeanbieter wie Diakonie, Caritas und der Paritätische zusammengeschlossen sind, hat 400 ambulante Dienste in Niedersachsen für den Zeitraum von Februar bis April um Rückmeldung gebeten. Ein Viertel antwortete. Demnach sei in rund 1700 Fällen eine Anfrage von Pflegeverträgen abgelehnt worden. In 63 Fällen seien Pflegeverträge gekündigt worden.

Bis zu drei Anfragen müssen im Monat abgelehnt werden

„Wir haben noch keine Verträge gekündigt“, betont Irina Becker, Geschäftsführerin des Pflegecentrums Lilienthal. Aber wegen des Personalmangels müsse ihr Haus bis zu drei Anfragen im Monat ablehnen. Auch andere Pflegedienste berichten von einem gelegentlichen Aufnahmestopp. Wiebke Botterbrodt leitet den Pflegedienst Lilienthal in Schwanewede. „Wir mussten noch keine bestehenden Verträge kündigen. Es kam aber schon vor, dass wir Anfragen von neuen Kunden ablehnen mussten.“ Zurzeit gebe es keinen Aufnahmestopp. „Wir können am Standort Schwanewede nicht über Personalmangel klagen“, so Botterbrodt. Eine Vollzeitkraft dürfe aber nicht mehrere Wochen ausfallen. „Dann könnten wir keine neuen Patienten mehr aufnehmen.“

Der Diakonie-Sozialstation Schwanewede macht der Fachkräftemangel in der Pflege keine Sorgen. „Bei uns gibt es keinen Notstand, wir haben sogar neue Mitarbeiter gewinnen können“, sagt Yvonne Kietzmann von der Pflegeleitung. Die Sozialstation habe bislang weder neue Versorgungsanfragen ablehnen noch bestehende Verträge kündigen müssen. „Allerdings können wir unsere Pflege nicht immer zu den Wunschterminen der Pflegebedürftigen anbieten. Die meisten wollen zwischen 6.30 und 9 Uhr versorgt werden. Das können wir nicht in jedem Fall leisten.“ Da komme der Pfleger eben am späten Vormittag.

Bei der Diakonie-Sozialstation in Ritterhude ist der Personalmangel dagegen ein Problem. „Wir suchen Mitarbeiter, aber finden nur schwer examinierte Kräfte. Vieles läuft über Mundpropaganda“, sagt Pflegedienstleiterin Foolke Hagemann. „Bestehende Verträge mussten wir Gott sei Dank noch nicht kündigen.“ Die Personalnot ist nach ihren Worten aber spürbar. „Im Frühjahr gab es eine schlimme Phase, wo wir neue Patienten nicht aufnehmen konnten.“ Wegen der Grippewelle waren Mitarbeiter erkrankt. „Im Schnitt mussten wir zwei Anfragen pro Woche ablehnen, in einigen Wochen sogar drei.“ Im Moment habe sich die Situation entspannt. Hagemann sieht aber die nächsten dunklen Wolken aufziehen. „Zur Urlaubszeit im Sommer wird sich die Lage wieder zuspitzen.“

Personelle Engpässe lassen sich nach ihren Worten nur durch Überstunden der Mitarbeiter auffangen. „Es kommt auch vor, dass wir in einer Tour mal Patienten dazwischenschieben müssen. Die Mitarbeiter hetzen dann durch die Tour, die Patienten fühlen sich schlecht behandelt und bekommen auch nicht immer die Versorgung, die sie brauchen“, beschreibt Hagemann das Problem. Da könne es dann schon mal vorkommen, dass ein Pflegebedürftiger statt drei Mal nur ein Mal in der Woche geduscht werde. „Das ist nicht schön und eigentlich nicht gewollt, aber manchmal geht es einfach nicht anders.“

Die Kranken- und Pflegekassen machten es den Pflegediensten laut Hagemann zusätzlich schwer. „Bestimmte Tätigkeiten wie Kompressionsstrümpfe an- und ausziehen, die bislang Pflegehelfer ausführen durften, müssen jetzt examinierte Kräfte übernehmen.“

Die Helfer fühlten sich disqualifiziert und seien frustriert, die Fachkräfte stünden unter zusätzlichem Arbeits- und Zeitdruck. In einem Fall habe das dazu geführt, dass eine sterbenskranke Patientin nicht sofort aufgenommen werden konnte. „Unsere qualifizierten Kräfte standen für die Versorgung der Frau zunächst nicht zur Verfügung, weil sie ausgelastet waren mit Arbeiten, die Pflegehelfer hätten ausführen können.“

Ruf nach höheren Löhnen

„In der Vergangenheit ist nicht genug ausgebildet worden“, sieht Foolke Hagemann ein Versäumnis. Die Sozialstation Ritterhude bilde gerade eine Pflegehelferin zur Fachkraft weiter. „Wir wollen unsere Mitarbeiter behalten. Deshalb müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, sich zu qualifizieren.“

Die Wohlfahrtsverbände sehen die Politik in der Pflicht. Es gehe darum, dauerhaft Fach- und Hilfskräfte zu gewinnen, Pflege besser zu bezahlen und zu würdigen, auch wenn es um vermeintlich „unproduktive Zeit“ für Gespräche mit Patienten gehe. Der Ruf nach höheren Löhnen kommt auch aus den Pflegediensten. „Ein Single kann von einer Vollzeitstelle in der Pflege nicht leben. Viele müssen für ihren Lebensunterhalt noch einen Nebenjob annehmen. Da läuft etwas verkehrt“, sagt Wiebke Botterbrodt in Schwanewede.

„Wir müssen unseren Mitarbeitern entgegenkommen“, ist auch Foolke Hagemann überzeugt. Die Diakonie-Sozialstation in Ritterhude setzt Mitarbeiterinnen mit kleinen Kindern neuerdings in speziellen „Müttertouren“ ein. Die Touren sind laut Hagemann zeitlich so gestaltet, dass die Frauen Familie und Beruf vereinbaren könnten.

Nach der jüngsten Landesstatistik von 2015 werden in Niedersachsen etwa 80 000 Menschen von einem ambulanten Pflegedienst der freien Wohlfahrtspflege oder einem privaten Dienst versorgt.

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