Sandbostel. Am 22. Juni jährt sich der deutsche Überfall auf die Sowjetunion zum 76. Mal. Für die Stiftung Lager Sandbostel ist dieses Datum Anlass für eine Gedenkveranstaltung: Für Donnerstag, 22. Juni, 17 Uhr, ist eine Kranzniederlegung auf dem ehemaligen Lagerfriedhof geplant. An der heutigen Kriegsgräberstätte Sandbostel (Bevener Straße) soll an den Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion erinnert und der im Kriegsgefangenenlager Stalag X B gestorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen gedacht werden. Der Forscher Reinhard Otto aus Lemgo werde in einer Rede den 22. Juni 1941 und den Überfall auf die Sowjetunion historisch einordnen, teilt die Stiftung mit.
Am frühen Morgen des 22. Juni 1941 habe mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion ein neuartiger und erbarmungsloser Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg begonnen, heißt es von der Stiftung. Wehrmacht und deutsche Zivilbevölkerung seien mit rassistischer und politischer Propaganda auf den Kampf gegen die vermeintlichen „Untermenschen“ und den „jüdischen Bolschewismus“ vorbereitet worden.
Von den mehr als drei Millionen 1941 in Gefangenschaft geratenen sowjetischen Soldaten starben bis Frühjahr 1942 etwa zwei Drittel. Bis zum Kriegsende wurden von der Wehrmacht insgesamt etwa 5,7 Millionen sowjetische Soldaten gefangen genommen. 3,3 Millionen und damit 60 Prozent von ihnen starben in Kriegsgefangenschaft.
In der besetzten Sowjetunion seien die Kriegsgefangenen zunächst in großen Sammelstellen auf freiem Feld untergebracht worden. Politische Offiziere und jüdische Gefangene seien selektiert und von der Wehrmacht ermordet worden. Auch in den speziellen „Russenlagern“ im Reichsgebiet gab es zunächst keine Unterkünfte, kaum Verpflegung und medizinische Versorgung.
Bei Minusgraden unter freiem Himmel
Das Stalag X B Sandbostel war ursprünglich nicht als „Russenlager“ vorgesehen. Erst nachdem aufgrund der großen Zahl von Gefangenen und der sehr hohen Erkrankungsrate die organisatorischen Probleme im Stalag X D (310) Wietzendorf nicht mehr bewältigt werden konnten, verlegte die Wehrmacht sowjetische Kriegsgefangene auch nach Sandbostel. Dort wurden sie in eilig geräumten Baracken zusammengepfercht.
Bis Anfang Dezember 1941 erreichten etwa 20 000 sowjetische Kriegsgefangene das Stalag X B. Insgesamt durchliefen etwa 55 000 das Kriegsgefangenenlager Sandbostel. Registrierung, Desinfektion und Impfung der Gefangenen dauerten oft mehrere Tage, an denen sie bei Minusgraden vor der „Entlausungsanlage“ unter freiem Himmel lagern mussten. Die Unterkünfte der sowjetischen Kriegsgefangenen wurden streng von den anderen Lagerteilen abgeschirmt. Hilfe durch Kriegsgefangene anderer Nationen war daher kaum möglich.
Den Winter 1941/42 mussten die gefangenen Rotarmisten in völlig überfüllten Baracken ohne genügend Heizmaterial verbringen. Unzureichende Ernährung, fehlende Waschgelegenheiten und eine mangelhafte medizinische Versorgung verschlechterten ihre Situation zusätzlich. Bis März 1942 starben etwa 3000 sowjetische Gefangene in Sandbostel. „Ihr Tod war dabei keine bedauerliche, aber unabwendbare Kriegsfolge, sondern zwingende und intendierte Konsequenz ihrer Behandlung in den Lagern“, erklärt Andreas Ehresmann von der Stiftung. Die Verstorbenen wurden dann anonym und pietätlos in Massengräbern auf dem Lagerfriedhof, der heutigen Kriegsgräberstätte Sandbostel, verscharrt. Bis heute sei die Zahl der in Sandbostel ermordeten oder an Krankheiten und Mangelversorgung gestorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen nicht bekannt. Knapp 4700 sind namentlich bekannt. Eine Gesamtzahl lasse sich seriös nicht schätzen, es dürften aber deutlich mehr sein, so Ehresmann. Die systematische Missachtung des Kriegsvölkerrechts durch die Wehrmacht und der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen sei erst spät als eines der größten Kriegsverbrechen in der Geschichte anerkannt worden.