Grasberg. Das ist ein wahrlich schön zurechtgemachter Tisch. An diesem Morgen kommt das Geschirr mit Zwiebelmuster zum Einsatz. Die Servietten stecken in geschmackvollen Ringen. Dazu gibt es die passenden Tellerchen für die Auflage, Salate und Schinken. Selbst der Honig und die beiden Sorten Marmelade werden in wunderschönen Behältnissen serviert.
Edith Hünecken hat sich alle Mühe gegeben. „Sie sind mein erster Besuch seit Wochen“, sagt die Vorsitzende des Kreissportbunds (KSB) Osterholz sichtlich gut gelaunt. Da soll es dem Frühstücksgast an nichts fehlen. „Möchten Sie ein Ei?“ - Klar, gerne. „Wie möchten Sie es?“ - Hauptsache, das Eiweiß ist nicht glibberig. Kaum ist der Wunsch ausgesprochen, kommt Edith Hünecken dem nach. Und dann ist da noch die Frage nach dem Kaffee: „Ist er stark genug?“ Ja, richtig schön ist es, so betüddelt zu werden.
Dazu kommt Edith Hünecken nicht häufig, denn ihre Funktion als Kreissportbund-Vorsitzende nimmt viel Zeit in Anspruch. „Das ist hier zurzeit so etwas wie ein zweites Büro“, wirft sie wie nebenbei ein und sieht nach dem Eierkocher. Dass Wohnen und Arbeiten so zusammenfallen, hat – natürlich – mit der Corona-Pandemie und dem Lockdown der vergangenen Monate zu tun. Wo kaum Sport stattfinden kann, da sind – ebenso logisch – auch die Geschäftsstellen der Dachorganisationen und Fachverbände geschlossen.
Das Nachdenken über den organisierten Sport ist Hüneckens Ding. Die agile 73-Jährige kennt dieses Biotop schließlich aus dem Effeff. Seit ihrer Kindheit weiß sie, wie es da so zugeht. „Mit fünf oder sechs Jahren ging ich in den Sportverein“, erinnert sie sich lachend. Hüneckens Heimatverein ist bis heute der TSV Dannenberg in Grasberg. In den 1970er-Jahren erwarb sie dann ihre Übungsleiterlizenz.
In den folgenden Jahren engagierte sich Edith Hünecken auch auf Landesebene – vor allem im Niedersächsischen Turnerbund (NTB) und beim Landessportbund (LSB). Ihr Glück damals: In Niedersachsen gab es im Jahr 1989 einen Frauenförderplan. Der sollte es dem vermeintlich schwachen Geschlecht ermöglichen, sich zu qualifizieren und es dazu motivieren, Führungsaufgaben zu übernehmen. Was nämlich bis heute nicht geschafft ist, das war damals noch viel schlimmer. Während Edith Hünecken mit einem Auge auf die Kaffeetassen ihrer Gäste schaut, erzählt sie vom Geschlechterverhältnis im Präsidium des Turnerbunds: Obwohl der Verband zu 70 Prozent weibliche Mitglieder habe, bestehe das Führungsgremium zu 80 Prozent aus Männern.
Eine Quote in Satzung und Gesetzen festzulegen, ist gleichwohl nicht die Linie der KSB-Vorsitzenden: „Das war für mich sehr wichtig: Ich halte nichts von Quote, ich halte viel von Qualifizierung.“ Dies setze aber auch voraus, dass Frauen selbstbewusst genug sind, um den Männern im Posten-Wettstreit Paroli zu bieten. Edith Hünecken ist so eine Frau. Schmunzelnd erinnert sie sich an ihre Zeit beim NTB: „Ich bin forsch.“ Soll heißen: Sie macht sich für eine Position stark und sorgt mit Macht dafür, sie umzusetzen.
Personalsorgen in den Clubs
Realität ist für Edith Hünecken aber auch, dass sich der organisierte Sport momentan „in einer kritischen Situation“ befindet. Da sei zum einen die immer größer werdende Anzahl von nicht besetzten Vorstandsposten in den Vereinen. Und zum anderen gehört für Edith Hünecken auch die Konkurrenz durch Fitnessstudios und Volkshochschulen dazu. Beide buhlten um das knappe Gut der Übungsleiterinnen und Übungsleiter.
Für die KSB-Chefin ist klar, dass das klassische Modell der Übungsleiterinnen, Trainer und Co., die für eine minimale Aufwandsentschädigung arbeiten, ein Modell ist, dessen Tage gezählt sind. „Die Vereine werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie hauptberufliche Übungsleiter einstellen“, sagt Edith Hünecken. Und: „Ich denke, das wird eine finanzielle Herausforderung für einige Vereine.“ Ihre Feststellung klingt für einen kurzen Moment nachdenklich. Doch gleich darauf klingt sie kämpferisch, wenn sie sagt: „Die Professionalisierung des Sports wird massiv bis 2030 geschehen müssen.“
Diesen Appell richten Verantwortliche schon seit mehr als zehn Jahren an die Vereine. Doch nicht überall kommt er an. Einer der Gründe dafür, dass die Professionalisierung hier und da nicht vorangeht, sei das Festhalten an Traditionen. Während sie sich eine Tasse Kaffee einschenkt, nennt Edith Hünecken ein Beispiel aus der Nachbargemeinde Grasbergs: den mehrfach gescheiterten Zusammenschluss des TV Lilienthal und des TV Falkenberg. Mediale Aufmerksamkeit bekam zuletzt auch die missglückte Fusion mehrerer Vereine im Bremer Osten.
Es gibt aber auch zahlreiche positive Beispiele in Sachen Vereinsentwicklung. Wenn sie darüber spricht, hellt sich ihre Miene auf. Kein Wunder, ihr eigener Verein, der TSV Dannenberg, zeige, wie es funktioniere. Seit einigen Jahren seien dort viele junge Leute aktiv. „Die haben richtig was vor“, freut sich das Sport-Urgestein. „Es soll ein neues Umkleidehaus entstehen. Neue Fußballplätze sind bereits fertiggestellt worden.“ Edith Hünecken macht eine Pause und lässt die Aussage auf ihren Besuch wirken – Zeit, um mal kräftig ins Brötchen zu beißen.