Lilienthal. Sie verzichten seit mehr als einem Jahr auf das, was das Jungsein ausmacht: Weichen stellen, Grenzen testen, Regeln brechen, feiern gehen. Sie vermeiden freundschaftliche Umarmungen und werden daran gehindert, andere Leute kennenzulernen, sich zu verlieben. "Meinen 18. Geburtstag habe ich mit meinen drei besten Freundinnen oben in meinem Zimmer gefeiert – und auch das war eigentlich schon verboten", sagt Luisa Schaible aus dem 12. Jahrgang am Gymnasium Lilienthal. Die anderen Schülerinnen und Schüler des Politik-Kurses von Lehrer Knut Egbers nicken zustimmend. 16 Leute hinter dichten Masken im zugigen Klassenzimmer. Wie geht es ihnen in der Pandemie?
Am Wochenende nur Pizza, keine Party. Der Bewegungsradius sei eher winzig statt weit, berichtet Paul Meister. Er vermisse das Reisen, hatte sich zur Skifahrt mit der Schule angemeldet. Klar, das seien Luxussorgen. Er wolle sich nicht beschweren. Aber es fehle etwas. „Uns ist sehr viel verloren gegangen, auch als Gemeinschaft." Das vergangene halbe Jahr mussten er und seine Altersgenossen überwiegend allein verbringen.
Zurück ins normale Leben
"Wenn man 18 wird, denkt man über eine große Feier nach, darüber, eine gute Zeit zu haben, mal endlich woanders hinfahren zu können, mit dem eigenen Auto", berichtet Bosse Harder. "Durch die ganzen Einschränkungen und Regelungen wurde das Ganze dann so runtergeschraubt – das hat uns einfach viel beschäftigt." Anfangs sei ja nicht klar gewesen, was für eine lange Zeit das werden würde, sagen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. "Je länger es gedauert hat, desto mehr hab ich gedacht, wenn wir jetzt alle an einem Strang ziehen, umso schneller kann es vorbeigehen. Und wir können in unser normales Leben zurück.“ Der 18-Jährige arbeitet in einem Getränke-Markt und fühlt sich verantwortlich für seine Familie. "Man will einfach als Kollektiv diese Zeit so schnell wie möglich überwinden", sagt er.
Lukas Schade nickt. "Ich glaub', dass das was mit Respekt zu tun hat, und dass man unsere Lust zu feiern und sich mit vielen Freunden zu treffen nicht mit der Gesundheit von vielen Menschen aufwiegen kann. Wir können uns da viel einfacher zurücknehmen und anderen einen Gefallen tun." Er habe die Bereitschaft, sich zurückzunehmen, um anderen zu helfen.
"Wir hatten ja auch gar keine andere Wahl, als mitzumachen", berichtet Kaya Hermann. "Klar, man kann sagen, man verstößt gegen alle Regeln, aber was bringt einem das?" Es sei ein anderes Gefühl sich mit Freunden zu treffen, "wenn man weiß, das ist in Ordnung. Heimlich Geburtstag zu feiern ist nicht dasselbe, wie an einem coolen Ort mit vielen Leuten zu feiern und laut sein zu können".

Charlotte Meyer und Viktor Schmidt berichten über Online-Unterricht, fehlende Sportmöglichkeiten und inneren Rückzug während der Pandemie.
Kaya Hermann reitet. Der Sport habe sie während der Zeit aufgefangen, sagt die Zwölftklässlerin. "Aber ich habe bei Freunden bemerkt, die keinen Sport machen konnten, dass denen was fehlt.“ Diese Freunde hätten sich verändert.
Charlotte Meyer spielt Floorball in der Jugendauswahl. "Anfangs haben wir ja noch gespielt, mit Abstand und Hände desinfizieren. Aber das war vom Gefühl her nicht mehr das Gleiche." In den Herbstferien sollte ein Auswahltraining in Berlin stattfinden. "Aber das wurde kurzfristig abgesagt." Für Charlotte ist es das letzte Jahr, um in der Auswahlmannschaft mittrainieren zu können.
Erfahrungen fehlen
"Es wäre ja auch gut möglich, das zu machen", mischt sich Lehrer Knut Egbers ein. "Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass einfach mit dem Mittel einer allgemeinen Kontaktreduzierung gearbeitet wurde. Dadurch sind für die Jugendlichen ganz wichtige Erfahrungen weggefallen“, sagt der Lehrer. „Anstatt spezifisch zu gucken, was denn möglich ist." Egbers kritisiert die Politik dafür, dass über "die Rechte und Bedürfnisse" der jungen Leute vielfach hinweggegangen wurde.
Auch Anna Ludwig kritisiert die Politik. Sie hält die meisten Regeln, die aufgestellt wurden, zwar für nachvollziehbar, sieht aber Mängel im Detail: „Ich darf nicht mit drei Leuten im Auto sitzen, aber 60 Leute in einem Bus, das ist völlig in Ordnung – das macht keinen Sinn“, sagt die Schülerin. Da entstehe eine Trotzhaltung bei manchen Menschen, weil Regeln nicht schlüssig seien. Auch die Lockerungen für Geimpfte empfindet die Schülerin als ungerecht. „An mir fährt eine Gruppe von 20 Rentnern mit dem Fahrrad vorbei und ich sitze immer noch im Lockdown, das finde ich schon sehr schwierig."
Nante Habeck will keinen Generationenkonflikt eröffnen. Er findet, die Politik müsse „die Einschränkungen für Jugendliche jetzt einfach zurücknehmen, denn es ging ja darum, die Risikogruppen zu schützen, und die sind jetzt geimpft.“
Auch Maxim Becker hat sich ein Jahr lang solidarisch verhalten. "Aber irgendwann ist mir die Geduld geplatzt, weil man sich nur noch mit einer Person treffen konnte. Wenn man sich mal mit mehreren treffen wollte, hatte man ja schon Angst vor der Polizei.“ Das sollte nicht der Fall sein, „wenn man sich einfach nur mal draußen bewegt".
Luisa Schaible kritisiert den Online-Unterricht. "Es gab Probleme mit I-Serv, mit Video-Konferenzen. Mal mit dem Internet des Lehrers, mal mit unserem Internet. Man konnte sich dann nicht beteiligen oder wenigstens folgen. Dadurch ist viel Wissen verloren gegangen." Das habe Stress ausgelöst. Es stünden jetzt nur noch ein paar Klausuren an, im nächsten Jahr sei dann das Abitur dran. Sie fühle sich nicht so gut vorbereitet, sagt sie.

Nante Habeck und Bosse Harder aus Worpswede unterstreichen, dass ihnen Solidarität mit Risikogruppen wichtiger war als Partyfeiern - doch nun wollen sie ihre Freiheiten zurück.
Viktor Schmidt stimmt dem zu. "Ich habe durch Corona meine Lebensstruktur verloren und mir dann eine eigene gemacht. Ich lese gerade Augustus. Das ist ein historischer Briefroman über den ersten Kaiser des römischen Reiches." Der Schüler erzählt, dass er sich viel mit Kunst beschäftigt habe, mit Musik, aber eben nicht mit Schule. Dadurch habe er eine wichtige Hausarbeit verpatzt. "Die zählt fürs Abi."
Es sei schwierig, nichts planen zu können – auch nicht für die Zeit nach dem Abi, sagen die Jugendlichen. Viele von ihnen wären jetzt auch gern mal wieder dran - mit dem Impfen und den Freiheiten. Die meisten haben die Hoffnung, dass die erste große Krise in ihrem Leben bald vorbei ist. Lukas Schade freut sich auf ein Konzert des Rappers LGoony im Viertel, Kaya Hermann würde gern aufs Airbeat-Festival gehen, „die Atmosphäre genießen“, und Maxims Traum war es schon lange, auf ein Techno-Festival in Belgien zu fahren. „Der Ruf nach Freiheit in uns wird lauter!", sagen sie.