Lilienthal. Telefonbetrüger sind sehr erfinderisch, um an die Ersparnisse, Bargeld und an die Wertsachen ihrer Opfer zu kommen. Mal ist es ein angeblicher Enkel in Not, mal sind es falsche Polizisten oder falsche Ärzte, mal ein vermeintlicher Microsoft-Mitarbeiter. Nach Einschätzung von Mandy Brünjes, der Leiterin des Weissen Rings Osterholz, dürften weit mehr Menschen Trickbetrügern zum Opfer fallen als offizielle Statistiken zeigen. Das gelte auch für Internetnutzer, die Opfer von Kriminalität im Netz wurden. "Die Dunkelziffer ist hoch", sagt Mandy Brünjes. Betroffene schweigen nach Einschätzung der Lilienthalerin aus Scham, reingefallen zu sein.
"Tatsächlich ist die Scham groß, vor allem bei den Älteren", weiß die 45-Jährige. Trickbetrüger hätten es bei Senioren besonders leicht, da sie zu einer Generation gehörten, die eher hilfsbereit sei und auch ihren Enkelkindern helfe. Mandy Brünjes macht klar, dass jedoch fast jeder auf die Betrüger hereinfallen könne. „Das sind Profis, die sind darauf geschult, andere am Telefon um den Finger zu wickeln." Betrüger nutzten das Vertrauen und die Gutgläubigkeit anderer Menschen aus und gäben sich als Respektsperson aus. Am Telefon würden die Opfer stundenlang unter Druck gesetzt. "Sie können gar nicht mehr klar denken." Die älteren Leute würden so geschickt eingelullt, dass selbst gebildete Personen den Betrug erst nicht erkennen. Erschreckend sei der Grad an Professionalität der Täter, sagt Mandy Brünjes. "Die Drahtzieher, die Anrufer, sitzen im Ausland."
Betrogene seien bestürzt, dass es so schlechte Menschen gebe und schwiegen aus Hilflosigkeit, erzählt Mandy Brünjes. Sie könnten zudem starke Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern und Enkeln bekommen, so Brünjes. Sie hätten vielleicht versprochen, ihnen eine ordentliche Summe zu vererben, "und dann ist das ganze Erbe auf einmal weg", sagt Brünjes. Nicht selten gehe es um alles, was man hatte, um Summen zwischen 20.000 Euro und einem sechsstelligen Betrag. Neben den oftmals hohen finanziellen Verlusten wiegen für die Opfer vor allem die psychischen Beeinträchtigungen schwer. Sie äußern sich auch in Vertrauensverlust und Isolation, wenn keine Angehörigen sie auffangen, glaubt Brünjes.
Warum Betrugsdelikte mit einer hohen Scham belegt sind, dazu hat ihre Opferorganisation eine weitere Vermutung: Die meisten Betrugsmaschen würden in der Presse und anderen Medien bekannt gemacht, und jeder meine, das könne ihm nicht passieren. Und dann sei es doch passiert. Jetzt der Tochter oder dem Sohn zu beichten, dass man einem Betrüger auf den Leim gegangen ist, falle schwer. Die Opfer hätten Angst vor Vorwürfen, und am meisten ärgerten sie sich über sich selbst. Vor allem Betagte befürchteten, so der Weisse Ring, dass Opfern das Recht auf ein eigenständiges Leben abgesprochen werde nach dem Motto: Jetzt könne Oma nicht mal mehr allein auf ihr Geld aufpassen.
Die Kriminalitätsstatistik im Kreis Osterholz für das letzte Jahr zeigte, dass dort die Zahl der Senioren unter den Kriminalitätsopfern weiterhin hoch ist, auch wenn insgesamt weniger Fälle als im Vorjahr bekannt wurden. Betrugsmaschen wie Enkeltrick oder falscher Polizist funktionieren allerdings auch bei Älteren in den meisten Fällen nicht, weiß Thomas Görgen. Er ist Professor für Kriminologie und verweist auf eine Untersuchung aus Nordrhein-Westfalen: Von rund 2000 Enkeltricks, von denen die Polizei erfahren hat, waren etwas mehr als 100 erfolgreich. Viele potenzielle Opfer legen vermutlich einfach auf und melden den Vorfall nicht der Polizei.
Gründe dafür, dass die Opfer meist Ältere sind, gibt es mehrere. Zum Beispiel erwarten die Täter dort günstige Tatgelegenheiten, wie Görgen es nennt. Menschen, die über Vermögen verfügten, die am besten alleine lebten, sich vielleicht nicht so gut zur Wehr setzen könnten wie Jüngere und möglicherweise auch leichter zu täuschen seien. Dazu nennt die Kriminalprävention weitere Faktoren – Vereinsamung, Zerstreutheit oder sogar Demenz, eine Seh- oder Hörschwäche. Die sorgt dann zum Beispiel dafür, dass man Stimmen am Telefon schneller für die Stimme eines Verwandten hält. Gerade die Menschen im hohen Alter – etwa jenseits der 80 – stehen nach Angaben von Görgen im Fokus der Trickbetrüger und -diebe, die nicht unbedingt den gesunden 60-Jährigen im Blick hätten.
Das deckt sich mit den Erfahrungen von Mandy Brünjes. Zwar würden sich überhaupt nur wenige Betroffene an den Weissen Ring wenden, aber die, die es taten, waren zwischen 70 und 80 Jahre alt. Deshalb sollten Angehörige und Nachbarn von älteren Menschen mit den Senioren über diese Maschen der Straftäter sprechen und Verhaltenshinweise geben, rät Mandy Brünjes. Opfer, die nicht mit Verwandten reden wollen, könnten sich vertrauensvoll an den Weissen Ring wenden, deren Mitarbeiter wertfrei zuhörten.