Die Türen von Sporthallen und Fitnessstudios sind verschlossen. Dahinter aber regt sich Aufbruchsstimmung: Es werden Youtube-Filmchen produziert, Workout-Pläne auf Facebook eingestellt, und die Kunden bekommen Passwörter für Yogastunden zu Hause. Kreativ und virtuell gleichen einige Anbieter so aus, was sie ihren Kunden zurzeit nicht bieten dürfen: gemeinsamen Sport. Vor allem jüngere Kunden, ist zu hören, lassen sich auf dieses Experiment ein.
Die Krise hat die Fitnessstudios fest im Griff. Er fühle sich schlecht, sagt der Geschäftsführer des Sport- und Gesundheitsstudios Lilienthal, Heiko Dörfer. „Wir können keine Leistungen erbringen, sind aber gezwungen, den Kunden weiter Geld abzuziehen, weil wir sonst den nächsten Monat nicht überstehen können“, sagt er. Bis voraussichtlich 18. April hat das Studio von Inhaberin Petra Niegengerdt geschlossen. Zu schaffen macht Dörfer vor allem, dass ein Ende der Corona-Krise nicht in Sicht ist. „Das Ausmaß wird für uns erst sichtbar, wenn wir das nächste Mal die Monatsbeiträge abbuchen und sehen, wie viele Kunden ihr Geld zurückholen wollen – und wenn wir irgendwann wieder aufmachen“, so der Fitnessfachwirt. „Ich bin mit Hochdruck dabei, Hilfe zu organisieren, aber bisher war noch kein Amt fähig, mir einen Antrag auf finanzielle Unterstützung zu geben“, klagt er. Die zehn Festangestellten sind frei gestellt und erhalten sechs Wochen Lohnfortzahlung, danach wechselten sie in die Kurzarbeit. „Unsere sieben Freiberufler können wir derzeit nicht beschäftigen“, bedauert Heiko Dörfer. Er selbst nutze die Zeit, um Wände zu streichen.
Video-Dreh mit dem Handy
Parallel dazu versuchen er und Ehefrau Daniela Dörfer, den Kontakt zu den Kunden aufrecht zu erhalten. „Wir laden Videos hoch, damit die Kunden sich darüber mit ihren Trainern austauschen und sehen, dass wir uns Mühe geben.“ Kleine Übungsprogramme gibt es täglich in den sozialen Medien: für eine halbe Stunde Bauch-Beine-Po zum Beispiel. Die Videos drehen sie mit ihren Handys. Absicht, sagt die Diplom-Fitnessökonomin Daniela Dörfer: „Wir wollen uns nicht verstellen, die Kunden sollen uns in diesen schweren Stunden als Menschen sehen.“ Als Nächstes planen die Dörfers tägliche Online-Sprechstunden, in denen die Trainer Fragen zu Ernährung und Übungen beantworten.
Vor allem jüngere Kunden nutzen diese Angebote: „Ich wurde auf Instagram von einem Mädchen mit Bandscheibenvorfall gefragt, welche Übungen sie jetzt zu Hause machen kann“, sagt Heiko Dörfer. Daniela Dörfer berichtet von verzweifelten Profi-Sportlern, die sich gemeldet haben, weil sie sich mit der Zwangspause schwertun. Dabei könnte diese Einigen guttun, glaubt Heiko Dörfer: „Viele Jugendliche sind leicht übertrainiert, sie kurieren eine Verletzung nach der nächsten aus.“ Betroffene könnten es jetzt ruhiger angehen lassen, um nach der Pause motiviert und gestärkt wieder ins Training einzusteigen.
Ruhiger ist es bei den Sportvereinen: „Die Gemeinde hat die Turnhallen und Gemeinschaftshäuser vor zwei Wochen abgeschlossen, wir haben gar keine Möglichkeit, Kurse anzubieten“, sagt die Sprecherin des TSV Dannenberg, Inge Hahnenfeld. Michael Rothgerber, Vorsitzender von 2500 Mitgliedern beim TV Lilienthal, sagt: „Wir würden nicht auf die Idee kommen, uns über den Erlass des Landes hinwegzusetzen.“ Denn das, so Rothgerber, könnte den Verein bis zu 1000 Euro kosten. In der Leichtathletik habe sich schon vor der Corona-Krise eingebürgert, dass die Übungsleiter, um ihre Sportler fit zu halten, wöchentlich Trainingspläne in die sozialen Netzwerke einstellten.
Seit der coronabedingten Schulschließung fordere Abteilungsleiterin Sandra Traub die Jüngeren zudem zu Bewegungs-Challenges heraus. Rothgerber, der als Physiotherapeut arbeitet, sagt: „Mich fragen immer öfter Vereine und Spieler, wie sie sich zu Hause fit halten können. Ich stelle ihnen dann, abhängig von ihren Bedürfnissen, Programme zusammen.“ Laut Rothgerber profitieren davon Fußballspieler der 1. Herren des SC Borgfeld sowie des SV Lilienthal-Falkenberg. Rothgerber: „Ich hoffe, dass wir die Jungs so über die Zeit kriegen.“
Der TV Lilienthal, glaubt er, werde diese Krise meistern. Der Verein besitze ein kleines finanzielles Polster, mit dem er Ausfälle vorerst ausgleichen könne. Rothgerber baut darauf, dass sich die Mitglieder solidarisch verhalten. „Wir haben über 80 Übungsleiter, die regelmäßig ihre Aufwandsentschädigung haben wollen.“ Bisher habe es noch keine negativen Rückmeldungen und Forderungen gegeben. Um die Belange des Vereins weiter zuverlässig zu klären, bringe der Vorstand regelmäßig Entscheidungsträger per Videokonferenz zusammen. Auch wenn die Mitgliederversammlung wegen des Virus‘ abgesagt wurde, bleibe der Verein handlungsfähig. Zuversicht herrscht auch beim TSV Dannenberg: „Unsere Mitglieder werden nicht austreten, weil wir gerade keine Kurse anbieten“, ist Inge Hahnenfeld sicher.
Optimismus auch bei Yoga-Lehrerin Almut Rademacher. Im September 2019 hat sie den Yogagarten Bremen in Lilienthal eröffnet. Der Mietvertrag für das Studio mit einer Fläche von 200 Quadratmetern ist für drei Jahre geschlossen. Acht Honorarkräfte unterstützen Almut Rademacher. Zwei Drittel von ihnen haben jetzt keine Einnahmen. „Das ist für alle hart.“ Um ihre Kunden zu schützen, hat die 44-Jährige ihre Angebote schon vor der behördlichen Anordnung auf ein neues Fundament gestellt. „Im Yoga-Unterricht korrigiere ich die Haltung, ich bringe die Teilnehmer in die richtige Position und fasse sie dabei an“, begründet Rademacher. Zu ihren Kundinnen gehören Menschen, die an Asthma und Krebs leiden, und damit zur Risikogruppe zählten, sowie ältere Menschen. Täglich passierten bis zu 60 Leute ihr Studio. „Ich hatte trotz Desinfektion kein gutes Gefühl mehr“, sagt sie. Sehr schnell habe sie beschlossen, ihre Teilnehmer per Internet zu Hause zu unterrichten. „Ich biete Live-Workouts für angemeldete Teilnehmer an.“ Die Yoga-Lehrerin rollt dafür ihre Matte häufig zu Hause aus. Im Wohnzimmer ersetze mitunter ein dickes Buch den Yoga-Klotz oder ein Bademantel-Gürtel den Yoga-Gurt. Viele Nutzer seien glücklich über diese Angebote – „obwohl gerade Ältere Berührungsängste haben“. Für sie versucht Rademacher, Angebote zu verschieben, damit sie keine Beiträge zurückbezahlen muss. „Drei Monate könnte ich so finanziell durchstehen.“
Diese Krise könnte tatsächlich eine gute Gelegenheit sein, „sich endlich mal mit den virtuellen Möglichkeiten auseinanderzusetzen“, wie Daniela Dörfer sagt. Oder aber, neue Routinen zu entwickeln und sich auch zu Hause zu bewegen.
Der Gymnastikraum ist geschlossen, die Herzsportgruppe fällt auf unbestimmte Zeit aus. Damit die Teilnehmer Gesundheitskurse nach Ende der gesetzlich verfügten Kontaktbeschränkung problemlos weiter besuchen können, hat der Behindertensportverband Vereinbarungen mit den Krankenkassen getroffen. Laut Heidi Murken, die in Worpswede das Studio Fit mit Fun betreibt und beim TV Lilienthal Gesundheitskurse anbietet, verlängern die Kassen die Gültigkeit der Kostenübernahme unbürokratisch bis in die Zeit nach der Krise. Bislang galt: Wer sechs Wochen nicht am Gesundheitskursus teilgenommen hat, musste sich erneut mit dem behandelnden Arzt und seiner Krankenkasse auseinandersetzen, um die restlichen Kursusstunden bezahlt zu bekommen. „Die Teilnehmer sollten jetzt bei ihrer Krankenkasse Bescheid geben und den Anbieter des Gesundheitskurses informieren“, rät Murken.
Um sich in Zeiten der Kontaktsperre fit zu halten, rät der Borgfelder Gesundheitstrainer und Ernährungsberater Sebastian Peinemann, mehr denn je auf die Ernährung zu achten. „Die meisten Leute nehmen zu viel Energie zu sich.“ Die entschleunigte Zeit sei eine gute Möglichkeit, gemeinsam mit einem Profi einen individuellen Ernährungsplan zu erarbeiten und ein Gefühl für gesunde Lebensmittel zu entwickeln, was auch beim Abnehmen helfe. Informationen dazu bieten unter anderem die Krankenkassen. Diplom-Fitnessökonomin Daniela Dörfer sagt: „Das Wichtigste ist, vor lauter Frust nicht ins Naschen zu verfallen.“
In Sachen Bewegung schlägt Peinemann vor, es ruhig angehen zu lassen. „Es geht darum, täglich eine Stunde den Fokus auf sich selbst zu lenken“, sagt der Fitnessprofi, „Abstand zu finden von Belastungen, die die Corona-Krise mit sich bringt.“ Dabei könne Sport helfen. „Wichtig ist, den Körper zu Beginn nicht zu überfordern.“ Zwei- bis dreimal die Woche Sport fest in den Alltag zwischen Home-Office und Kinderbetreuung zu integrieren, reiche aus. Empfehlenswert seien Grundübungen wie Ausfallschritte, Liegestütze und Strecksprünge. Tipps für ein Ganzkörpertraining zu Hause seien auf Youtube und Instagram zu finden.
Physiotherapeut Michael Rothgerber rät: „Nehmen Sie sich ein- bis zweimal die Woche Zeit, um Übungen aus den Sportkursen zu wiederholen.“ Das sollten Übungen sein, bei denen man vom Übungsleiter nicht häufiger korrigiert worden ist. Von Heiko Dörfer kommt der Tipp, sich bei schönem Wetter draußen zu bewegen, um depressive Verstimmungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Yogalehrerin Almut Rademacher: „Suchen Sie sich etwas, das sie schon lange mal machen wollten oder was sie ausprobieren wollen und fangen Sie damit an. Dies ist eine gute Zeit, um Gewohnheiten zu verändern.“ Kindern empfiehlt Rademacher die tägliche Sportstunde des Basketball-Bundesligisten Alba Berlin auf dessen Youtube-Kanal.
Auch die Teilnehmer von Gesundheitskursen könnten zu Hause etwas für sich tun, sagt der Vorsitzende des TSV Dannenberg, Dieter Lange: „Jeder weiß, welche Übungen er zu Hause machen kann.“ Darüber hinaus funktionierten Rad fahren und spazieren gehen immer gut. „Mein Bruder hat seinen Handrasenmäher hervorgeholt, und ich hacke wieder Holz“, zeigt Lange andere Möglichkeiten der Bewegung auf.
Expertin Heidi Murken empfiehlt auch Menschen, die Rückenprobleme haben oder an Schulter- und Nackenschmerzen leiden, sich weiter zu bewegen. „Anders ist das bei Patienten, die ein Herzleiden haben oder bei denen die Lungenkrankheit COPD diagnostiziert worden ist.“ Für diese stehe im Vordergrund, zu Hause zu bleiben und sich Unterstützung zu organisieren. „Wer von ihnen möchte, übt sich in der aufmerksamen Wahrnehmung des eigenen Atems oder der Bewegung, wenn er oder sie durchs Haus geht.“ Herz-Lungen-Patienten könnten mit dem sogenannten Brainwalk-Verfahren ihren Geist zur Ruhe bringen und das richtige Ein- und Ausatmen üben.
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