Landkreis Osterholz. Halbzeit bei der Energiewende: Vor elf Jahren rief der Landkreis Osterholz das Ziel aus, die Versorgung des Kreisgebiets bis zum Jahr 2030 vollständig auf regenerative Energiequellen umzustellen – vor allem auf Windkraft sowie Biogas und Fotovoltaik. Der Gesamtverbrauch, so die selbstgestellte Aufgabe, müsse durch energetische Sanierungen und effizientere Neubauten gesenkt, der Anteil an lokal erzeugter Energie auf 100 Prozent erhöht werden. Heute liegt die Eigenversorgungsquote bei mehr als 60 Prozent, während der kreisweite Jahresverbrauch an elektrischer Energie von 2010 bis 2017 um 6,3 Prozent auf gut 360 Millionen Kilowattstunden zurückging.
Fast 150 der nicht ganz 230 Millionen Kilowattstunden, die aus im Landkreis erzeugten erneuerbaren Energien stammen, entfallen laut Verwaltungsbericht auf Windkraftanlagen; fast 50 Millionen Kilowattstunden sind dem Biogas zuzurechnen und rund 30 Millionen Kilowattstunden dem Solarstrom. Diese und weitere Zahlen gehen aus dem Energiewendebericht 2018 hervor, der sich auf Zahlen der EWE und der Osterholzer Stadtwerke stützt. Der Leiter des Amtes für Kreisentwicklung, Marco Prietz, hat kürzlich im Fachausschuss die Einzelheiten erläutert.
Mehr Lebensqualität und ein besserer Klimaschutz, eine regionale Wertschöpfung vor Ort und eine größere Unabhängigkeit gelten demnach bis heute als die zentralen energiepolitischen Argumente. Mit ihnen richte man sich an Bürger und Betriebe, so Prietz. Als zentraler Ansprechpartner im Kreishaus II kümmere sich neuerdings Jan Hinken darum. Er konnte im vergangenen Jahr 361 Beratungsgutscheine an Hauseigentümer ausgegeben, die damit einen zertifizierten Energieberater für einen gründlichen Check von Gebäude und Haustechnik beauftragen konnten.
950 Klicks auf das Kataster
Eine weitere Stellschraube sei das Solardachkataster, das monatlich etwa 950-mal im Internet angeklickt werde. Die Datenbank verzeichnet sämtliche Adressen und Gebäude im Landkreis hinsichtlich ihrer Eignung für Fotovoltaik-Anlagen. Gerade auf dem Privatsektor für den Eigenverbrauch würden beim Solarstrom weiterhin Zuwächse erzielt, so der Amtsleiter. „Mehr Speicher entlasten dabei auch die Leitungsnetze.“ Kreisweit sind inzwischen mehr als 2000 Fotovoltaik-Anlagen in Betrieb, die installierte Leistung pro Anlage jedoch ging seit 2013/14 um rund ein Viertel zurück, weil der Bund die Förderung großer kommerzieller Anlagen zurückgefahren hat.
Kommunen und Unternehmen im Landkreis ließen sich hinsichtlich Innovationen und Ressourceneffizienz beraten und fördern. Investitionszuschüsse aus dem Landkreis-Programm sowie grüne Leader-Projekte standen und stehen ebenso auf der Agenda, wie nun auch regionale Gutachten zu den Technikfolgen der Elektromobilität oder zur Zukunft der Wasserstoffwirtschaft. Die jüngste Projektidee zum Bau eines Biogas-Kraftwerks in Heilshorn beweist Marco Prietz zufolge ebenfalls, dass es noch große Potenziale gibt. Darüber hinaus erstellt der Landkreis jährliche Berichte zum Heizenergie- und Stromverbrauch seiner Immobilien; energetische Sanierungen hätten demnach dazu geführt, dass die Kreis-Schulen ihren Heizenergieverbrauch seit 2003 um 37 Prozent senken konnten. Parallel werde der Dienstwagen-Fuhrpark des Landkreises allmählich und zumindest teilweise auf Elektrofahrzeuge umgestellt.
André Hilbers (Grüne) forderte, auch der Dienstwagen des Landrats, ein Siebener-BMW, sei kritisch zu betrachten: „Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit muss auch da der Umstieg erfolgen“, so Hilbers. In die Abwägung der Vorteile von Elektroautos müssten Energieaufwand und Emissionen der Erdölförderung und Raffinerien einfließen. Unterdessen sei das Kraftwerk-Projekt zur Bioabfall-Vergärung eine faszinierende Idee; die Grünen erwarteten aber belastbare Zahlen, dass sich die Sache bei der CO₂-Bilanz rechne. Außerdem solle das Projekt „Fifty-fifty“ fortgeführt und ausgebaut werden, bei dem die Schulen materiell von ihren eigenen Energieeinsparungen profitieren.
Für Axel Miesner (CDU) geht es bei der Energiewende nicht zuletzt um die heimische Wirtschaft und um Arbeitsplätze. Er glaube, dass der Wasserstofftechnologie die Zukunft gehöre und dass André Hilbers die Vorzüge von Elektroautos überschätze. „Das ist höchstens für Städte interessant.“ Was den Vormarsch der Windkraft angehe, so werde es bei der Neuauflage des Raumordnungsprogramms zum Schwur in der Frage kommen, wo und wie Windparks mit Anwohner-Interessen in Einklang zu bringen seien. Björn Herrmann (SPD) pflichtete Miesner in allen Punkten bei. Wer auf menschenunwürdige Bedingungen beim Abbau Seltener Erden verweise, die für die Akkuproduktion benötigt werden, solle nicht unterschlagen, dass auch um das knapper werdende Erdöl Kämpfe und Kriege geführt werden, so der Sozialdemokrat.
Umweltdezernent Dominik Vinbruck erklärte, eine hundertprozentige Eigenversorgung mit Ökostrom sei für den Kreis „zeitnah nur mit Windkraft zu schaffen“. Zwar fordere das Land bei der Neuauflage des Raumordnungsprogramms weitere Flächen für Windparks im Kreisgebiet, doch das werde nicht bei allen Betroffenen auf Gegenliebe stoßen: „Wer es bisher ruhiger hatte, sieht darin natürlich eine Verschlechterung“, konstatierte Vinbruck. „Dieser Diskussion werden wir uns stellen müssen.“
Während Hilbers glaubt, dass Projekte eher akzeptiert werden, wenn der Betreiber aus dem Ort kommt und die Nachbarn am Erlös beteiligt werden, verwies Wilfried Pallasch (Bürgerfraktion) auf ungelöste Probleme im Windpark Lange Heide. Wie berichtet, klagen Anwohner dort darüber, dass die prognostizierten Lärmwerte überschritten würden. Dezernent Vinbruck sagte dazu, der Landkreis tue alles, was in seinen Kräften stehe. Es werde nun freiwillige Messungen geben. Das individuelle Lärmempfinden stehe aber auf einem anderen Blatt: „Ich glaube, dass manche Menschen auch dann leiden, wenn die Grenzwerte eingehalten werden.“