Landkreis Osterholz. Am Montag ist dem praktizierenden Hausarzt Detlef Risch der Kragen geplatzt. Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Biontech-Dosen für die impfenden Ärzte rationiert, um Moderna-Dosen vor dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums zu retten, entfache in den Praxen einen Beratungs-Tsunami. So hat es Rischs Standeskollegin Barbara Römer vom Hausärzteverband Rheinland-Pfalz formuliert, und diese Formulierung trifft es nach den Worten des Mediziners aus der Kreisstadt auf den Punkt. Leidtragende, so Risch, seien die Praxen und die Patienten.
"Ich habe hier für die nächsten zehn Tage 180 Biontech-Impfungen mit den Patienten vereinbart", erläutert der Allgemeinmediziner, der Mitbetreiber einer Gemeinschaftspraxis in Hüttenbusch ist. Nun könne er nur ein Sechstel seiner Patienten damit versorgen; bei allen anderen Terminen müsse nachtelefoniert werden, um das Okay zum Impfstoffwechsel zu Moderna einzuholen. "Damit sind zwei Helferinnen zwei volle Tage lang beschäftigt." Da Moderna erst ab einem Alter von 30 Jahren empfohlen ist und weil das Gesundheitsministerium bislang empfohlen hat, bei mRNA-Geimpften das Präparat bei der Auffrischung möglichst nicht zu wechseln, bringt Spahns Wochenkontingent von 30 Biontech-Dosen pro Praxis die Ärzte nun in zusätzliche Erklärungsnot. "Viele Kollegen sind wie ich empört; das ist in jeder Hinsicht eine Zumutung", schimpft Risch.
KVN-Resolution verpufft
Sein Praxis-Team müsse nun viel Überzeugungsarbeit leisten und kriege den berechtigten Ärger der Patienten ab, so Rischs Erfahrung bis zum Montagabend. Immerhin haben bundesweit drei von vier Geimpften ihre Grundimmunisierung mit Biontech bekommen. Daher sei die Ärzteschaft durch Spahns Ankündigung vom Freitag kalt erwischt worden. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) hat auf ihrer Vertreterversammlung am Sonnabend eine Protest-Resolution verabschiedet. Darin wird Spahn aufgefordert, die Begrenzung der Höchstabgabemenge für die niedergelassenen Ärzte umgehend zurückzunehmen. Auch die Gesundheitsminister der Länder schlossen sich dem am Montagnachmittag an, doch vergebens.
Das hat für Risch das Fass nun auch zum Überlaufen gebracht. "Ich möchte den Minister nicht beleidigen, aber es ist wirklich schwach-sinnig." Die Deckelung sei Sabotage; sie komme in eine Phase, da viele Mediziner ihr Angebot ausweiten, um Booster-Impfungen auch an Abenden und an Wochenenden vorzunehmen. Das Ganze sei aus fachlicher Sicht durchaus nicht trivial: "Man muss sich schon gründlich einlesen, um die Menschen vernünftig aufklären zu können." Moderna habe zwar dasselbe mRNA-Wirkprinzip, sei aber durchaus anders zu handhaben und zu lagern als Biontech.
Boykott-Androhung
Die Kassenärztliche Vereinigung des Saarlands hat am Montagabend bereits mit einem Ausstieg aus der Impfkampagne gedroht. "Ich kann es den Kollegen nicht verdenken", kommentiert der Osterholzer Ärztesprecher. "Wir sind am Limit der Belastbarkeit." Risch war als KVN-Kreisstellen-Vorsitzender am Sonnabend in Hannover selbst vor Ort. Inzwischen fordert er offen Spahns Rücktritt. Der Minister hatte erklärt, es werde kein Impfstoff zurückgehalten; so groß sei der Unterschied zwischen Biontech und Moderna auch gar nicht. "Da wäre ich äußerst vorsichtig", kommentiert Risch nach seinem Studium von Artikeln in der Fachpresse.
Er bezweifle nicht die Wirksamkeit von Moderna. Aber an der Frage, ob ein Moderna-Boost nach zwei Biontech-Impfungen sinnvoll ist, scheiden sich offensichtlich noch die Geister. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach empfiehlt einen Wechsel. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, hält ihn für unerheblich. Und ausgerechnet das Gesundheitsministerium hält es für sinnvoller, nicht von Biontech zu Moderna zu wechseln oder umgekehrt - wenn es sich vermeiden lässt.
Keine Flexibilität und Absprache
Zwei weitere Aspekte bringen Risch zusätzlich auf die Palme: So kann man bei geschickter Handhabe der Biontech-Impfungen sechs bis sieben Impfdosen aus jeder Fünfer-Ampulle ziehen. Der Vorteil: Der Mediziner kann deshalb ohne Zusatzbevorratung auch spontane Impfungen vornehmen. Bei Moderna gebe es diese Flexibilität aufgrund anderer Gebindegrößen nicht. Schon die Zubereitung sei unterschiedlich, und mehr als zehn Impfungen pro Moderna-Fläschchen sind nun mal nicht drin: ein weiterer limitierender Faktor für die dringend nötigen Auffrischungsimpfungen.
Es sei unverständlich, weshalb nicht die mobilen Teams des Gesundheitsamts vorrangig mit Moderna ausgestattet werden. Wer zu einer Impfaktion geht, weiß dann vorher, was ihn erwartet, und es bliebe mehr Biontech für die Arztpraxen übrig. Auch das ärgert den Ärzte-Funktionär. "Uns wird der Impfstoff ohne Not aus der Hand geschlagen." Damit gelangt Detlef Risch zu seinem zweiten Ärgernis: "Wir werden auch von der lokalen Administration alleine gelassen."
Das Kreisgesundheitsamt habe zur Schließung des Impfzentrums per Pressemitteilung erklärt, es solle einen Schulterschluss mit den niedergelassenen Haus- und Fachärzten geben. Doch im direkten Kontakt lasse die Behörde schon seit Monaten nichts mehr von sich hören: "Da hätte ich mir mehr Absprache und wenigstens mal eine Telefonkonferenz gewünscht, damit der eine weiß, was der andere tut."