„Nehmen Sie ruhig einen großen Schluck“, sagt Dieter Helmke und schiebt das Milchkännchen über die Kaffeetafel. „Einen hohen Milchverbrauch können wir gerade gut gebrauchen.“ Der Landwirt aus Tüschendorf hat das Lachen nicht verlernt. Trotz der Krise beim Milchpreis. 25 Cent pro Liter bekommen konventionell arbeitende Landwirte von den Molkereien aktuell nur noch. Zu wenig, als dass die Bauern kostendeckend arbeiten könnten. Auch Helmke, der auf seinem Hof 120 Kühe hält, macht sich Sorgen. Um seine Existenz muss er noch nicht bangen, aber wichtige Investitionen stellt er bereits zurück.
Etwa 80 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in Landkreis leben von der Milchproduktion. Doch seit einem Jahr ist der Preis für Milch im Sinkflug. Immer mehr Bauern kommen an ihre finanziellen Grenzen. Und Helmke weiß: „Bei vielen sind die Reserven so gut wie aufgebraucht.“
40 Cent: Mit solch einem Literpreis könnten die Bauern arbeiten. Vor ein, zwei Jahren lag der Preis genau dort. Da lief das Geschäft gut. So gut, dass einige Bauern sogar in Euphorie verfielen und mitunter Investitionen vom laufenden Konto bezahlten. „Da wurde oft auf falsche Weise investiert“, sagt Stephan Warnken, Vorsitzender des Landvolks Osterholz. Das verschlimmere nun bei einigen noch die Sorgen, die angesichts der niedrigen Milchpreise sowieso schon da sind.
Auch Warnken muss sparen. 60 Kühe hält der Landwirt auf seinem Hof in Huxfeld, als weiteren Betriebszweig bietet er Besuchern Urlaub auf seinem Hof an. Aber selbst mit diesem kleinen Zusatzgeschäft verbieten sich für ihn derzeit nötige Investitionen. Ein neuer Schlepper müsste her. Doch es heißt Sparen. Auf keinen Fall aber am Tierwohl: „Die Tiere sind ja meine Lebensversicherung“, sagt Warnken.
Zwar will die Europäische Union nun 500 Millionen Euro Soforthilfe für die Bauern leisten, aber das werde kaum etwas bringen, glaubt Warnken. „Da kommt auf die ganze EU gerechnet eine Milchpreiserhöhung von 0,4 Cent bei herum. Das ist eigentlich nichts“, sagt er.
Sicher fühlen sich nur noch wenige Landwirte, auch in Osterholz. Den Schweinebauern geht es nicht besser, die Fleischpreise sind ebenfalls stark gefallen. Einen ähnlichen Trend gibt es zudem bei Rindfleisch und Getreide. Auf vielen Höfen fragt man sich längst: Wie geht es am Markt weiter?
„Wegfall der Quote ist ein Segen“
Die Frage treibt auch Bernd Stührenberg um. „Seriös kann die derzeit niemand beantworten“, sagt der Milchbauer aus Harriersand, der 110 Kühe hält. Stührenberg kennt die Gründe für die Krise. „Weltweite Überproduktion, das Russland-Embargo, rückläufiger Absatz in China“, zählt er auf. Mit dem Einfuhrverbot europäischer Lebensmittel nach Russland und dem schwächelnden Absatzmarkt im langsamer wachsenden China seien für die Milchbauern wichtige Exportmärkte weggebrochen.
Zum Vergleich: 40 Prozent der Milchproduktion in der Bundesrepublik werden direkt verbraucht (Trinkmilch, Joghurt, Käse), etwa 20 Prozent werden durch die Lebensmittelindustrie weiterverarbeitet. Die restliche Milch wird größtenteils in andere europäische Länder exportiert. Auf dem Weltmarkt gelangen nur circa zehn Prozent der in der EU produzierten Milch. Das hört sich gering an, ist laut Warnken aber ein wichtiger Faktor in der Preisfindung von Milchprodukten in Deutschland.
Einige Experten machten auch den Wegfall der Milchquote in diesem Frühjahr für die aktuelle Krise mitverantwortlich. Die Quote sollte ein Überangebot verhindern. „Aber die hat es trotzdem gegeben“, sagt Stührenberg. Eine Rückkehr der Quote sei keine Lösung. Da stimmen auch Stephan Warnken und Dieter Helmke zu. „Der Wegfall ist für viele Landwirte ein Segen“, sagt Stührenberg sogar. Die Quote habe die wettbewerbsfähigen Landwirtschaftsbetriebe am Wachsen gehindert. Neben den Kosten für neues Milchvieh und größere Stallungen kam der Zukauf von Quoten hinzu, 22 Cent pro Liter Überproduktion. Nun sei man ohne Quote viel flexibler für den weltweiten Markt, sagen die Bauern.
Dort herrscht ein regelrechter Verdrängungswettbewerb. Wer bestehen will, muss wachsen und produziert so automatisch noch mehr Milch für einen Markt, der ohnehin schon überflutet ist. Ein Teufelskreis, vor allem, wenn wie jetzt die nötigen Abnehmermärkte fehlen.
Um dort heraus zu kommen, hat der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter einen Vorschlag für eine neue Quote gemacht. Strafzahlungen bei Überproduktion, Belohnung bei weniger Produktion. Keine Lösung, findet Bauer Bernd Stührenberg. Das große Problem aus seiner Sicht: Es gibt keine Gewährleistung, dass Nicht-EU-Staaten mitmachen. „In dem Moment, indem irgendwo reduziert wird, sagen andere: Hurra, da sind ein paar Blöde, jetzt können wir richtig Gas geben.“ Deshalb müsse vor allem der Export wieder angeschoben werden. Und dazu sei politische Hilfe dringend nötig.
Experten eingeladen
„Am Markt können wir jetzt erst mal nichts ändern“, sagt Stephan Warnken. Deshalb wolle man im Landkreis nicht einfach nur warten, bis die Zeiten irgendwann wieder besser werden. Konkrete Hilfe sei nötig. Und da gebe es Potenzial. Warnken glaubt, dass die Hemmschwelle für viele Kollegen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, noch zu hoch sei. Es gebe bereits Angebote für bessere Liquiditätsplanung. Auch Liquiditätsdarlehen könnten ein Instrument sein, um flüssig zu bleiben.
„Wir wollen vermeiden, dass die Landwirte in den roten Bereich rutschen“, sagt Warnken. Dazu haben sie beim Landvolk für nächsten Mittwoch Experten eingeladen, um mit ihnen über Probleme und Lösungen zu sprechen. Es solle keine Jammer-Veranstaltung werden, betont Warnken, sondern eine konstruktive Diskussion, auch mit Bauern, die die Krise nicht ganz so arg trifft. In Osterholz sei immerhin noch kein Betrieb geschlossen worden. „Und das soll auch so bleiben“, so Warnken.
Lässt sich der Ertrag im eigenen Betrieb verbessern? Sind Liquiditätsdarlehen möglich? Wohin entwickelt sich der Milchmarkt? Darüber wird am am Mittwoch, 16. September, im Schützenhof Wallhöfen in Vollersode diskutiert. Das Landvolk Osterholz hat Fachleute von Banken, Buchstelle und Landberatung eingeladen. Beginn ist um 20 Uhr. Alle Interessierten sind willkommen.