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Ärztemangel "Unterlassene Hilfeleistung"

Aus Patientensicht gibt es nicht genügend niedergelassene Haus- und Fachärzte im Landkreis Osterholz. Die Kassenärztliche Vereinigung widerspricht. Einen Mangel gebe es nur im Bereich Nervenärzte/Psychiater.
05.11.2021, 05:00 Uhr
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Von Bernhard Komesker

Landkreis Osterholz. An manchen Tagen ist Harald Winter* der Verzweiflung nah. Der Kreisstädter ist psychisch krank, seit 28. September besitzt er die entsprechende Überweisung seines Hausarztes an einen Facharzt für Psychiatrie. Aber er findet keinen Spezialisten in der Nähe. Der 51-Jährige sagt, er habe vor zwei Jahren schon einmal einen Krankheitsschub gehabt. Seinerzeit habe er fünf Wochen lang vergebens bei der Terminvergabestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) angerufen. "In der Not kam dann zwei Mal der Sozialpsychiatrische Dienst vom Landkreis zu mir nach Hause", erzählt Winter.

Der Mangel an Spezialisten sei bekannt, habe ihm der Mann vom Gesundheitsamt erklärt; er wolle die zuständigen Stellen informieren. Passiert sei seither nichts, behauptet der Patient. Im Gegenteil: Die Krise auch bei anderen Fachärzten und Allgemeinmedizinern spitze sich zu.

Der KVN-Geschäftsführer für den Bezirk Stade, Michael Schmitz, will das so allgemein nicht gelten lassen. Er räumt ein, dass ein Psychiater in der Stadt zum Jahresende aufhören wolle und schon vorher wegen einer Erkrankung zeitweise geschlossen hatte. Es handele sich um eine große Praxis, sodass die Schließung erhebliche Auswirkungen für die Patientenversorgung habe.

Bewerbungen fehlen

"Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Nachfolgeregelung", versichert Schmitz. "Interessenten gibt es, Bewerbungen fehlen noch." Die KVN habe den Planungsbereich Landkreis Osterholz für die Niederlassung von Psychiatern im Gegensatz zu anderen Disziplinen auch bereits entsperrt. Ein wenig Hoffnung auf Entspannung setzt Schmitz auf die neue psychiatrische Institutsambulanz, die in diesen Wochen an der Poststraße ihre Arbeit aufnimmt.

Harald Winter ist damit nicht zufrieden; dort werde schon jetzt niemand mehr aufgenommen. "Ich habe das Gefühl, dass die Verantwortlichen in einer Traumwelt leben." In einem zweiten Fall habe er im vorigen Frühjahr einen Proktologen benötigt - ebenfalls mit Überweisungscode vom Hausarzt. Und wieder habe er trotz Schmerzen keinen zeitnahen Termin bekommen - weder in Bremen, wo er vier Monate hätte warten müssen, noch im Kreiskrankenhaus, wo er eigentlich in Behandlung sei. Als auch die KVN-Hotline nicht helfen konnte, beschwerte sich Winter bei Ärztekammer und Ärztevereinigung in Bremen und Niedersachsen - "um sie mit der Realität aufzuwecken", wie er es nennt. "Für mich ist das unterlassene Hilfeleistung."

Hausarzt kann Druck machen

Die Standesvertreter reichten die Schreiben an die betroffenen Fachmediziner weiter. Der Bremer Spezialist erklärte, bei dringenden Akutfällen betrage die Wartezeit wenige Tage und nicht Monate. Lebensbedrohliche Fälle seien ihm noch nie untergekommen. Winter hätte sich auf eine Liste setzen lassen oder, bei großer Dringlichkeit, ein paar Stunden im Wartezimmer verbringen können. Ähnlich äußerte sich der Osterholzer Facharzt. Von unterlassener Hilfeleistung könne keine Rede sein; Winter hätte sich jederzeit in der Notfallambulanz der Klinik vorstellen können. Vier Notfall-Termine pro Woche seien Patienten mit dringlicher Hausarzt-Überweisung vorbehalten.

Auch KVN-Geschäftsführer Schmitz erklärt, wenn der Allgemeinmediziner telefonisch beim Fachkollegen Druck mache, bleibe niemand im Regen stehen. Ansonsten empfehle es sich, mithilfe der Hotline des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (116117) oder im Internet (www.arztauskunft-niedersachsen.de sowie www.kvhb.de/arztsuche) andere Experten zu finden und aufzusuchen. Einen Ärztemangel wie bei den Psychiatern, betont Schmitz, gebe es im Landkreis Osterholz ansonsten so nicht. Das gehe aus den Zahlen des KVN-Bedarfsplans hervor, der alljährlich fortgeschrieben werde.

Hausärzte-Engpass im Westkreis

Lediglich bei den Hausärzten gebe es rechts der Hamme einen Engpass, aber: "Unser Problem ist eigentlich nicht die Anzahl der Ärzte, sondern die Nachfolge-Suche für die älteren Ärzte aufgrund des demografischen Wandels." Es werde einfach zu wenig ausgebildet. Nach einer KVN-Studie geht die Zahl der Hausärzte bis 2035 landesweit um 25 Prozent zurück. Bei den Fachärzten jedoch, so der Geschäftsführer, sei die Mitversorgung des Umlands durch Spezialisten in Bremen nicht zu unterschätzen. In dünner besiedelten Gegenden wie dem Cuxland sei die Lage schon ernster.

Harald Winter hingegen hält diese Sicht für weltfremd: "Ich bin nicht mobil und auf Bus und Bahn angewiesen", sagt er. Außerdem beziehe er Arbeitslosengeld 2. Die Kosten für die Fahrten zum Arzt und zu folgenden Behandlungsterminen sollten sich daher möglichst in Grenzen halten, findet der Osterholz-Scharmbecker. Insofern sei es auch keine Option, Psychiater in Stuhr oder Weyhe aufzusuchen. Die waren ihm von der KVN vorgeschlagen worden, nachdem er sich vorigen Monat beim Landesgesundheitsministerium beschwert hatte. Die 116117- Hotline sei grundsätzlich dazu verpflichtet, ihm zu helfen, hieß es aus Hannover.

Harald Winter findet, der Zustand sei "eine Katastrophe". Im Moment ist er weiterhin krankgeschrieben. Seine Hoffnungen richten sich nun auf eine ambulante Reha-Maßnahme in Bremen. Die soll Anfang kommenden Jahres beginnen.

* Name von der Redaktion geändert

Zur Sache

"Ausreichend versorgt"

Das Osterholzer Gesundheitsamt verweist Fragen zum Ärztemangel an die KVN. Die sei zuständig "für die bedarfsgerechte und vorausschauende Versorgung der Bevölkerung im ambulant-medizinischen Bereich". Behörden-Sprecherin Jana Lindemann sagt, es sei dem Landkreis Osterholz wichtig, dass die ambulante medizinische Versorgung im Kreisgebiet sichergestellt ist. Daher werde man gemeinsam mit der KVN die Lage weiter beobachten und im Austausch stehen.

Weil es auf dem Papier keine Unterversorgung mit Fachärzten im Landkreis Osterholz gibt, bleibt die Region - mit Ausnahme des Fachgebiets Nervenärzte, Psychiatrie - für neue Niederlassungen einstweilen gesperrt. Bei der Feststellung der Quoten werde auf Einwohnerzahl und Demografie geachtet, so KVN-Geschäftsführer Michael Schmitz. Bei Gynäkologen sei natürlich die Zahl der weiblichen Einwohner maßgeblich, bei Kindern und Jugendärzten die Zahl der Minderjährigen.

Die Berechnungen erfolgen jährlich neu und werden je nach Disziplin und erwarteter Inanspruchnahme für Landkreis-Gebiete, ganze Landkreise oder Niedersachsen insgesamt ausgewiesen. Landesweit herrscht demnach etwa ein besonderer Mangel an Fachärzten für Physikalische und Rehabilitative Medizin; bei anderen Spezialisten wie Radiologen, Anästhesisten sowie Kinder- und Jugendpsychiatern bilden die Landkreise Osterholz, Verden und Diepholz eine gemeinsame Region - laut KVN mit einer Versorgungsquote zwischen 110 und 120 Prozent.

Auf Nachfrage räumt Schmitz ein, dass die Realität im Alltag bisweilen anders aussehen könne, so wie momentan in der Augenheilkunde. Zwar gilt die Landkreis-Quote mit 121,9 Prozent als ausreichend. Aber derzeit finde in einigen Augenarzt-Praxen des Kreisgebiets eine Umstrukturierung statt, sodass Sprechzeiten und Kapazitäten nicht im vollem Umfang zur Verfügung stehen. Damit steigt dann der Druck auf die übrigen Praxen, die neue Patienten nur höchst ungern aufnehmen.

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