Worpswede. Geschichte lässt sich immer entlang ihrer Zäsuren erzählen. Die Music Hall ist noch lange nicht Geschichte, aber sie hat eine weit über 20-jährige Vergangenheit, deren tiefster Einschnitt zehn Jahre zurückliegt: Am 11. Februar 2007 starb ihr Gründer Hans-Dieter (H.-D.) Ludwig. Ohne Übertreibung lässt sich die Historie des Worpsweder Clubs in ein Davor und ein Danach einteilen, die sich in vielen – aber längst nicht allen – Aspekten unterscheiden. Es mag pathetisch klingen, aber der Geist Ludwigs ist und bleibt im Saal an allen Ecken und Kanten gegenwärtig, die Strukturen hinter den Kulissen aber haben sich maßgeblich verändert. Geblieben ist der unorthodoxe Impuls des Gründers.
Es gibt viele Anekdoten von H.-D. Ludwig, die zeigen, wie seine Auffassungen waren. Fragte beispielsweise eine Band an, wann sie denn auf die Bühne gehen solle, lautete seine Antwort: „Um 21.15 Uhr! Und wann 21.15 Uhr ist, sage ich.“ Schon damals war die Music Hall keine reine One-Man-Show, das wäre weder in den improvisierten Anfangsjahren, noch zu Zeiten der voranschreitenden Professionalisierung für einen alleine zu bewältigen gewesen.
Ludwig holte sich Unterstützung und Beratung ein, am Ende aber folgte er seinem untrüglichen Instinkt und baute etwas auf, das heute eine Institution mindestens in der deutschen Musikszene ist. Schon damals gab es den Trägerverein, Aufgaben wurden mehr und mehr delegiert und vor dem Ende seines Lebens bestellte der Visionär das Feld für die Nachfolgenden.
Was daraus geworden ist, würde man in der Politik vielleicht als Übergang von einer parlamentarischen Monarchie zu einer präsidialen Demokratie beschreiben. Der siebenköpfige Vorstand der Music Hall, zu dem mit dem zweiten Vorsitzenden Christoph Bayer noch ein Mitstreiter der ersten Stunde zählt, entscheidet gemeinschaftlich über maßgeblichen Entwicklungen. Doris Fischer ist als erste Vorsitzende formal die direkte Nachfolgerin Ludwigs und fungiert nach außen als Repräsentantin. Die beiden Stellvertreter Elfi und Ulrich Kern, Kristina Baro, Ludwigs Witwe Marion Jenke und Torsten Widhalm gehören ebenfalls zur Führungsriege, die die vielschichtigen Aufgaben unter sich aufgeteilt hat und in der alle Sieben auf Augenhöhe agieren.„Alles ist ein Wir geworden“, sagt Doris Fischer. Die Zusammenarbeit stehe heute im Vordergrund, es werde viel diskutiert und jeder wisse über wichtige Belange Bescheid.
Das Entstehen einer Diskussionskultur auf Vorstandsebene sei auch für sie selber ein Lernprozess gewesen. Gab es früher nur die üblichen Jahreshauptversammlungen, so trifft sich der Vorstand inzwischen monatlich. Vor allem aber kämen heute Impulse aus unterschiedlichen Richtungen, jeder der Vorständler bringe seine Positionen ein, sagt Doris Fischer. Das sei nicht immer einfach, dennoch möchte sie den gewachsenen Pluralismus nicht mehr missen. „So ein gut funktionierendes Team hatten wir noch nie.“
Nicht wenige hatten vor zehn Jahren ihre Zweifel, ob das Projekt Music Hall ohne seinen charismatischen Vorkämpfer überhaupt würde überleben können. In Gang gekommen ist so eine Entwicklung ohne Bruch, die die Music Hall mit ihrem gemeinnützigen Vereinskonstrukt als konkurrenzfähigen Club in der Veranstaltungsszene etabliert hat. Regelmäßig hat es Um- und Ausbauten, Verbesserungen der Ton- und Lichttechnik und der gesamten Infrastruktur gegeben, Hand in Hand ist damit das Programm größer, vielfältiger und qualitativ deutlich hochwertiger geworden.
Die Music Hall ist zudem Ausbildungsbetrieb für Veranstaltungstechniker, in diesem Herbst beginnt bereits der dritte Azubi. Gleichzeitig ist dem alten Dorfsaal sein ureigener Charme geblieben. H.-D. Ludwigs hehrer Wert der Gastfreundschaft unterscheidet die Music Hall noch immer von ungezählten Sälen ohne Atmosphäre und Herz landauf, landab. Dennoch bietet das historische Gemäuer seine eigenen Herausforderungen. Die nächste große Aufgabe soll die Sanierung des Sanitärbereichs werden. Die Toiletten sind nicht nur in die Jahre gekommen, sie genügen auch in Zahl und Ausführung nicht mehr heutigen Standards. Beispielsweise gibt es keinen barrierefreien Zugang, und auch die Fluchtwege könnten besser sein. Das soll sich noch in diesem Jahr ändern, je nach Ausführung entstehen dabei Kosten von bis zu 300 000 Euro.
Erstmals in ihrer Geschichte hat die Music Hall dafür Fördergelder bei der Gemeinde, dem Landkreis und aus dem EU-Leader-Programm beantragt. Bislang hat sich der Verein neben Eintrittsgeldern ausschließlich über Sponsoren und die Beiträge seiner Freundeskreis-Mitglieder finanziert. Dazu kommt, dass die Zusammensetzung des gesamten Teams über viele Jahren sehr stabil geblieben ist. Zahlreiche Vereinsmitglieder arbeiten ehrenamtlich und auch bei Technikern, Kassen- und Thekenpersonal gibt es wenig Fluktuation.
Neuland will die Music Hall in diesem Jahr mit einem weiteren Projekt betreten: Die Kooperative Gesamtschule Hambergen wird „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und hat den Verein gebeten, dafür die Patenschaft zu übernehmen. Wie die aussieht, wird sich erst noch zeigen. Für die Vorstandsmitglieder ist aber sicher: Es geht weiter im Sinne H.-D. Ludwigs.