Hanke Bohlens Gefühle sind recht gemischt, als er seine Limousine von Lintel aus durch die Scharmbeckstoteler Feldmark manövriert. Er schaut durch das geöffnete Seitenfenster zu, wie sich die Rispen im Wind wiegen, und ist sicher, dass er - „trotz der Trockenheit!“ – eine gute Ernte einbringen kann. Die Tour durchs Ackerland dient aber nicht in erster Linie der Inspektion seiner Feldfrüchte. Vielmehr will er veranschaulichen, welche Folgen seinem landwirtschaftlichen Betrieb drohen, wenn der geplante Neubau der B 74 in der Variante Ost umgesetzt wird. Der 47-jährige Unternehmer aus Lintel drosselt das Tempo ein wenig, während ein weiteres Maisfeld passiert wird. „Das bin ich als erstes los!“
Bohlens Milchviehbetrieb produziert mit 700 Kühen 8,4 Millionen Liter Milch im Jahr. Der Christdemokrat verfügt über Sitz und Stimme im Osterholz-Scharmbecker Stadtrat. Er ist aber auch ein Landwirt, der große Summen in seinen Betrieb gesteckt und entsprechend viel zu verlieren hat. Er rechnet damit, dass er dem Verkehrsprojekt etwa vier Hektar eigenes Land opfern muss. Und dass ihm darüber hinaus noch 30 Hektar gepachtete Flächen verloren gehen, die er ebenfalls bewirtschaftet.
Weite Fahrten zu Ersatzflächen
Natürlich sind Kompensationen zugesagt. „Doch die Ersatzflächen dürften weit weg sein, sodass hohe Transportkosten entstehen werden.“ Bohlen hat von seinem Hof in Lintel geradezu einen Panorama-Blick auf jene Wiesen und Felder, die von den Planern der sogenannten Entlastungsstrecke ins Visier genommen wurden. Im Nahbereich gibt es für seinen Betrieb kaum Möglichkeiten zur Arrondierung. Abgeschlossen in alle Richtungen, liegt er da wie eine Insel: im Norden Osterholz-Scharmbeck, im Westen Scharmbeckstotel, im Osten das GR-Naturschutzgebiet und im Süden die Hamme. „Wir werden uns wohl an der Ritterhuder oder Lilienthaler Ecke orientieren müssen“, überlegt er. In Waakhausen etwa sei der Boden für die von ihm verfolgten Zwecke eher ungeeignet.
Der Lintler fürchtet nicht nur dauerhaft hohe Kosten für die Fahrten zu entlegenen Flurstücken, sondern auch, dass der Mangel an attraktiven Ersatzflächen zu Preiskämpfen führt. „Wenn weitere Pachtflächen durch den Verkauf an geschädigte Eigentümer verloren gehen, kommt der Markt unter Druck. Die Preise könnten sich verdoppeln. “ Wie viele der von ihm gepachteten Flächen werden ihm bleiben, wenn Verträge auslaufen und andere mehr bieten? Und was also bekommt er noch an Grund und Boden für die ihm in Aussicht stehende finanzielle Entschädigung?
Die geplante Ost-Trasse würde mittenmang durch die Scholle des Linteler Ackerbauers führen. So wie die seinen würden wohl viele landwirtschaftliche Flächen parzelliert, was naturgemäß die Kosten für die Bewirtschaftung erhöht. „Es wird kleinteiliger. Es müssen Instandsetzungen vorgenommen und neue Überfahrten geschaffen werden. Mit meinem 16 Meter breiten Schwader wird es auf kleinen Flächen richtig kompliziert.“
Kompliziert könnten auch zwischenmenschliche Beziehungen werden. Zank und Zwietracht sind nicht ausgeschlossen, wenn aus guten Nachbarn Konkurrenten werden sollten. „Das wäre besonders traurig, weil wir Landwirte hier doch so gut miteinander auskommen!“ Es gibt durchaus Freundschaften in der Branche. Bei der Heirat eines Nachbarn war er sogar Trauzeuge.
Warnung vor Flächenversiegelung
Wenn in der Feldmark gebaut wird, wird der ohnehin schmale Korridor zwischen dem GR-Gebiet auf der einen Seite und der Stadt mit Wohnbebauung sowie Gewerbegebieten auf der anderen noch weiter verengt. Bohlen versichert, dass er nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen Bedenken gegen das große Infrastrukturprojekt hegt. Er argumentiert mit der Flächenversiegelung, die durch Anbindungen und Knotenpunkte verursacht werden dürfte, warnt vor der Bebauung bisher geschützter Landschaftsbereiche und dem schwierigen Baugrund bei der Ost-Variante mit ihren Moorböden, die ausgekoffert werden müssten. Bahngleise, Flüsse und Entwässerungsgräben würden zu Hemmnissen. Die Eingriffe in die Natur wären schwerwiegend. „Die Erlebniswelt Hammeniederung wird beeinträchtigt.“ Er fragt sich, ob 40 Jahre alte Ideen noch in die Zeit passen.
Bohlen hegt Zweifel, ob es überhaupt eine „Entlastungsstraße“ braucht. Er nutzt die Ortsdurchfahrt, wenn er die in Scharmbeckstotel von ihm gepachteten Flächen aufsucht. Oder wenn er private Fahrten nach Bremen unternimmt. „Da stehe ich vor den Ampeln halt in der Schlange. Jeder, der dort wohnt, muss um die Verkehrsbelastungen wissen und auch damit rechnen, dass diese zunehmen.“
Bohlen führt den Familienbetrieb seit 2007. Er sieht sein Unternehmen vor einem Einschnitt, der wesentlich tiefer greift als jener 2016. Eine Novelle des Bundesimmissionsschutzgesetzes zwang ihn damals, mit Teilen seines Betriebes von Lintel 16 nach Lintel 26 „auszusiedeln“, wie er es nennt.
Er fährt nun bei Jörg Seecamp vorbei, dessen Hof am Ruschkamp in Scharmbeckstotel liegt. „Der ist noch schlimmer dran. Völlig abgeschnitten, wenn es hier losgeht.“ Unter den betroffenen Landwirten werde es keine Gewinner geben, sagt er noch, als er nach der Besichtigungstour wieder auf den Hof zurückkehrt. „Wir werden alle verlieren.“