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Ehrenamt Suchthilfegruppen verzeichnen Mitgliederschwund

Neue Suchtkranke wenden sich immer seltener an die unterschiedlichen Selbsthilfegruppen in der Region. Ein Verein gibt seine Arbeit nun auf. Die Gründe sind offenbar vielschichtig.
09.01.2023, 05:00 Uhr
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Suchthilfegruppen verzeichnen Mitgliederschwund
Von Peter von Döllen

Landkreis Osterholz. „Du allein kannst es schaffen, aber du schaffst es nicht allein.“ Diesen Satz bekommen Suchtkranke oft zu hören. Sie müssen ihr Problem erkennen, akzeptieren und eine Therapie beginnen. Sonst kann der Kreis nicht durchbrochen werden. Eine Selbsthilfegruppe ist eine wertvolle Hilfe auf diesem Weg. Sie kann Betroffene dazu motivieren, den Weg aus der Sucht einzuschlagen, die richtige Therapie zu finden und sich auf dem Weg zur Trockenheit begleiten zu lassen. Auch bei der Betreuung und Beratung von Familienmitgliedern spielen die Gruppen eine wichtige Rolle. Einige von ihnen haben allerdings die gleichen Probleme, wie die meisten Vereine: Corona und sinkende Bereitschaft, ehrenamtliches Engagement zu übernehmen. Und: Es kommen offenbar immer weniger neue Hilfesuchende. Über die Gründe können die Mitglieder nur spekulieren.

Aus für Selbsthilfegruppe

Ein aktuelles Opfer der Entwicklung ist der Verein Blaues Kreuz Gnarrenburg, der seit 1992 für Suchtkranke da gewesen ist. „In Glanzzeiten, so um das Jahr 2000, haben wir rund 100 Leute betreut“, erinnert sich Helmut Neufeld. Und Heinz-Friedrich Brünjes ergänzt: „Unsere Erfolgsquote lag bei über 90 Prozent.“ Das Duo leitet den Verein seit 2014. Seit der Gründung haben die Vereinsmitglieder laut eigenen Angaben an die 400 Erkrankte zu einer Therapie gebracht und dabei begleitet. Doch am 28. Januar ist nun Schluss. 

Der Grund ist einfach, wie Brünjes sagt: „Es kommen kaum noch neue Betroffene zu uns, die Hilfe suchen.“ Bei den Treffen finden sich nur noch Trockene oder Familienmitglieder ein. Für viele ist das auch eine wichtige Sache, wissen Brünjes und Neufeld. Sie sind sonst einsam, haben weiter niemanden. Für sie ist der Verein nach dem Entzug zur Familie geworden. Gerade für diese Menschen tut es Neufeld und Brünjes leid.

Wenig Hilfesuchende

Warum keiner mehr beim Blauen Kreuz Gnarrenburg Hilfe sucht, weiß das Duo nicht so recht. Sicher habe Corona etwas damit zu tun. Einige Zeit konnten keine Treffen stattfinden. Da gab es wohl einen kleinen Bruch, und vielleicht sei der Umgang mit einer Sucht ein anderer geworden.

Die Gnarrenburger stehen mit dieser Entwicklung offenbar nicht allein da. Auch andere Selbsthilfegruppen sehen das Phänomen schwindender Hilfesuchender. Die Guttempler in Hambergen haben keine nennenswerten Zugänge, wie Klaus Hofmeister auf Nachfrage bestätigt. Dabei seien sie sehr bekannt und sehr aktiv – unter anderem durch Aktionen mit der Verkehrswacht und die Präsenz beim Handwerkermarkt. 

Die Selbsthilfegruppen spürten Änderungen, lässt Hofmeister wie auch Helmut Neufeld und Heinz-Friedrich Brünjes durchblicken. Früher hätten die Ehrenamtlichen die Betroffenen von Anfang an begleitet, von ersten Gesprächen über die Vermittlung von Kliniken und späterer Betreuung. Helmut Neufeld und Heinz-Friedrich Brünjes waren durch ihre eigene Abhängigkeit dazu gekommen und hatten sich schließlich zu Suchtkrankenhelfern mit Zertifikat ausbilden lassen.

„Das ging über ein Jahr und beinhaltete ein Praktikum in einer Suchtklinik“, schildert Brünjes den Aufwand. Die Kosten von 3500 D-Mark haben sie damals selber übernommen. Und so haben es viele Helfer in vielen Gruppen gemacht. Auch Sozialberichte hätten sie damals erstellt. Darin schilderten sie die Situation der Süchtigen geschildert und machten beispielsweise Vorschläge für eine geeignete Rehabilitationsform. Dazu seien sie rechtlich nicht mehr befugt und das koste sie wohl auch Hilfesuchende, vermuten sie.

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„Das ist aber schon sehr lange so“, erklärt Stephanie Thiele, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks beim Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck; es unterhält eine eigene Fachstelle für Sucht und Suchtberatung. Die Rentenversicherung, erklärt Thiele, habe die Arbeit professioneller aufstellen und anerkannten Stellen überlassen wollen.

Mit der Zeit habe sich so auch die Rolle der ehrenamtlichen Gruppen verändert, aber Thiele versichert: „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit den Selbsthilfegruppen gemacht.“ Die Selbsthilfegruppen seien unter anderem in der Betreuung nach einer Entwöhnung von Bedeutung; sie geben Halt, der nötig ist, um trocken zu bleiben. „Wir verweisen an die Selbsthilfegruppen“, betont die Diakonie-Geschäftsführerin. "Auch mit einem Flyer."

Es fehlen junge Leute

„Wir haben noch Zulauf“, berichtet unterdessen Heidrun Michaelis von den Guttemplern in Osterholz-Scharmbeck. „Was uns fehlt, sind jüngere Leute.“ Denen falle es offenbar schwer, sich über längere Zeiträume zu binden, doch das sei eine Grundlage der Arbeit. Sie wollen eine Gemeinschaft, einen Freundeskreis bieten, der dabei hilft, auf Dauer trocken zu bleiben. Derzeit laufe es mit den bestehenden Gruppen aber, so Michaelis. Auch die Zusammenarbeit mit der Diakonie sei gut.

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Der Freundeskreis in Hüttenbusch kämpft hingegen um seine Existenz, wie Sprecher Hermann Kage berichtet. Vor Corona waren die Gruppen mit bis zu 17 Teilnehmern gut besucht. Aktuell kämen gerade noch fünf zu den Gesprächen, und das seien alle lange trockene Mitglieder. Von neuen Hilfesuchenden fehle jede Spur. „Wir wollen aber noch durchhalten“, sagt Kage kämpferisch. Denn das Problem der Sucht sei ja nicht verschwunden, im Gegenteil. Er findet, man solle vorhandene Strukturen nicht leichtfertig aufgeben. Manche könnten nicht so ohne Weiteres wieder geschaffen werden.

Mehr Online-Beratung

Hermann Kage vermutet, dass neben Corona auch der die Digitalisierung eine Rolle spielt. Die komme vor allem jungen Menschen entgegen, vermutet auch Heidrun Michaelis. Auch in der Suchtberatung gebe es immer mehr Online-Gruppen und -Angebote. Teils waren diese als Notbehelf und Alternative in der Corona-Zeit gedacht, als keine persönlichen Treffen möglich waren. Kage warnt jedoch: Kein virtuelles Treffen könne persönliche Begegnungen und Gespräche ersetzen. Trotzdem würden digitale Möglichkeiten wahrgenommen. Vielleicht auch, weil sich mancher davon mehr Anonymität erhoffe. 

Für das Blaue Kreuz Gnarrenburg, das auch Suchtkranke aus dem Landkreis Osterholz betreut hat, ist unterdessen nun Schluss. Es wurde 1992 von Gerold Seekamp gegründet. Als er 2014 verstarb, nahmen Helmut Neufeld und Heinz-Friedrich Brünjes die Geschicke in ihre Hand. In ihrer Amtszeit Zeit erfolgte auch die Abnabelung vom Hauptverband, wie beide erzählen. „Der hat die Mitgliedsbeiträge fast komplett abgeschöpft“, sagt Brünjes zu den Beweggründen. Damit mussten die Mitglieder der vormaligen Ortsgruppe alle finanziellen Mittel aufbringen, die für ihre Arbeit nötig waren. Das Vorgehen löste laut Brünjes eine regelrechte Welle aus; einige weitere Ortsvereine lösten sich in den vergangenen Jahren vom Verband.

Info

Informationen zur Suchtberatung gibt es unter anderem auf der Internetseite www.diakonisches-werk-ohz.de. Eine Liste der Selbsthilfegruppen stellt die Beratungsstelle unter http://www.diakonisches-werk-ohz.de/content/fachdienste/daten/RegiestuhlApril19.pdf zur Verfügung.

Um Vernetzung und Vermittlung kümmert sich auch die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle für Selbsthilfe (KIBS), Am Stadtpark 14 in Osterholz-Scharmbeck. Erreichbar unter Telefon 04791/9 82 90 01 oder per E-Mail an kibs-landkreis-osterholz@t-online.de.

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