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Um die Neuankömmlinge im Flüchtlingsheim Ostlandstraße kümmert sich die Ökumenische Initiative „Wir wären lieber als Touristen gekommen“

Sie kommen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt – meist ohne Hab und Gut: Männer, Frauen und Kinder, die in ihrer Heimat in Not geraten sind. Die Ökumenische Initiative in Schwanewede nimmt die Flüchtlinge seit drei Jahrzehnten mit offenen Armen in Empfang. Seit Kurzem betreuen die ehrenamtlichen Helferinnen auch Neuankömmlinge aus Syrien, dem Libanon und Afghanistan.
04.10.2012, 05:00 Uhr
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Von Imke Molkewehrum

Sie kommen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt – meist ohne Hab und Gut: Männer, Frauen und Kinder, die in ihrer Heimat in Not geraten sind. Die Ökumenische Initiative in Schwanewede nimmt die Flüchtlinge seit drei Jahrzehnten mit offenen Armen in Empfang. Seit Kurzem betreuen die ehrenamtlichen Helferinnen auch Neuankömmlinge aus Syrien, dem Libanon und Afghanistan.

Landkreis Osterholz. Die Asylbewerber kommen zuweilen am späten Abend in Schwanewede an und beziehen die Wohnungen des Flüchtlingshauses in der Ostlandstraße 34. Viele kommen mit leeren Händen, erhalten aber sofort tatkräftige Unterstützung durch die Ökumenische Ini-tiative, so auch bei den monatlichen Treffen im Internationalen Frauencafé.

An einem Tag stehen stapelweise Teller parat. Wer möchte, kann sie mitnehmen, denn die Flüchtlingswohnungen in der Ostlandstraße sind zwar möbliert, es fehlen aber alltägliche Gegenstände. Die ehrenamtlichen Helferinnen fackeln nicht lange und besorgen im Handumdrehen Teller, Töpfe oder Schalen.

Während die Kinder gemeinsam spielen, können sich die gerade in Schwanewede eingetroffenen Frauen bei Kaffee, Saft und Keksen mit Schicksalsgenossinnen austauschen, die schon länger hier sind. Das gestaltet sich allerdings etwas schwierig. Die Neuankömmlinge stammen aus den unterschiedlichsten Ländern und haben keine Deutschkenntnisse.

Über diese verfügt die 37-jährige Parisa aus Persien. Sie hat im Iran Deutsch studiert und kam vor gut einem Jahr mit ihrem Mann und zwei Kindern in Schwanewede an. "Wir wären lieber als Touristen gekommen", sagt sie, "aber wir hatten Probleme mit der Regierung und Angst, dass mein Mann verhaftet werden könnte." Ohne Druck hätten sie Teheran nie verlassen, betont Parisa. "Wir haben ein sehr schönes Land, eine schöne Landschaft und alte Kultur – wir wollten da überhaupt nicht raus." Parisas Mann ist Bauingenieur, er arbeitet jetzt in Hamburg. Die Familie wird bald dorthin ziehen.

Die meisten Asylbewerber haben allerdings einen anderen sozialen Hintergrund. Viele sind Analphabeten, sie können ihre Muttersprache nicht schreiben oder lesen, und daher fällt es ihnen besonders schwer, Deutsch zu lernen. Erste Hilfen beim Lesen und Schreiben bekommen die Frauen unter anderem von Renate Thomas. Sie arbeitet seit sechs Jahren ehrenamtlich für die Ökumenische Initiative. "In dieser Zeit habe ich viele Familien kennengelernt und betreut", erzählt die 55-Jährige.

Den Grundstein für die Ökumenische Ini-tiative legten Gudrun Chopin und Magda Hegelscher im Jahr 1981. Damals beobachteten sie in Schwanewede Asylbewerber, die bei Schnee und Eis ohne Schuhe umherliefen. Mit einem Kuchen machten sie sich kurz entschlossen auf den Weg zum Flüchtlingsheim und stellten erste Kontakte her. Bis heute engagieren sie sich für die Ökumenische Initiative. Auch Renate Thomas ist gern dabei: "Die sind alle so dankbar, gastfreundlich und aufgeschlossen, und man bekommt so viel zurück." Einige "Alt-Flüchtlinge" hätten mittlerweile schon Kinder oder Enkelkinder mit deutschen Pässen, kämen aber immer noch zum Frauencafé.

Dass die neuen oder geduldeten Asylbewerber in Niedersachsen immer noch Gutscheine für ihre Einkäufe bekommen, findet Renate Thomas "deprimierend". Festgelegt sei nämlich, wofür die Scheine genutzt werden können. Für Wimperntusche dürften die Frauen sie beispielsweise nicht einlösen. Renate Thomas: "Ich finde das unpraktisch und entwürdigend."

Noura Ayo und Gidem Abdi sind beide 19 Jahre alt, stammen aus Syrien und sind eng befreundet. Sie haben sich im Flüchtlingshaus in Schwanewede kennengelernt. Beide Mädchen stammen aus kinderreichen Familien und helfen, die Kinder anderer Asylbewerber zu betreuen. Noura: "Alle Kurden – egal aus welchem Land – helfen sich gegenseitig und halten zusammen." Die jungen Frauen engagieren sich auch heute noch. Wenn sie Zeit haben, betätigen sie sich als Übersetzerinnen oder begleiten Asylbewerberinnen bei Behördengängen. "Die fühlen sich dann sicherer", weiß Noura.

Gidem ist als 13-Jährige allein aus ihrer Heimat geflüchtet. Ihre Familie war damals schon in Deutschland und hat dafür gesorgt, dass sie – in einer Gruppe mit anderen Syrern – aus dem Land gebracht wurde. Die deutsche Sprache zu erlernen, sei ihr anfangs besonders schwer gefallen. In der Schule wurde sie daher erst nach einem Jahr benotet, hat im Unterricht nur hospitiert und mit der Zeit immer mehr verstanden. Demnächst macht die 19-Jährige ihren Hauptschulabschluss. Über ihre Flucht aus Syrien redet Gidem offenkundig nicht gern. Wird sie nach ihren Erlebnissen gefragt, wirkt sie plötzlich traurig und wird ganz still.

Redseliger ist Noura. Sie war acht Jahre alt, als sie nach Schwanewede kam. Schon damals sei es in Syrien schlimm gewesen, weiß sie von ihren Eltern. Die hätten als Bauern den ganzen Tag für das Notwendigste arbeiten müssen, "durften aber kein Haus und kein Grundstück besitzen". Seit Kurzem macht Noura eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten und ist froh, dass sie in Deutschland ist. "Ich habe mich hier gut eingelebt."

Über die Situation in ihrer ehemaligen Heimat macht sich die 19-Jährige dennoch viele Gedanken: "Ich bin sehr traurig, dass in Syrien Menschen getötet werden, nur weil sie eine eigene Meinung haben, die sie nicht durchsetzen sollen." Ihre Familie werde jedenfalls nicht mehr nach Syrien zurückkehren. "Warum sollte man etwas vermissen, das nicht gut gewesen ist?"

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