Einen kleinen Favoriten hat Dagmar Bischof schon. Die Geschichte „Frau Seidel und der Streuselkuchen“ hat es der Stuhrer Seniorenbeiratsvorsitzenden angetan. Eine rührende Geschichte aus der Nachkriegszeit.
Für ein Buchprojekt ist der Seniorenbeirat der Gemeinde Stuhr auf der Suche nach Anekdoten und Bräuche aus Stuhr oder von Stuhrern. Vorbild ist der Seniorenbeirat Ganderkesee. Der hat das Buch „Senioren erinnern sich. Tradition und Brauchtum“ herausgegeben (wir berichteten).
Ende Januar riefen Dagmar Bischof und ihr Stellvertreter Hans Lüder Senioren auf, ihnen entsprechende Texte zukommen zu lassen. Über die Resonanz zeigt sich Dagmar Bischof zufrieden. „Insgesamt sind rund 15 eingegangen“, erzählt sie. Und wahrscheinlich könnten es sogar noch mehr sein. „Viele scheuen sich“, vermutet Dagmar Bischof. „Vielleicht trauen sie sich nicht, es handschriftlich abzugeben.“ Gar kein Problem: Bischof und Co. würden auch höchstpersönlich vorbeikommen, die Geschichten aufnehmen und selbst niederschreiben, versichert die Vorsitzende. Sie habe außerdem sogar Anfragen aus Weyhe bekommen, auch Geschichten von dort will der Seniorenbeirat gerne sammeln. Dagmar Bischof: „Damit haben wir kein Problem.“
Die Streuselgeschichte entführt den Leser in die Nachkriegszeit. Ein Kind war ganz neugierig auf die Flüchtlinge aus Schlesien und lernte so Frau Seidel kennen. Und die konnte sehr guten Streuselkuchen backen. Eines Tages war es wieder soweit, Frau Seidel wollte ihre Spezialität zubereiten, Verwandte hatten sich angesagt. Und Backen ging damals noch so: „Der Kuchen wurde vorbereitet, auf ein Blech getan und dann fuhr man damit zum Bäcker, dort wurde der Kuchen im großen Backofen gebacken und nach einiger Zeit konnte man den fertig gebackenen Kuchen dann wieder abholen.“
Frau Seidel erledigte das mit einem Handwagen, und während sie zog, bediente sich das Kind an den Streuseln. Doch Frau Seidel ertappte es, erzählte der Mutter davon, das Kind bekam ein ganz schlechtes Gewissen. Doch es entschuldigte sich bei Frau Seidel, besuchte sie nach dem Streusel-Vorfall weiterhin. Die Geschichte endete mit den Worten: „Wir haben aber nie mehr über diese Angelegenheit geredet.“
Der Krieg und seine Nachwirkungen spielen bei den Einsendungen, die der Seniorenbeirat erhielt, fast immer eine Rolle. Damals war Butter ein kostbares Gut, wie eine andere Geschichte beweist. Ein junges Mädchen begab sich mit seinem Fahrrad auf ihre erste Einkaufsfahrt. Der Hinweg zum Laden lief noch einwandfrei. Dort gab die Kleine die Lebensmittelmarken ab und erhielt die Butter, die sie in das Einkaufsnetz am Lenker steckte, und radelte los. „Doch plötzlich, oh Schreck, das Netz ist in die Speichen geraten, und was nun? Oh, ich bin ganz hilflos, es ist keine Wand oder irgendein Zaun in der Nähe, wo ich absteigen kann. Also fahre ich einfach immer weiter und weiter, die Butter jedoch wird immer weniger und ich fange an zu weinen“, heißt es in der Geschichte.
Als das Mädchen zu Hause ankam, war von der Butter nichts mehr da. Seine Mutter war natürlich entsetzt, „denn jetzt gibt es erst einmal auch keine neuen Lebensmittelmarken“. Doch lange hielt die schlechte Laune der Mutter nicht an. „Irgendwie hat sie mich dann aber doch getröstet und auch gelobt, dass ich es tatsächlich ganz alleine geschafft hatte.“ Das erfüllte das Mädchen natürlich mit Stolz. Und etwas Positives hatte das Ganze auch, „denn das Vorderrad war jetzt wirklich sehr gut eingefettet“.
Doch beim Seniorenbeirat gingen nicht nur Geschichten ein, sondern auch private Bräuche – zum Beispiel zur Freimarktszeit. Ein Freundeskreis hat sich entschlossen, den Bummel über das Volksfest aufzugeben. Stattdessen entschieden die Freunde, dass sie sich jedes Jahr zu Beginn des Freimarktes treffen. Der Gastgeber wechselt von Jahr zu Jahr. Der Clou: Jeder bringt einen Kuchen mit. „Es wurde erzählt, Rezepte wurden ausgetauscht, gelacht, und wir hatten so viel Spaß, dass wir spontan beschlossen, diese besondere Art des Freimarktbummels beizubehalten.“ Doch die Zeiten ändern sich – und die Figuren auch, also wurde irgendwann Herzhaftes statt Kuchen aufgetischt.
Wer solche oder ähnliche Geschichten auf Lager hat, kann mit Dagmar Bischof, Telefon 04 21 / 89 54 28, und Hans Lüders, 04 21 / 89 26 32, Kontakt aufnehmen.