Das Programm ist straff organisiert. Termine und Meetings reihen sich aneinander für die Musiker von Linkin Park. Um die Kalifornier herum schwirrt ein ganzer Schwarm von Mitarbeitern, Kollegen und Freunden, die Aufgaben verteilen, die Künstler an Treffpunkte und Uhrzeiten erinnern.
Zwei Stunden vor dem Auftritt beim Hurricane Festival in Scheeßel herrscht aufgeregtes Treiben rund um die Headliner am Samstagabend. Die Verabredung zu einem Interview mit Brad Delson, dem Gitarristen und einem der Produzenten von Linkin Park, wird zu einem Hindernislauf im Backstage-Labyrinth. Eine erste Ausweiskontrolle, dann ebnet die Tourmanagerin den Weg zum Premium-Backstage-Bereich. Es muss gewartet werden, erst in einem Sessel, dann in einem kleinen Interview-Raum. „Eine Minute noch“, dann soll Brad Delson kommen.
Irgendwann ist er da. Und ist tiefenentspannt. Dass er in einer Stunde auf der Hauptbühne vor bis zu 70.000 Menschen stehen soll, ist dem 39-jährigen Amerikaner nicht anzumerken. So sieht Routine nach mehr als 20 Jahren Showgeschäft aus. Ein exklusives Interview.
Sie haben rund um die Welt Stadien und riesige Hallen ausverkauft. Sie waren bei zahlreichen Festivals in Europa Headliner. Jetzt aber das erste Mal in Scheeßel beim Hurricane. Hatten Sie eine Ahnung, wo das überhaupt liegt?
Brad Delson: Wir haben vom Hurricane Festival natürlich gehört und wussten, dass es zwischen Hamburg und Bremen liegt. In den vergangenen Jahren waren wir ein paar Mal beim Rock am Ring. Jetzt sind wir auf jeden Fall sehr glücklich, hier sein zu dürfen. Wir können es kaum erwarten, die neuen Songs vorzustellen.
Sie sollen mehr als 40 Songs geschrieben haben, von denen es aber am Ende nur zehn auf das Album geschafft haben. Wie haben Sie da eine Auswahl getroffen?
Es waren sogar 70. Die Entscheidung ist offensichtlich und sehr naheliegend: Wir haben die schlechten Songs verworfen, die guten Songs zu Ende gebracht und dann produziert.
Aber woran machen Sie einen guten und einen schlechten Song fest?
Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen komisch an, aber du hörst einen guten Song einfach. Du weißt, dass du auf dem richtigen Weg bist, wenn du den Song spielst. Aber Stücke, die nicht so großartig sind, sind immer auch ein Teil der ganzen Reise. Das gehört dazu, wenn du gute Songs schreiben willst. Es ist ein notwendiger Teil bei der Entwicklung und Entstehung eines neuen Albums.
Aber ist es tatsächlich normal, so viele Lieder, also 70 Stück zu schreiben, um dann zehn gute für ein Album zu bekommen?
Für viele Menschen und Musiker wahrscheinlich nicht. Aber wir sind halt verrückt. Wir haben das in der Vergangenheit auch mal gemacht. Aber bei dem jetzigen Album haben wir ziemlich viele Stücke in einer skelettartigen Form fertiggemacht, um eine erste Version zu haben. Dann haben wir unsere Favoriten rausgesucht und die ganze Musik dazu verwirklicht.
Was ist der Ausgangspunkt für die Songs? Die Musik oder die Aussage?
Normalerweise steht bei uns die Musik an erster Stelle. Das war in unserer ganzen Karriere bisher so. Aber nun haben wir alles auf den Kopf gestellt, es hat sich komplett gedreht. Wir haben zuerst all die Worte und Sätze geschrieben, dann die Melodien, und am Schluss kam die Musik dazu. Das war sehr ungewöhnlich für uns. Es war ein aufregender Weg, das auf diese Weise zu machen. Am Anfang war das nicht wirklich bequem und angenehm für uns, aber irgendwann haben wir uns damit arrangiert, es wurde einfacher.
Warum gab es diesen Wechsel des Musikstils vom Nu Metal zum Pop? Wie ist der entstanden?
Wir kommen nicht wirklich vom Nu Metal. Wir hatten von Anfang an eine Menge Einflüsse und viele Stilrichtungen. Es ist ein Begriff, der für einen bestimmten Abschnitt verwendet wurde. Aber wir waren immer darauf fokussiert, großartige Songs zu schreiben. Und es auf einem Weg zu tun, der nicht irgendein Genre verteidigt. Wir haben immer verschiedene Elemente miteinander verbunden. Das ist der Grund, warum die Band mal Hybrid Theory hieß. Beim jetzigen Album haben wir all unsere Einflüsse vereint, um diesen Sound zu kreieren.
Aber warum dieser starke Wandel in der Musik? Es fehlen mittlerweile die Rap-Passagen oder harte Gitarren. Haben sich die Einflüssen verändert?
Welcher Mensch hat denn die letzten 20 Jahre die gleichen Vorlieben und Einflüsse gehabt? Wir haben alle viele verschiedene Interessen. Das kann dann mal ein Film sein, eine TV-Show oder etwas im Radio, das dich beeinflusst. Inspiration ist ein flüchtiges Element. Wir haben die Dinge genommen, die uns entzünden und wollten nicht das machen, was vielleicht von uns erwartet wird.
Was ist bei Linkin Park die ganze Karrierezeit denn immer konstant geblieben?
Das sind nur wir. Die sechs Mitglieder der Band. Alles andere verändert sich immer. Ständig.
Und der stetige Wandel ist gut so?
Ich hoffe es.
Sie spielen seit 21 Jahren zusammen, viele Ehen halten nicht so lange. Was ist das Geheimnis der Band?
(Lacht.) Jeden Tag eine Dusche zu nehmen und die Klamotten zu wechseln. Ich denke, es ist die Freundschaft, die uns verbindet. Wir sind seit Schulzeiten Freunde. Mike Shinoda und ich kennen uns seitdem wir zwölf Jahre alt sind.
Und das ist das Geheimnis?
Das Geheimnis ist, in diese Freundschaft zu investieren. Wie man es in allen Beziehungen machen sollte. Man muss verlässlich sein, etwa zurückgeben und zuhören. Und Toleranz ist sehr wichtig.
Es ist das sechste Nummer-eins-Album von Linkin Park in 17 Jahren - Sie haben Erfolg ohne Ende. Trotzdem gab es Kritik, dass die Musik zu poppig ist. Was denken Sie über die Kritik?
Ich denke, es ist unser Job, mit der Kritik der Nörgler umzugehen und sie aber auch auf einem kreativen Weg zu überzeugen. Natürlich laden wir sie ein, uns eine konstruktive Kritik und ein Feedback zu geben. Aber am Ende machen wir als Künstler eben unsere Arbeit. Sie sollten sich auf unseren Bereich einlassen.
Das Interview führte Pascal Faltermann.