Mehr als vier Jahre ist es her, dass in Rotenburg ein schon länger schwelender Nachbarschaftsstreit eskalierte. Am Ende landete ein Mann mit diversen Verletzungen im Krankenhaus, und drei Mitglieder der Familie, mit der er über Kreuz lag, mussten sich sehr viel später vor dem Amtsgericht verantworten. Sie erhielten mehrmonatige Bewährungsstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Älteste im Trio wollte sich damit nicht abfinden. Im Gegensatz zu ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter legte die Frau Berufung ein. Am Landgericht Verden erwirkte die heute 65-Jährige aber nur eine Strafreduzierung von sieben auf vier Monate.
Das hatte sich die Angeklagte offenbar anders vorgestellt. Zunächst sah es so aus, als müsste vor der 5. Kleinen Strafkammer noch einmal ausführlich beleuchtet werden, was sich am 18. August 2020 genau abgespielt hat. Der Vorsitzende hatte kaum begonnen, den bisherigen Verlauf des langwierigen Verfahrens zusammenzufassen, als die zwischen Dolmetscherin und Verteidiger sitzende Frau ihm auch ins Wort fiel. „Sie müssen jetzt erst einmal ruhig sein und nicht alles kommentieren“, ermahnte sie der Richter. Die in Skopje (Nordmazedonien) geborene, seit 34 Jahren in Rotenburg lebende Frau bemühte sich fortan um Zurückhaltung. Nach kurzer Beratung außerhalb des Gerichtssaals erklärte der Anwalt, die Berufung werde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Das gesamte gewalttätige Geschehen auch in zweiter Instanz zu rekapitulieren, wäre ohnehin schwer möglich gewesen. Denn von den fünf geladenen Zeugen hatte sich nur einer im Landgericht eingefunden. Die Vernehmung erübrigte sich nun. Es blieb bei den vom Amtsgericht im Juli 2022 getroffenen Feststellungen. Demnach hatte ein schon seit einiger Zeit bestehender „Konflikt“ zwischen dem späteren Opfer und der Familie, vornehmlich dem Sohn, zu einer „massiven körperlichen Auseinandersetzung“ geführt.
Das Opfer wurde mehrfach mit einer „Eisenstange“, die von einem Kinderhochstuhl stammte, sowie mit Fäusten traktiert. Die Angeklagte soll ihren Sohn zwar „entwaffnet“ und versucht haben, „die Streithähne auseinanderzubringen“. Allerdings versetzte sie dem schon am Boden liegenden Geschädigten auch noch Schläge – mit einem fünf Zentimeter dicken und 50 Zentimeter langen Birkenholz-Stock, wie die Polizei penibel notiert hatte.
Welche der vielen Verletzungen auf die Birkenstockhiebe zurückzuführen waren, ließ sich nicht ermitteln. Der Mann hatte unter anderem multiple Prellungen, eine Platzwunde am Hinterkopf und einen Nasenbeinbruch erlitten. Die Angeklagte habe die Schläge in einem „dynamischen Prozess“ verübt, sagte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer. Man könne von einem minderschweren Fall ausgehen. Eine kurze Freiheitsstrafe – zur Bewährung – sei aber angemessen.
In dem Moment flog die Saaltür auf, und die beiden kleinen Enkelkinder der Angeklagten stürmten herein. Sie wurden sofort wieder nach draußen befördert. In der Verhandlung gegen die Großmutter stand ja noch das Urteil aus. Mit dem Strafmaß von vier Monaten entsprach das Gericht dem Antrag der Staatsanwältin.