Für die Spurensicherung der Polizei wären sie ein gefundenes Fressen. Unzählige Schuhabdrücke lassen den Boden der früheren Versandhalle der still gelegten Brotfabrik Lieken sehr abstrakt aussehen. Kreuz und quer verlaufen die Abdrücke, die nur deshalb so gut zu sehen sind, weil Chaoten sich mit Pulverfeuerlöschern in der Halle ausgetobt haben.

Von wegen Zutritt verboten.
Der Vandalismus ist längst eingezogen in die prominente Achimer Industriebrache, die am 30. September 2011 ihren letzten Betriebstag erlebt hat. Die Vorarbeiten für den Abriss haben begonnen, bis zum 31. Mai 2019 soll alles plan sein. „Das schaffen wir auch“, sagt Hauke Schiller, Bauleiter der Verdener Abbruch- und Recyclingfirma Regrata. Sie wurde von W&S, dem neuen Eigentümer des Lieken-Grundstücks, mit den Arbeiten beauftragt. Die Firma soll Platz schaffen für Neues.
Lost Place
Erstmal aber ist da das Alte. Industriegeschichte zum Anfassen. Steuerungsgeräte, die aussehen, als wären sie einem Science-Fiction-Film der 70er Jahre entsprungen, Technik von gestern eben. Und wenn man weiß, dass der Standort der Brotfabrik auch deswegen geschlossen wurde, weil er zu alt war, versteht man das bei einer Besichtigung sehr gut. Kein Zweifel, Lieken ist inzwischen ein Lost Place, ein vergessener Ort. Der zieht Neugierige, Rumtreiber, Obdachlose, Zerstörungswütige und Diebe an – das ist nicht zu übersehen.

Blinde Zerstörungswut ist in fast jedem Gebäude auf dem Gelände zu sehen.
Bei Youtube gibt es im Internet das Video einer nächtlichen Tour durch die ehemalige Brotfabrik zu entdecken, aber auch am Tage kann sich der Betrachter der Faszination dieses Ortes nicht verschließen. „Demnächst haben wir hier Kameras, die jede Bewegung registrieren und über eine Gegensprecheinrichtung verfügen. Die ungebetenen Gäste werden vom Sicherheitsdienst angesprochen, wenn sie nicht verschwinden, wird die Polizei verständigt“, warnt Schiller aber alle, die unerlaubt das Gelände – jetzt: die Baustelle – betreten wollen.
Jeden Tag, erzählt Schiller während des Rundgangs, sind Außentüren geöffnet, die eigentlich verschlossen sein sollten – und die er akribisch immer wieder verschließt. Etwa 15 Schlüssel hat er bekommen, da ist auf Anhieb nicht immer der Richtige zu finden. Herausgerollte Schläuche zur Brandbekämpfung, auf den Böden stehende oder liegende Feuerlöscher, zerstörte Scheiben, eingetretene Wände, zerdepperte Möbel, brachial geöffnete Türen. Ab und an lehnt eine Leiter irgendwo. „Die ist nicht von uns“, sagt Schiller, während draußen zwei seiner Kollegen damit beschäftigt sind, den Wildwuchs vom Gelände zu entfernen.

Das Telefon an der Schranke hat schon bessere Zeiten erlebt.
Inoffizielles Wahrzeichen
Der Lieken-Turm ist inzwischen ein Wahrzeichen der Stadt Achim, ungewollt und inoffiziell. Aber jeder, der am Bahnhof Achim verkehrt oder mit dem Auto in die Stadt fährt, nimmt ihn wahr. Auch der Turm, der als Mehlsilo gedient hat, verschwindet. Treppe für Treppe geht es nach oben, der Putz von den einst wohl schneeweißen Turmwänden ist an vielen Stellen abgefallen, das Treppengeländer an einer sogar herausgebrochen. Von oben bietet sich ein grandioser Blick auf Achim, noch ein Stück höher zur bekannten Antenne führt nur eine kurze Feuerleiter.
„Wir haben es hier mit 130.000 Kubikmetern überbauten Raum zu tun, auf einer Fläche von 30.000 Quadratmetern“, erzählt der 26-jährige Bauleiter, um die Dimensionen des Auftrags zu verdeutlichen. Was er nicht müsste, denn die Orientierung in diesem Wirrwarr von Funktionsgebäuden ist schnell verloren. Ebenso wie dieser Ort es ist. Schiller und seine Kollegen freuen sich darauf, ihn dem Erdboden gleich zu machen. „Schon vor Jahren habe ich zu meinem Chef gesagt: Irgendwann reißen wir das hier ab.“ Nun ist es soweit, gewaltige Bagger rücken demnächst an. Nachdem es zuletzt für die Regrata-Belegschaft etwa nach Magdeburg zum Arbeiten ging, ist Lieken ein echtes Heimspiel. „Die meisten wohnen um Verden herum, da ist dieser Arbeitsweg klasse“, sagt Schiller und lächelt.

Im Verwaltungsgebäude gab es wohl einen Betriebskindergarten.