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Zeitzeuge Ein Junge an der Kriegsfront

Günther Wiggers aus Ottersberg ist nicht nur Historiker, sondern erlebte den Zweiten Weltkrieg selbst mit und schrieb ein Buch darüber. Nun jährt sich seine Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft zum 75. Mal.
26.09.2021, 17:12 Uhr
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Ein Junge an der Kriegsfront
Von Antonia Blome

Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die den Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt haben. Doch einer hat dafür gesorgt, dass seine Erinnerungen nicht in Vergessenheit geraten können: Der 94-jährige Ottersberger Günther Wiggers verfasste im Jahr 2003 ein Buch namens "Als Junge im Krieg". Nun jährt sich seine Befreiung aus der russischen Kriegsgefangenschaft zum 75. Mal.

16 Jahre alt war Günther Wiggers, als er 1943 als Luftwaffenhelfer bei der Wehrmacht eingezogen wurde. Danach folgten weitere Stationen im Reichsarbeitsdienst. "Was viele heute nicht nachvollziehen können, ist, dass wir gern eingezogen worden sind", sagt der Ottersberger. Die Jungen hätten den Dienst mit Begeisterung absolviert und seien stolz auf die Uniformen der Wehrmacht gewesen. Bei jeder Gelegenheit schrieb Günther Wiggers Briefe an seine Eltern, die den Großteil seines 108 Seiten starken Buchs ausmachen.

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Im Dezember 1944 wurde Wiggers zur Wehrmacht nach Schierart in Polen zur Ausbildung in der Sturmartillerie einberufen. "Es war nicht so einfach, in ein fremdes Land zu gehen, aber ich hatte dennoch kein Heimweh", erinnert er sich. "Wir Jungen wollten damals, dass Deutschland siegt und wir wollten mithelfen."

Umerziehung im Gefangenenlager

Diese patriotische Überzeugung sei vor allem durch fehlendes Wissen zustande gekommen. "Wir hatten damals kaum Informationen, kein Internet und durften im Radio keine ausländischen Sender hören", erinnert sich der 94-Jährige. Er und seine Mitmenschen waren ihm zufolge auf das angewiesen, was ihnen in den deutschen Radiosendern mitgeteilt wurde.

Aus diesem Grund wusste Günther Wiggers als Jugendlicher eigenen Angaben nach auch nicht von den Schicksalen deutscher Juden. Das habe sich erst mit seiner Gefangennahme an der Ostfront im Mai 1945 geändert. In einem Lager in Posen wurden Wiggers und seine Kameraden "umerzogen", wie er sagt. Die Gefangenen seien verpflichtet worden, Dokumente, Bilder und Filme von den Konzentrationslagern anzusehen. "Wir waren entsetzt, erfuhren wir doch hier zuerst über die Morde und menschenunwürdigen Zustände in den Konzentrationslagern", schreibt Günther Wiggers in seinem Buch. Die Kriegsgefangenen hätten Brot und Kohlsuppe als Mahlzeiten bekommen, die Baracken seien voll mit Läusen und Wanzen gewesen. "Es war keine einfache Zeit, unsere Tage bestanden daraus, auf dem Bett zu sitzen oder zu arbeiten", sagt der Ottersberger.

Der Weg zurück in den Alltag

In der Nähe von Moskau meldete sich Wiggers freiwillig für die Arbeit in der Landwirtschaft – "in Hoffnung auf Essen". Dort harkte, säte und mähte er und stahl Essen von den Feldern. "Ich aß sehr viele Wurzeln und erkrankte dadurch an Ruhr", erinnert er sich. Aufgrund seiner Krankheit musste er eigenen Angaben nach während der Arbeit oft aussetzen, woraufhin er von den russischen Soldaten drangsaliert und getreten wurde. "Am Ende wog ich nur noch 50 Kilogramm und wurde aufgrund der Mangelernährung nachtblind." Eine Ärztin aus Moskau beschloss daraufhin, ihn aufgrund seines körperlichen Zustands nach Hause zu schicken. "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als ich wieder in Ottersberg war", erinnert sich Günther Wiggers. Viele seiner Kameraden hätten nach ihrer Rückkehr das Abitur nachgeholt. "Ich habe mich dagegen entschieden, denn durch den Krieg hatte ich so viel Wissen verloren und hätte alles neu lernen müssen."

Sich wieder in den Alltag einzuleben, sei für den damals 19-Jährigen nicht schwer gewesen. Kurz nach seiner Rückkehr begann Günther Wiggers im Januar 1947 eine Lehre bei der Kreissparkasse Verden. Von 1954 bis 1986 leitete er die Geschäftsstelle in Ottersberg. Mit seiner Ehefrau war er 65 Jahre verheiratet und hat zwei Söhne. Vergessen konnte Günther Wiggers seine Zeit als Soldat allerdings nie – auch nach 75 Jahren nicht. "An bestimmte Ereignisse denke ich noch immer", sagt er. "Zum Beispiel erinnere ich mich noch daran, wie ein betrunkener russischer Offizier mich und meine Kameraden mit einer Waffe zu erschießen drohte oder wie die russischen Soldaten mich misshandelten."

Kurz nach seiner Entlassung und als die Erinnerungen noch frisch waren, begann Günther Wiggers, seine Erlebnisse in einem Heft niederzuschreiben. Veröffentlicht wurde das Buch "Als Junge im Krieg" nicht bundesweit, sondern im Kreis Verden und Bremen. 400 Exemplare seien verkauft worden. Laut Günther Wiggers soll das Buch Einblicke in die Gedankenwelt der Jugendlichen aus der damaligen Zeit geben. "Es ist sehr gut angekommen und viele Menschen riefen mich an, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben", sagt er. Vorletztes Jahr wurden aufgrund der hohen Nachfrage noch 20 Exemplare nachgedruckt – das sei allerdings auch das letzte Mal gewesen.

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