Wer sich mit dem Auto aus dem Landkreis Rotenburg der Stadt Verden über die Bundesstraße 215 nähert, der bemerkt die Steigung kaum. Fahrradfahrer bekommen den Anstieg hingegen deutlich stärker zu spüren. Die Rede ist vom Steinberg, der höchsten Erhebung in der Region. Stolze 73,9 Meter ist dieses Fleckchen Erde nach Informationen des Katasteramtes hoch. Jeder Süddeutsche würde ihn vermutlich nicht mal als Hügel durchgehen lassen. Und doch bildet er eine Wettergrenze. Hinter der schüttet es manchmal, während die Verdener nur ein paar Wölkchen sehen – und umgekehrt. Wenn unten in Verden allerdings die Aller über die Ufer tritt, bleiben die Füße dort trocken.
Statt an massiven Felswänden, wie es der Name vermuten lassen mag, lässt sich der Steinberg an dem Fernmeldeturm der Deutschen Telekom erkennen, der auf dem bewaldeten Berg thront. 134 Meter hoch ist das markante Betongebilde. Laut Telekom ist er einer von 500 Fernmeldetürmen, die in den 1960er- bis 1980er-Jahren in ganz Deutschland errichtet wurden, um Signale, wie beispielsweise für Ferngespräche, von Turm zu Turm durch das ganze Land, aber auch ins benachbarte Ausland zu transportieren. Zwischen den Türmen, die per Richtfunk in Kontakt standen, lagen jeweils 30 bis 50 Kilometer. Dank ihrer Höhe konnten sie die Signale ungehindert und trotz Erdkrümmung über weitere Strecken senden. Heute dient der Turm auch dem Mobilfunk. Besichtigen können unautorisierte Besucher die Anlage allerdings nicht. Denn der Turm ist von einem Gitterzaun umgeben. Die Anfahrt endet an einem großen Tor.
Auch wer vom Steinberg in Verden-Walle noch nie gehört hat, wird ihm schon einmal unbewusst begegnet sein. Vorausgesetzt er oder sie ist alt genug, um schon einmal einen Zehn-Mark-Schein in der Hand gehalten zu haben. Auf dem war der Berg neben Bremen, Zeven, Hamburg und weiteren Orten in einer Grafik eingezeichnet. Die Erhöhung diente dem Mathematiker und Astronomen Carl Friedrich Gauß (1777 - 1855) nämlich als Bezugspunkt zur Landvermessung, weiß Herbert Meyer-Bolte, der Vorsitzende des Heimatvereins Walle. Während derartige Höhen und Tiefen heute per GPS-Technik ermittelt werden, musste Gauß Anfang des 19. Jahrhunderts noch deutlich mehr Aufwand betreiben, um diesen Teil des Königreichs Hannover zu vermessen. Dafür setzte er Festpunkte auf verschiedenen Bergkuppen und teilte das Gelände zur Berechnung in Dreiecksnetze auf, die zur Erinnerung an seine Arbeit auf der alten Banknote abgedruckt wurden. „Man braucht allerdings schon eine Lupe, um auf der kleinen Karte auf der Rückseite des Scheins den eingezeichneten Steinberg zu erkennen“, räumt Meyer-Bolte ein.
Während der Zehn-Mark-Schein inzwischen für viele Menschen in Vergessenheit geraten ist, gibt es auf dem Steinberg weiterhin einen Punkt, an dem an die Arbeit von Carl Friedrich Gauß erinnert wird. Dem Mathematiker zu Ehren brachte der Heimatverein im Jahr 1994 einen Findling mit entsprechender Inschrift auf den Steinberg. Drei Tonnen bringt der Gesteinsbrocken auf die Waage, der aus einer Sandgrube aus der Nachbargemeinde Kirchlinteln stammt. Er markiert den höchsten Punkt auf dem Berg. Wer ihn besuchen möchte muss allerdings einen längeren Fußmarsch in Kauf nehmen.
Deutlich leichter zu erreichen ist der höchste bewohnte Punkt des Landkreises. Der liegt am Ende der Straße Buchhorst, die sich ebenfalls im Verdener Ortsteil Walle und in direkter Nachbarschaft zum Verdener Golfplatz befindet. Die Bergbewohner leben hier in 56,2 Metern Höhe. Das ist auch dem Waller Heimatverein nicht entgangen. Der feierte dort vor 26 Jahren schon einmal sein Bergfest mit viel Musik und großem Tamm-Tamm in luftiger Höhe, erinnert sich Meyer-Bolte lebhaft.
Auch den höchsten bewohnten Punkt hat der Verein damals mit einem Stein versehen. Das Katasteramt habe ihm "Brief und Siegel" darauf gegeben habe, dass es der höchste bewohnte Punkt im Landkreis sei, erinnert sich Meyer-Bolte. Neben dem Stein hat der rund 360 Mitglieder starke Verein eine Sitzbank ausgestellt, auf der Spaziergänger eine Rast einlegen und die Aussicht genießen können. Die schwarzen Schriftzüge, den beide Steine tragen, habe der Heimatverein erst vor wenigen Wochen erneuert, damit sie weiterhin gut lesbar bleiben.
Das Waldgebiet zwischen Völkersen und Holtum (Geest) eigne sich gut für ausgedehnte Spaziergänge, ist der Vereinsvorsitzende überzeugt. Nachdem während der Corona-Pandemie das Interesse an Wanderungen und Radtouren in der Natur gestiegen ist, überlegt der Verein, ein Hinweisschild an der Bundesstraße aufzustellen, das auf den Berg und seinen höchsten Punkt aufmerksam macht. Wer den Steinberg erkunden möchte und aus Richtung Verden-Walle das Waldstück auf der Bundesstraße 215 (Waller Heerstraße) durchfährt, sollte auf den ersten Feldweg auf der rechten Seite einbiegen, empfiehlt der Ortskundige. Von dort aus lasse sich der kreisverdener Höhepunkt gut erreichen. Der liege allerdings "ziemlich versteckt". Besucher müssen also die Augen offen halten, um den fast mannshohen Felsen am bewaldeten Gipfel zu finden.
Meyer-Bolte selbst betrachtet den Steinberg am liebsten aus der Ferne. Von der Übungsbahn vier des nahegelegenen Golfplatzes habe man einen guten Blick, erzählt er. Seinen Mitgolfern erzähle er dann gerne, dass sie den höchsten Punkt des Landkreises von dort aus sehen können. Vielen sei das nicht bekannt. Entsprechend erstaunt seien dann die Gesichter.